Großer Check: Woran man einen guten Arzt erkennt

15.2.2021, 05:55 Uhr
Einige Hausärzte lassen sich ihr Qualitätsmanagement-System zertifizieren.

© Rolf Vennenbernd, NN Einige Hausärzte lassen sich ihr Qualitätsmanagement-System zertifizieren.

Wenn eine Operation ansteht, können Patienten für die Krankenhauswahl zum Beispiel den NZ-Klinikcheck heranziehen. Auch Facharztpraxen und Praxiskliniken können sich zertifizieren lassen – auf freiwilliger Basis. Über medizinische Qualität und Gesundheitspolitik sprach die NZ mit Dr. Christian Deindl. Der Kinderchirurg hat sich mit seinem zertifizierten OP-Zentrum in der Nürnberger Innenstadt auf ambulante Operationen in Narkose spezialisiert.


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Herr Deindl, warum haben Sie 2005 ein Qualitätsmanagement (QM) eingeführt?
Qualität lohnt sich – für den Arzt und seine Praxis, für die Patienten und letztlich auch für unser Gesundheitssystem. Wir konnten dadurch viele Strukturen verschlanken und arbeiten viel effizienter, weil jeder weiß, was er wie zu tun hat. Fehlerkosten sind immer höher als Qualitätskosten. Zwar kann man Fehler nie ganz verhindern, aber sie werden durch Qualitätsmaßnahmen immer ein Stück unwahrscheinlicher.

Christian Deindl legt Wert auf eine unabhängige Zertifizierung seiner Praxis. 

Christian Deindl legt Wert auf eine unabhängige Zertifizierung seiner Praxis.  © Michael Matejka

Wie haben die Mitarbeiter reagiert?
Die eine Hälfte war der Meinung, das haben wir noch nie gemacht, das brauchen wir nicht, die andere Hälfte war begeistert und hat unser Qualitätssystem seither kontinuierlich mit aufgebaut. Das Verfahren muss zu Ihnen, Ihrem Fachgebiet und Ihren Mitarbeitern passen und im Praxisalltag gelebt werden können.

Wie sind Sie vorgegangen?
Wir haben uns für eine Zertifizierung nach ISO entschieden. In unserem digitalen Qualitätshandbuch sind alle Praxisabläufe standardisiert und in Checklisten festgehalten – von der Reinigung der Praxis bis an den OP-Tisch. Alles wird protokolliert.

Es gibt anonyme Patientenfragebögen, die ein Mal im Quartal ausgewertet und verglichen werden mit anderen zertifizierten Praxen. Worauf ich besonderen Wert lege: Wir haben monatliche Teamsitzungen mit aktuellen Themen und Schulungen, etwa zu Datenschutz und Hygiene. Wir haben daher lange vor Corona Desinfektionsspender am Eingang aufgestellt. Ziel der Maßnahmen ist die Sicherheit und Zufriedenheit der Patienten, das Vermeiden von Komplikationen und bestmögliche Behandlungsergebnisse.


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Wo ist der Unterschied zu gesetzlich vorgeschriebenen Qualitätsmaßnahmen?
Gemäß der Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses muss man den Nachweis erbringen, dass man QM einführt, aber es wird nicht vor Ort überprüft. Wenn man wie wir ambulant operiert, wird die Praxis alle vier Jahre vom Gesundheitsamt begangen. Wir müssen Wasserproben abgeben; es geht um fehlerfreie Desinfektion, Sterilisation und Instrumentenaufbereitung. Das ist aber noch keine Zertifizierung. Viele Arztpraxen lassen sich darüber hinaus freiwillig von einem unabhängigen Unternehmen zertifizieren.

Wie läuft so eine Zertifizierung ab?
Jährlich besucht ein externer Auditor (Prüfer, d. Red.) der Prüfgesellschaft Dekra unsere Praxis. Er prüft gezielt, ob die ISO-Richtlinien, gesetzliche Vorgaben und Normen sowie die Qualitätsziele erfüllt sind. Dabei befragt er alle Praxismitarbeiter über ihre Aufgabenbereiche und verlangt Einsicht in alle relevanten Dokumente. Man muss also das ganze Jahr daran arbeiten, um für dieses Audit optimal vorbereitet zu sein und das Zertifikat weiter führen dürfen.

Alle drei Jahre erfolgt ein ganztägiges Auditverfahren, an dessen Ende die erneute Bestätigung des Zertifikats für die nächsten drei Jahre steht. Voraussetzung dafür sind ein jährliches externes Überwachungsaudit und ein bis zwei praxisinterne Audits. Diese werden vom Qualitätsbeauftragten der Praxis durchgeführt.

Woran sehen Patienten, ob und wie ein Arzt oder eine Praxis zertifiziert ist?
Wer zertifiziert ist, erhält von seinem Zertifizierungsunternehmen ein Logo, zu sehen in der Praxis, auf Patienteninformationen und der Homepage. Das kann von der Dekra, vom Tüv, aber auch von medizinischen Fachgesellschaften stammen. Als Patient müssen Sie nicht beunruhigt sein, wenn jemand das nicht hat. Aber umgekehrt haben Sie eine besondere Sicherheit. Die Zertifizierung ist vergleichbar mit der Fußball-Champions-League: Es gewinnt zwar nicht jeder, der mitspielt, aber alle Teilnehmer sind sehr gut.

Das heißt, es macht keinen Unterschied, ob man sich ambulant in einer zertifizierten Praxis oder stationär in einer zertifizierten Klinik operieren lässt?
Ganz klar: Auch im ambulanten Sektor gibt es Ärzte und Einrichtungen, die mit ihrem Behandlungsspektrum den Kliniken ebenbürtig sind. In der Kinderchirurgie verfügen wir inzwischen bundesweit über 40 000 ausgewertete Fragebögen, die zeigen, dass Eltern zu 98 Prozent zufrieden sind und sagen, sie würden die OP wieder ambulant machen lassen.

Was kostet es, sich als Arzt mit eigener Praxis solche Standards aufzuerlegen?
Sagen wir so: Es ist ein teures Hobby. Die Erst-Zertifizierung hat bei uns mehrere Tausend Euro gekostet, die wiederholten Re-Zertifizierungen ebenfalls. Das staffelt sich nach der Mitarbeiterzahl. Hinzu kommen die Kosten unserer Qualitätssicherheitsfragebögen, die jeweils vom Chirurgen, Narkosearzt und Patienten ausgefüllt und extern anonymisiert ausgewertet werden.

Vor über zehn Jahren hat die Kassenärztliche Vereinigung Bayern freiwillig aufgrund der nachgewiesenen guten OP-Ergebnisse für das ambulante Operieren einen Qualitätszuschlag bezahlt. Dieser wurde schnell wieder abgeschafft – aus Einspargründen. Seitdem müssen zertifizierte Praxen weiter aus eigenen Mitteln die hohen Qualitäts- und Hygienekosten gerade bei ambulanten OPs bestreiten.

Wer ambulant operiert, muss besondere Hygienestandards einhalten.

Wer ambulant operiert, muss besondere Hygienestandards einhalten. © Jens Ressing

Sie kritisieren mangelnde Unterstützung durch die Politik?
Ja. Laut Sozialgesetzbuch sollen medizinische Leistungen wirtschaftlich, angemessen, nützlich, zweckmäßig und ausreichend sein. Ausreichend ist Schulnote 4. Alles angeblich wegen des Kostendrucks. Doch das Geld ist da. Wir geben im Jahr bis zu 350 Milliarden im Gesundheitssystem aus, ungefähr eine Milliarde am Tag. Am Ende des Jahres ist alles weg und alle jammern, es habe wieder nicht gereicht. Nachhaltigkeit ist nicht gefragt.

Was müsste sich ändern?
Ich glaube, die Bevölkerung möchte eine gute medizinische Versorgung. Dazu gehört ein gutes Qualitätsmanagement in Praxen und Kliniken. Und dafür brauchen wir Ressourcen: Zeit, Geld, Personal.

Zu einem guten Qualitätsmanagement in einer Arztpraxis gehört es auch, die Abläufe an der Rezeption zu optimieren.

Zu einem guten Qualitätsmanagement in einer Arztpraxis gehört es auch, die Abläufe an der Rezeption zu optimieren. © Klaus Rose

Was fordern Sie?
Es gibt seit Jahren bewährte Instrumente zur Qualitätssicherung, wie den erwähnten Patientensicherheitsfragebogen AQS 1, die man zur Regel machen könnte. Inzwischen liegen aus 700 000 Auswertungen exakte Zahlen und Daten vor und belegen die Vorteile. Das Problem ist: Die Gesundheitspolitik hat uns einen ungesunden ökonomischen Wettbewerb eingeimpft, Neidgefühle zwischen Kliniken und Praxen als Folge, weshalb sich einige Funktionäre dagegen sperren.

Ich wünsche mir, die Politik wäre einsichtig genug, die Finanzierung von Qualität in der ambulanten Medizin zu klären, und die Kostenträger würden vorhandene Mittel auch sinnvoll dafür einsetzen. Gesundheit ist kein Billiggut, das man einfach so mitnimmt. Sie hat ihren Wert und darf durchaus etwas kosten. Wir brauchen eine Änderung im bisherigen Qualitätsverständnis.

Trägt die Corona-Pandemie dazu bei?
Hoffentlich. Erst in der Pandemie gibt es vorübergehend von gesetzlichen Unfall- und privaten Krankenversicherungen Zuschläge für den erhöhten Kostenaufwand im Hygienemanagement einer Praxis. Aber wieso nicht schon in den Jahren zuvor? Und wieso entziehen sich gesetzliche Krankenkassen komplett ihrer Pflicht zur Mitfinanzierung eines überlebenswichtigen Qualitätsmanagements? Qualität und Medizin sollte man auch in Nicht-Corona-Zeiten wertschätzen. Bildung und Gesundheit sind die Stützpfeiler unserer Gesellschaft. Besser können Sie Geld nicht investieren. Das amortisiert sich immer.

Hinweis: Hier finden Sie alle Artikel zum NZ-Klinikcheck 2020. Auch 2021 wird es wieder eine Ausgabe geben.

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