Als das Narrenvolk noch in Gunzenhausen regierte

1.3.2019, 17:20 Uhr
Als das Narrenvolk noch in Gunzenhausen regierte

© Stadtarchiv Gunzenhausen

Ob im italienischen Venedig oder im brasilianischen Rio de Janeiro, ob im kanadischen Québec, im amerikanischen New Orleans oder in Namibia in Südwestafrika: Karneval ist eine weltumspannende Angelegenheit und kann auf eine mehrtausendjährige Geschichte zurückblicken.

Vorläuferfeste gibt es bereits vor 5000 Jahren im vorderasiatischen Mesopotamien mit seinen ersten Hochkulturen der Menschheitsgeschichte. Schon damals ist eine wesentliche Eigenschaft dieser alljährlich stattfindenden, ausgelassenen Feste, das Gleichheitsprinzip. Also die, wenn auch zeitlich nur kurz bemessene, Aufhebung aller geltenden Gesellschaftshierarchien. Es gilt: die Sklavin ist der Herrin, der Sklave dem Herren, der Niedrige dem Mächtigen gleichgestellt, erklärt der Stadtarchivar.

Im christlichen Europa des Mittelalters feiert man so genannte Narrenfeste und schon Minnesänger Wolfram von Eschenbach berichtet in seinem um 1206 entstandenen Versroman Parzival vom ausgelassenen Treiben Dollnsteiner Frauen am Donnerstag vor Aschermittwoch. Heute ist dieses Datum als "Unsinniger Donnerstag" bekannt und wird in erster Linie von kostümierten weiblichen Faschingswütigen in Ehren gehalten. Gerade im Schutz der Masken und Kostüme und der damit verbundenen Anonymisierung des Einzelnen kann das Volk nahezu ungehindert über die Obrigkeit herziehen. Es herrscht buchstäblich "Narrenfreiheit", gegen die nicht eingeschritten wird.

Berühmt und berüchtigt sind die so genannten Schembart-Läufer in Nürnberg. Sie stellen die Reichsstadt regelmäßig mit ihrem traditionellen Fastnachtsumzug auf den Kopf und erst die Reformation beendet das Ganze. Noch einmal – und zwar 1539 – dürfen die Schembart-Läufer auf die Straße. Sie führen einen aufwendig hergestellten Festwagen in Form eines Narrenschiffs mit sich, auf dem sie ausgerechnet den aus Gunzenhausen stammenden Theologen, Reformator und damaligen "Starprediger" an St. Lorenz, Andreas Osiander, verspotten.

Ungefähr aus dieser Zeit stammen auch die ersten diesbezüglichen schriftlichen Hinweise für Gunzenhausen. 1562 entstehen Ausgaben für gesulzten Fisch sowie Rot- und Weißwein anlässlich eines Fasnachtsmahls des Rates. 50 Jahre später sind es bereits mehr als 15 Gulden (ungefähr 600 Euro), die für die Fasnachtsschlemmerei für die Stadtväter aufzuwenden sind. Noch deutlicher zeigt sich der Vergnügungsfaktor 1603, als etliche Bürger eine finanzielle Anerkennung aus der Ratskasse erhalten, da sie an Fasnacht eine Komödie aufführen.

Erster Faschingsumzug 1888

Im 19. Jahrhundert entwickelt sich der Fasching erst so richtig in der Altmühlstadt. Kaum eine Gastwirtschaft und nahezu kein Verein wollen sich dem jährlichen Frohsinn entziehen. Maskenbälle haben Hochkonjunktur, und an manchen Wochenenden können die Vergnügungssüchtigen aus einer Vielzahl von Faschingsveranstaltungen auswählen. Für die nötige Kostümausstattung stehen diverse Anbieter zur Verfügung, unter anderem Philipp Waizmann, der eigentlich Buchdrucker und Herausgeber der Zeitung "Gunzenhauser Anzeigeblatt" ist. Ab 1866 offeriert er sein reichhaltiges Sortiment an Masken. Ob "Teufel, Napoleon, Türken, Chinesen, Mohren, Tier- und Vogelmasken oder Nasen mit Brillen" — alles ist bei ihm zu haben.

Das alles wird jedoch übertroffen durch den ersten Maskenumzug in Gunzenhausen, den die Hauptschützengesellschaft am Faschingsdienstag 1888 initiiert, unter anderem angekündigt durch ein weiteres Novum, und zwar der Faschingszeitung "Der närrischen Stadt Gunzenhausen Blatt", die reißenden Absatz findet. Durch weitere kluge Bewerbung dieses Megaevents strömen Menschenmengen in die Stadt, sodass der seinerzeitige Pressebericht von einer wahren Völkerwanderung spricht. Pünktlich um 15 Uhr setzt sich der Umzug unter dem Motto "Einzug des markgräflichen Brautpaares in Gunzenhausen" von der Bahnhofstraße aus in Bewegung. Angeführt von einem Herold und einer Truppe Trommler und Pfeifer, folgt eine Reitertruppe, die Edelleute darstellt.

Auch mehrere festlich geschmückte Wagen, alle auf das Motto abgestimmt, sind Bestandteile des Festumzugs. Höhepunkt ist der vierspännige Thronwagen mit Markgraf samt Gemahlin. Die veranstaltende Hauptschützengesellschaft scheut weder Kosten noch Mühen und besorgt sogar die vielen benötigten, aufwendigen Kostüme extra aus Augsburg. Deshalb ist die Wiederholung eines solchen Faschingsumzugs für die darauf folgenden Jahre nicht machbar.

Eigene Narrenzeitung

Anders sieht es mit dem Faschingsblatt aus: Schon 1889 gibt es die "Zipfelhauser Narrenzeitung". Ein 1895 eigens gegründeter Karnevalsverein setzt sich zum Hauptziel, wieder einen großen Maskenumzug auf die Beine zu stellen, und tatsächlich gelingt ein neuer Superlativ. Aus 120 Personen, 36 Pferden, 14 Wagen und 20 Musikanten setzt sich dieses Mal der Faschingsumzug zusammen, der unter demselben Motto wie 1888 steht. Der Maskenzug am 18. Februar 1896 thematisiert dagegen den Einzug von Prinz Karneval im Gefolge von Bacchus und Gambrinus, begleitet von zahlreichen Angehörigen des närrischen Hofstaats und Musikanten. Aufgrund des riesigen Erfolgs kommt es trotz des enormen Vorbereitungsaufwands bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs in unregelmäßigen Abständen zu weiteren Faschingsumzügen, wie aus den alten Unterlagen hervorgeht.

Die Zentren des ausgelassenen närrischen Treibens sind die Säle des Brauhauses Müller am Marktplatz und des Fränkischen Hofes in der Bahnhofstraße. Durch ihr Fassungsvermögen von bis zu 1000 Personen sind diese Lokalitäten geradezu prädestiniert für die größten Karnevalsfeste. Wahre Dekorationswunder vollbringt man dort. In manchen Jahren werden vor allem im Saal der Brauerei Müller Volksfestplätze oder kleine Dörfer mit allerlei Verkaufsbuden nachgestellt, und für die faschingsbegeisterten Gunzenhäuser gibt es kein Halten mehr. Das lustige Treiben findet ein jähes Ende:

Zwischen 1915 und 1918 ist für ausgelassene Heiterkeit und Kostümierung kein Platz. Getobt wird auf den Schlachtfeldern des Ersten Weltkriegs, die Kostüme werden durch Uniformen ersetzt. Auch in der unmittelbaren Nachkriegszeit, geprägt von politischer und wirtschaftlicher Unsicherheit, sind keine größeren Aktivitäten während der Faschingssaison bekannt. Erwähnenswert ist jedoch das Erscheinen der "Gunzenhäuser Narrenpost" im Februar 1923.

Verantwortlich dafür ist "Doktor humoris causa" – Karl Tilly, hauptberuflich Redakteur beim "Altmühl-Boten". Das einmalig aufgelegte humoristische Blatt bezeichnet sich als "unabhängigste und gelesenste Eintagszeitung von Gunzenhausen und den umliegenden Zukunftsstädten" und verspricht vollmundig jedem Abonnent eine Prämie von 1000 Mark, der an seinem 100. Geburtstag 50 Abo-Quittungen vorlegt.

Als das Narrenvolk noch in Gunzenhausen regierte

© Stadtarchiv Gunzenhausen

In den 1930er-Jahren übernehmen die Nationalsozialisten den Fasching, um ihn in ihrem Sinne zu lenken. Als Beispiel dient der Aufruf 1937 von Johann Appler, seines Zeichens Gunzenhausens Bürgermeister, NS-Kreisleiter und Reichstagsabgeordneter. Er wendet sich an die "Volksgenossen und Volksgenossinnen" und fordert zahlreichen Besuch der Karnevalsveranstaltung am 6. Februar, die unter dem Motto "Auf der Reeperbahn" steht. Ein Zeitungsartikel betont das übergroße Engagement der NS-Kreisleitung, die den Brauhaussaal in einen "Tanzpalast von phantastischer Schönheit" verwandelt hat.

Weiter heißt es in der Presse: "Nirgends wird die Provinz einen solchen Faschingszauber aufzuweisen haben und man wird ihn in dieser Schönheit auch in Großstädten und Faschingszentren nur selten finden". Getoppt wird diese Schmeichelei noch vom Bericht danach und gipfelt in der Aussage, dass es sich "unbestritten um das größte Faschingsfest aller Zeiten in Gunzenhausen" handelte. Einer der zweifelhaften Höhepunkte des Unterhaltungsprogramms ist die vom örtlichen Reichsarbeitsdienst aufgeführte "Nigger-Szene", welche in "heller Begeisterung" durch die Anwesenden beklatscht wird.

Zwei Jahre später bricht der Zweite Weltkrieg aus und der Gunzenhäuser Fasching spielt keine oder nur eine sehr spärliche Rolle.

Faschingsspektakel 1949

Quasi wie Phönix aus der Asche begeht der Fasching seine Auferstehung und zwar mit einem furiosen Spektakel. Nach fast 40 Jahren gibt es endlich wieder einen Karnevalszug durch die Straßen Gunzenhausens, die dicht an dicht von begeistertem Publikum gefüllt sind. Am Sonntag, 27. Februar 1949 startet der Gaudi-Wurm vom Stephani-Schulhaus aus. Fußgruppen und originelle Wägen sind zu bestaunen, zum Beispiel ein Flugzeug, dessen Rumpf aus einem Jauchefass besteht. Außerordentlich gut kommt der Wagen "Altweibermühle" an, in der oben "alte Weiber hineingestopft und unten junge, hübsche Mädchen herauskommen".

Dies ist der Auftakt für eine Reihe vieler und legendärer Faschingsverstaltungen in Gunzenhausen, die es bis in die 1980er-Jahre gibt und sicherlich so manch "Alteingesessenem" noch in bester Erinnerung sind.

 

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