Auf dem Jakobsweg nach Gunzenhausen

5.4.2021, 17:36 Uhr
Auf dem Jakobsweg nach Gunzenhausen

© Foto: Babett Guthmann

Im Vorfeld habe ich mit dem Kalbensteinberger Thomas Müller telefoniert und nachgefragt, ob denn die mit wertvollen Kunstschätzen ausgestattete Rieter-Kirche in Corona-Zeiten zu besichtigen sei. Aber natürlich nicht, wer derzeit in die Kirche rein will, muss sich zu einem Gottesdienst anmelden.

Der Heimatkenner Müller weist mich aber auf den originellen Pilgerstempel hin, der am Tor zum Kirchhof angebracht ist: Das fabelhafte Wappenwesen der Patrizierfamilie Rieter kann man sich ins Pilgerbüchlein stempeln – eine Melusine, die als Wasserfee voller Stolz ihre beiden Fischschwänze präsentiert. Die Rieter-Kirche gilt weithin als Kirchen-Schatzkästlein voller wertvoller Sammlerstücke, die die reichen Kunstfreunde Rieter im 15. Jahrhundert hierher ins Obstbaum-Paradies gebracht haben.

Etwas einfallslose Route

Der Jakobsweg führt von Kalbensteinberg aus erst einmal die Straße entlang hinunter nach Igelsbach – ein schöner Ausblick und ein interessant geknickter Baum mit Ruhebank entschädigen für die etwas einfallslose Route. Igelsbach liegt am gleichnamigen Bach und ziemlich tief unten, sodass es dann hernach wieder ganz schön steil hoch geht in Richtung Geiselsberg.

Auf dem Jakobsweg nach Gunzenhausen

© Foto: Babett Guthmann

Wieder folgt man einem asphaltierten Weg, und auf halber Strecke muss unbedingt eine Pause an der Bank am Waldrand eingelegt werden: Hier überschaut man ein einsames Tal bis zu den Ausläufern des Igelsbachsees. So nah am See, so still!

Die zweite tolle Aussicht auf noch mehr fränkische Seenfläche gilt es in Geiselsberg zu genießen. Der Ort mit viel Höhenluft hat einen schön angelegten, derzeit menschenleeren Treffpunkt mit Brunnentrog. Immer noch lotst die Jakobsmuschel die Pilger auf einer Asphaltstraße hinunter ins Brombachtal. Ja, wer pilgern will, braucht robuste Knie!

Ein schwieriges Unterfangen

Da ich wegen der Wegführung gerade nicht so guter Laune bin, beschließe ich, etwas für mein geistliches Wohl zu tun und beginne meine Pilger-Meditation. Das Pilgern hat ja unter anderem den Sinn, den Alltag mit all seinen Ungereimtheiten hinter sich zu lassen. Aber gerade das ist in Corona-Zeiten ein schwieriges Unterfangen. Man geht zwar weg, aber im Rucksack haben sich so einige Problemchen und ein dicker Groll auf die Lebensumstände im Lockdown eingenistet.

Auf dem Jakobsweg nach Gunzenhausen

© Foto: Babett Guthmann

Stellvertretend für jedes Problem, das einem gerade einfällt, soll die Wandersfrau nun einen Stein aufheben. In meiner Hand sammeln sich da einige Steinchen: einer für das Virus und seine Gefährlichkeit, einer für den Frust über verpasste Bildungschancen vieler Kinder, einer für meine lieben fernen und unbesuchbaren Freunde und Verwandten und einer für diese grässlichen Statistiken, die ich immerzu verfolgen muss, was aber wenig Entspannung ins Leben bringt.

Als das Pilgerzeichen mich endlich von der Straße weg und am Kiefernwaldrand entlang leitet, komme ich nicht mehr weit. Vesper- und Meditationspause: Laut Anleitung für Jakobspilger soll man an einem geeigneten Ort die Steinchen nun ablegen. Ich baue ein Nestchen aus Kiefernnadeln, lege die Problemsteinchen hinein und verspreche mir, den Gedankenballast jetzt zurückzulassen. Das funktioniert gut, denn jetzt geht es hinein in den schönen Wald am Brombach!


Die zweite Etappe beginnt in Schwabach


Zwar wandert man hier ein Stück nach Osten, darf aber nicht irritiert sein: Bald geht es rechts ab und dann wieder gen Südwesten, in Richtung Santiago de Compostela, dem Begräbnisort unseres Apostels.

Am Ortsende des Dorfes Brombach quert der Pilgerweg die Straße, und ab jetzt folgt man der neuen Route. Es geht schnurstracks durch den Heidewald auf dem "Bromer Weg". So nennen die Ortskundigen diese für Autos befahrbare Route. Viele Pkw wird man aber nicht treffen, denn der Weg ist mit einem raffinierten weißen Steinpulver belegt. Wer hier fährt, kann gleich anschließend eine Waschanlage aufsuchen. Den Heidewald kenne ich aus dieser Perspektive nicht, denn es gibt da schon romantischere Weg, aber es ist halt die schnellste Route.

Waschküche für Vertriebene

An der Kapelle, deren Anbau in der Nachkriegszeit als Waschküche für Vertriebene und später als Leichenhalle gedient haben soll, überquert der Pilgerweg die Straße, und es geht hinauf in Richtung Oberasbach. Ja, und da oben treffe ich "zufällig" einen befreundeten Haushalt, welcher "zufällig" Kaffee und Apfelstrudel für Pilgerinnen serviert – mit Abstand und mitten auf der Wiese! Aus dem Burgstallwald heraus kreischt ein Vogelvieh, und ein Haushaltsmitglied mit Vogelstimmenohr weiß: Schwarzspecht!


Auch von Eichstätt nach Heidenheim gibt es einen Pilgerweg


Wieder allein schlage ich den Weg quer über den Burgstallhang ein. Hier entspricht die Jakobsweg-Route dem Limesweg, und zwischen Leberblümchen und ollen Römersteinen dürfen die Jakobspilger den allerschönsten Spazierweg der Gunzenhäuser kennenlernen. Im lichten Eichenwald blüht und sprießt so manches Kraut, ein Vogelchor plärrt eine Osterhymne nach der anderen, und auf geschichtsträchtigen Mauer- und Wachturmresten des Limes kann man ein andächtiges Pilgerpäuschen einlegen. Schließlich stapft man zwischen leuchtend grünem Wald-Bingelkraut hinauf zum Bismarckdenkmal.

Dann der Schlussspurt: Die Sonnenstraße hinunter leiten die Pilgermuschel-Aufkleber durch das Storchengässchen zur Stadtkirche. Am Ostportal bin ich mit Jakobus, der Apostelfigur des Bildhauers Ernst Steinacker, und mit Karolin Hofmann, der stellvertretenden Geschäftsführerin des Tourismusverbandes Fränkisches Seenland, verabredet. Sie überreicht mir eine Broschüre "Pilgerwanderwege im Fränkischen Seenland" und will mir das "Fränkische Pilgerdreieck" schmackhaft machen.

Im Kreis durchs Seenland

Auf einer Route des Dreiecks bin ich gerade unterwegs, dann geht es auf dem ökumenischen Pilgerweg von Heidenheim nach Eichstätt und von dort zurück nach Nürnberg. Das sind so 240 Kilometer und der Vorteil: Man bewegt sich nur nach Eichstätt hin mal kurz aus Franken weg.

Karolin Hofmann hat das Konzept für das Pilgerdreieck vor einigen Jahren erarbeitet und mit einer Arbeitsgruppe umgesetzt. Raffiniert empfiehlt die Touristikerin jetzt noch einen Abstecher zur Jakobuskapelle oberhalb von Muhr am See und zu den Jakobskirchen in Muhr am See und in Ornbau. Ja, die fränkischen Touristikerinnen haben nichts gegen Pilgerinnen mit Fernweh, aber lieber schicken sie dich vorher noch ein bisschen im Kreis durchs Seenland!

Der Bronze-Jakobus hält schon in Richtung Heidenheim Ausschau, dem Tagesziel der nächsten Etappe. Dem Künstler ist ein in sich ruhender Apostel mit Pilgerhut, Jakobsmuschel Pilgerstab und Wasserflasche gelungen!


Das Kloster Heidenheim leidet sehr unter der Pandemie


Im Innern der Stadtkirche hingegen hat ein bärtiger Jakobus älteren Datums an einer Säule seinen Platz. Ein Pilgerfreund hat ihm eine echte Jakobsmuschel und ein Beerenkränzchen geschenkt. Ich ziehe noch ein Kärtchen am "Bibliomaten" und setzte mich dann in meine ehemalige Konfirmandinnenbank. Von dort aus schaue ich auf zu Jesus.

So wie Thomas Müller vom Kalbensteinberger Schatzkirchlein geprägt wurde, so bin ich mit dieser Figur des Gekreuzigten aufgewachsen. Für mich ein "Oster-Jesus", der sich nicht ins Leid am Kreuz fallen lässt, sondern hinauf in den Himmel blickt – auferstehungswärts.

Als Jugendliche habe ich mich immer gewundert über andere Jesus-Darstellungen, wo der Gottessohn den Kopf hängen lässt, aber nie darüber nachgedacht, dass wir in Gunzenhausen einen so besonders würdevollen Gekreuzigten haben. Für mich ist diese Kirchenbank ein passendes Tagesziel, gerade zur Osterzeit.

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