"Akzeptiert und mittendrin dabei" in Gunzenhausen

16.5.2017, 06:30 Uhr

© Reinhard Krüger

"Das Wichtigste ist, dass sich die Bewohner zu Hause fühlen", meinte Roswitha Fingerhut, die Leiterin Wohnen in der Region um Gunzenhausen, Polsingen und Oettingen. Das sieht Simone Hoppens genauso. Die 55-jährige wohnt seit einem Dreivierteljahr in dem schicken Neubau am Rande des Stadtzentrums. "Mir gefällt es ganz gut", erzählt sie. Sie zog freiwillig aus der Großeinrichtung Polsingen in das Wohnheim mit seinen 24 Plätzen. Ein paar Gehminuten und sie sitzt im Café Schmidt, trifft sich mit anderen Bewohnern einmal wöchentlich zum Stammtisch im "Adlerbräu" oder bummelt einfach gern über den Marktplatz.

Unterstützt wird sie dabei von Heilerziehungspfleger Bernd Großberger, der bislang von Muhr am See in eine ähnliche Einrichtung der Neuendettelsauer Diakonie nach Bruckberg pendelte und jetzt seinen neuen Arbeitsplatz fast vor der Haustür hat. "Wir verstecken uns nicht mehr hinter irgendwelchen Mauern, sondern nehmen aktiv am Leben in der Stadt teil", sagt der 46-Jährige.

Das Haus verfügt über zwei Stockwerke und bietet in großzügig eingerichteten Zimmern Platz für Bewohner von 18 bis 77 Jahren. Während im Erdgeschoss die Älteren und Senioren leben, haben im Obergeschoss die Jüngeren im arbeitsfähigen Alter ihr Reich, erläutert Großberger. In der nahen Werkstatt für Behinderte in Laubenzedel vernichten sie für Firmen Akten, scannen Daten, kopieren und binden Bücher, erstellen kunsthandwerkliche Gegenstände oder montieren Elektroteile.

Die Bewohner mit einer geistigen oder seelischen Behinderung "leben wie in einer großen Familie zusammen", so Großberger. Da wird für das anstehende Mittagessen genauso eingekauft, wie nachmittags oder nach Feierabend gespielt oder zusammen ein Film oder ein spannendes Fußballspiel geschaut. Eine Nachtwache sorgt zusätzlich dafür, dass sich kein Mensch Sorgen machen muss. Diese sind eingebettet in ein Gesamtteam von 20 Mitarbeitenden von Pflegefachkräften, Büroangestellten, Hauswirtschaftern und Hausmeistern.

Mit der Seniorentagesstätte, die neben dem Wohnhaus angegliedert ist, können in der Spitalstraße Senioren mit Behinderung fachlich betreut und beschäftigt werden. 14 Ganz- oder entsprechende Halbtagsplätze stehen hier zur Verfügung.

Während die Bewohner im letzten Jahr nach und nach einzogen und das Haus mit den vielen Möglichkeiten bereits ausgiebig testen konnten, folgte jetzt der offizielle Teil. Freudige und fröhliche Blicke, wohin man schaute. Die Werkstattband aus Polsingen spielte gekonnt auf, der Rektor der Gesamteinrichtung erteilte den kirchlichen Segen und Politiker wie Geistliche wünschten dem Vorhaben alles Gute.

© Reinhard Krüger

Seit 150 Jahren betreue die Diakonie Neuendettelsau Menschen mit Behinderung im Landkreis, berichtete Vorstand Jürgen Zenker. "Unsere Strategie heißt weg von großen Standorten hin zu dezentralisierten Einrichtungen wie dieses Wohnheim mitten in der Stadt", sagte er. Oder wie es Rektor Mathias Hartmann in seiner Ansprache formulierte: "Früher schützten Mauern, heute wollen Menschen mit einer Behinderung an der Gesellschaft teilhaben". "Unsere Leute wollen mittendrin leben und sich nicht ausgegrenzt fühlen", fuhr er fort und hob die Architektur des Hauses hervor, die dazu beitrage. Durch die "ausgezeichnete Infrastruktur von Gunzenhausen mit seinem hohen Freizeitwert" werde das Vorhaben seines diakonischen Unternehmens erst ermöglicht.

Pia Regner vom Architekturbüro Ing+Arch aus Ehingen stellte den Bau im Einzelnen vor: Auf genau 1388 Quadratmetern können die Bewohner wohnen und leben, dank einer Pelletsheizung werde in dem Passivhaus nur gering Energie benötigt und es herrsche durch ein ausgeklügeltes Belüftungssystem immer ein angenehmes Klima. Jetzt hoffe sie, dass die Neubürger der Stadt "das gemeinsam erarbeitete Konzept" auch annehmen. Insgesamt waren 51 unterschiedliche Baufirmen beteiligt.

MdL Manuel Westphal beeindruckt vor allem "die Art und das Konzept dieser besonderen Einrichtung", denn es sei besser, "mittendrin als nur dabei zu sein". Bezirkstagsvizepräsidentin Christa Naaß war bereits bei der Grundsteinlegung in 2015 dabei und hob die UN-Behindertenrechtskonvention hervor, die es ermöglicht, dass Menschen mit Behinderung gleiche Rechte genießen wie solche ohne ein Handicap. In die gleiche Kerbe schlug Landrat Gerhard Wägemann, denn er "freute sich riesig, welche Menschlichkeit hier herrscht". Die Diakonie Neuendettelsau habe mit diesem Bau "einen Meilenstein für gelungene Inklusion gesetzt". Für Bürgermeister Karl-Heinz Fitz war diese Einweihung schlicht "ein wunderbarer Tag". Er freue sich, wie gern die Menschen in Gunzenhausen leben, und sehe ein solches Projekt als "wichtigen Teil einer gelungenen Stadtentwicklung", denn "behinderte Menschen sind Teil unserer Stadt".

Fitz kündigte den Bau eines weiteren Wohnheims der Diakonie Neuendettelsau für die kommenden Jahre in der Ostvorstadt an. Damit unterhalte das größte bayerische Sozialunternehmen künftig vier unterschiedliche Einrichtungen der Behindertenhilfe in der Altmühlstadt.

Statt eines langen Grußwortes und angesichts der vielen Redner vor ihm zitierte Dekan Klaus Mendel lieber einen Bewohner, der regelmäßig seine Gottesdienste besucht und bei der Verabschiedung stets zu ihm sagt: "Besser hätte ich es auch nicht sagen können". Den Abschluss machte Michael Günther, der für die Bewohner des Hauses sprach. "Seit einem Dreivierteljahr wohnen wir schon hier", sagte er. Und die Kinderkrankheiten sind überwunden: "Wir sind voll akzeptiert und mittendrin dabei." Schöner kann man es nicht sagen.

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