Auf dem Jakobsweg: Spirit tanken beim Pilger-Profi

26.4.2021, 06:03 Uhr
Auf dem Jakobsweg: Spirit tanken beim Pilger-Profi

© Foto: Babett Guthmann

In Heidenheim hat der Geschäftsführer der örtlichen Klosterbetriebe zudem zahllose Begegnungen mit Jakobswanderern und Walburga-Verehrern aus nah und fern. Regelmäßig leitet er zudem ein Seminar zum Schnupperpilgern, unter dem Motto "Brich auf!" wird da eine Tageswanderung zu den spirituellen Kraftorten rund um Heidenheim angeboten.

Die Motive für den Start einer Pilgerreise sind so unterschiedlich wie die Menschen selbst. Doch wen trifft man auf solch einer Wanderschaft? Mit dieser Frage verblüfft mich Reinhold Seefried und ich sehe kurz zweifelnd zur Christusfigur am Fünfbotenaltar hoch, ehe ich ehrlich antworte: "Na, zuallererst treffe ich mich selbst."

Auf dem Jakobsweg: Spirit tanken beim Pilger-Profi

© Foto: Babett Guthmann

Seefried lächelt zustimmend und erzählt, dass er bei der Begleitung von Pilgergruppen stets darum, bittet, doch nicht die ganze Zeit miteinander zu schwatzen, sondern das Unterwegssein mit sich zuzulassen. "Morgen gehe ich mich besuchen, hoffentlich bin ich daheim!" – Mit diesem Zitat von Karl Valentin versucht er bei seinen Seminaren humorvoll zu vermitteln, dass Pilgerschaft ja nicht bedeutet, durch dauerndes "Unterhaltungsprogramm" Ablenkung zu suchen.

Draußen rieseln die Aprilschneeflocken und so bin ich froh, dass der "Hausherr" des Klosters mir die Figuren am Fünfbotenaltar (Richard von Wessex, Vater der drei zentralen Figuren Willibald, Walburga und Wunibald, ihnen zur Seite ihr mutmaßlicher Onkel Bonifatius) vorstellt, dann die Bedeutung der Schlusssteine am Deckengewölbe erläutert und mit seinem reichen Wissensschatz die Blütezeit des Benediktiner-Doppelklosters unter der heiligen Walburga lebendig werden lässt. Auch erfahre ich von ihm, dass die beiden Grabstätten des Klostergründers Wunibald und seiner Schwester Walburga heute leer sind. Die Gebeine der Walburga wurden etwa 100 Jahre nach ihrem Tod nach Eichstätt gebracht.

"Es ist hier schön und beruhigend"

Das war ein guter Start! Von Reinhold Seefrieds "Spirit" werde ich auf meiner Wanderung auf den 18 Kilometern nach Oettingen zehren. Bei den sieben Quellen hat der Heimatverein Heidenheim eine Jakobus-Schutzhütte errichtet. "Keine Ahnung, ob das gelesen wird, aber es ist hier schön und beruhigend", hat jemand in das dort aufbewahrte Gästebuch geschrieben. Stimmt! Ich freue mich noch über den Eintrag eines Kindes und die abenteuerliche Rechtschreibung "Kwellen" und "entschpannen".

Auf dem Jakobsweg: Spirit tanken beim Pilger-Profi

© Foto: Babett Guthmann

Leider ist heute kein Tag zum Entspannen, nicht mal zum Hinsetzen. Zwar hat es endlich aufgehört zu schneien, aber es ist bitterkalt. Gut, dass es den Heidenheimer Buck hinaufgeht, da vergeht einem das Frieren. Quellenweg und Jakobsweg laufen hier gleich, aber dann doch nicht – und trotz Karte verlaufe ich mich und kann mal das Thema Zweifel durchkauen: Schaffe ich heute die Strecke, wenn ich schon auf den ersten Kilometern so viel Zeit verliere?


Von Schwabach führt der Weg nach Kalbensteinberg


Aber beim Aufstieg nach Hohentrüdingen komme ich wieder ins Lot: Kann man in den Buchenwäldern und den stillen Wegen des Hahnenkamms irgendwelche Zeit verlieren? Die Hohentrüdinger Kirche "St. Johannes der Täufer" hat den kleinsten und zugleich höchsten Kirchturm weit und breit: Auf einen alten Bergfried wurde ein Kirchtürmchen aufgemauert. Steile Holzstiegen führen hier nach oben und für den Aufstieg auf den ungewohnt schmalen Stufen wird man mit einem Ausblick ins Ries und auf die Hesselberg-Region belohnt. Vor dem Aufstieg sollte man nicht vergessen, einen Euro Eintritt für den Turm zu bezahlen, sonst leidet die redliche Pilgerseele. Wer möchte, kann sich bei Familie Kaiser nebenan einen Pilgerstempel geben lassen.

Auf dem Jakobsweg: Spirit tanken beim Pilger-Profi

© Foto: Babett Guthmann

Zwischen Hohentrüdingen und Hüssingen liegt ein Wald, einsam, moosgepolstert, eine Oase der Stille. Bis da zwei nette Frauen mit Pferden auftauchen. Wir halten uns gegenseitig ein Wildschutz-Gatter auf und ich kriege dafür einen Geheimtipp in Sachen Übernachtung: In Steinhart gibt es einen beheizten Schäferwagen, den können Jakobspilger außerhalb des Lockdowns mieten. Derzeit nicht! Die alte Buche am Ausläufer Hüssinger Berg ist eine echte Baumpersönlichkeit, die ich in guter Erinnerung behalte.

Befremdlich aufgeräumt in Corona-Zeiten

Kurz vor Steinhart überquert der Jakobsweg die Grenze zum Landkreis Donau-Ries. Dort, wo in Steinhart der Pestwurz blüht, gibt es einen Rastplatz mit Brunnen, von dessen Anziehungskraft ich erst später erfahren soll. Auch den Weg zur in den Karten eingezeichneten Burgruine finde ich nicht. Also weiter nach Hainsfarth, bekannt für die dortige Synagoge, die heute als Gedenk- und Kulturstätte dient. Auch diese Synagoge wurde in der Reichspogromnacht gestürmt, aber nicht vollends zerstört.


Die Etappe von Kalbensteinberg nach Gunzenhausen ist unspektakulär


Befremdlich aufgeräumt ist es hier in Corona-Zeiten: ein leerer Schaukasten, in dem sonst Veranstaltungen angekündigt werden, die recht nüchternen Hinweistafeln des Landesamts für Denkmalpflege, die die Vertreibung und Deportation der jüdischen Hainsfarther nicht erwähnen. Auf der Internetseite des Ortes finde ich einen ausführlichen Eintrag zum früheren jüdischen Leben und zur wechselvollen Geschichte der Synagoge.

In Hainsfarth habe ich mich lange aufgehalten. Jetzt bin ich spät dran, muss aber doch unbedingt Ernst Steinackers Jakobus vor der Jakobskirche nahe dem Schloss begrüßen!

Aber meine Zeremonie mit den weit ausschreitenden Jakobus fällt sehr, sehr kurz aus, denn das Corona-Dilemma hat mich wieder eingeholt: Man kann ja nirgends übernachten, und in wenigen Minuten fährt der letzte Hauck-Bus des Tages an der Lange-Mauer-Straße ab. Maps lotst mich hin und her, mein Akku ist fast leer, und ich finde da weder eine Straße, noch eine lange Mauer, nur einen Park. Da gehe ich rein und frage ein paar Jugendliche, die sich entweder aus sicherer Entfernung unterhalten oder übelst anpöbeln. Zu mir sind sie jedenfalls supernett und zeigen mir den Weg.


Jetzt geht es von Gunzenhausen aus hinauf in den Hahnenkamm


Kurz darauf sitze ich als einziger Fahrgast im Kleinbus, unterwegs nach Heidenheim. Bettina Bauer, die Busfahrerin, kündigt mir an, dass die Fahrt fast eine Stunde dauern wird, weil wir allerhand Dörfer abklappern. Aber mit ihr wird es nicht langweilig: Sie entpuppt sich als perfekte Fremdenführerin, erklärt mir, wo in Steinhart die sehenswerte Burgruine steht. Sie weiß auch, dass die Steinharter Quelle ganz besonders gutes Wasser hat. Hier stehen oft Leute mit Kanistern an und füllen Wasser ab.

Ansonsten ist das Busfahrerinnendasein in Kurzarbeit derzeit eher weniger unterhaltsam: Sie vermisse die Schulkinder, erzählt die Fahrerin. Gerade die älteren Kinder hat sie nun schon fünf Monate lang nicht gesehen. Wir gondeln von Dorf zu Dorf, durch manche Orte bin ich heute gelaufen, andere Ortsnamen habe ich noch nie gehört. Mal reden wir, mal schweigen wir gemeinsam. Eine gute Mischung nach der einsamen Wanderung. Und ein guter Abschluss des offiziellen Teils meiner Pilgerwanderung auf dem Jakobsweg. Inoffiziell muss ich noch weiter wandern und werde wohl noch allerhand Etappen in Richtung des noch fast 2600 Kilometer entfernten Santiago de Compostela bewältigen. Weiterpilgern, bis ich geimpft bin…

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