Banker taucht in Schloss Cronheim in eine fremde Welt ein

8.12.2017, 17:20 Uhr
Banker taucht in Schloss Cronheim in eine fremde Welt ein

© Foto: Marianne Kirchmeyer

Erfahrungen im sozialen Bereich? Die hat Druschel kaum. "Zehn Jahre Katastrophenschutz", sagt er, die hat er gemacht. Am ehesten hätte er wohl noch in der Kasse und der Verwaltung wirklich helfen können, sagt er im Scherz, meint es aber auch ein kleines bisschen ernst.

In das AWO-Therapiezentrum Schloss Cronheim kommen Menschen, denen nicht mehr viele Auswege im Leben bleiben. 60 stationäre Plätze für chronisch Alkoholkranke gibt es hier, 20 ambulante. In der sozialen Einrichtung, die von der Arbeiterwohlfahrt getragen wird, sollen die Klienten, so heißen die Bewohner im Fachjargon, wieder lernen, Struktur in ihren Alltag zu bringen und ihr Leben langsam wieder in den Griff zu bekommen, sodass sie irgendwann einmal, vielleicht, hoffentlich, wieder ohne Unterstützung durchs Leben gehen können.

Rollentausch soll Verständnis schaffen

Das ist ein Setting, das Druschel, wie auch den meisten Menschen, nicht geläufig sein dürfte. Genau deshalb gibt es den Rollentausch. Er soll Personen des öffentlichen Lebens, Politikern, Bankvorständen, Chefs zeigen, wie soziale Arbeit wirklich funktioniert.

Bei Druschel hat das geklappt. "Die Klienten sind alle top motiviert, das ist toll zu sehen", sagt er, und Frank Genahl lächelt. Klar, das seien sie. "Aber das ist wie wenn Sie ein Kind zu Verwandten geben, die es noch nicht kennt. Da wird es sich auch von seiner besten Seite zeigen", erklärt der Leiter der Cronheimer Therapieeinrichtung. Ganz ungefiltert war der Eindruck also nicht, den Druschel bekommen hat, aber er kommt dem Alltag in Schloss Cronheim doch sehr nahe.

Beginn in der Küche

Druschels Rollentausch beginnt morgens in der Küche. Das reinweiße Sparkassenvorstands-Hemd ist auch am Abend noch immer strahlend, in der Küche bekommt er einen Kittel zum Überziehen. Es gilt, ein Salatbufett für das Mittagessen vorzubereiten. Anschließend geht es zur kognitiven Therapie.

Die nächste Station ist die Ergotherapie. Stricken und Stoff-Verarbeitung stehen hier auf dem Programm. "Eine rechts, eine links, eine fallen lassen", so ungefähr wäre das gelaufen, sagt er mit leiser Selbstironie. Ihm blieb erst mal das Zusehen, denn gestrickt, das hat er zuletzt in der Grundschule. "Mit der Strickliesel", kommentiert er.

Geschickt anstellen, das muss man sich auch beim Modellbau in der Holzwerkstatt. Hier wurden schon allerhand Modelle gebaut, etwa das der Gunzenhäuser Synagoge. Für die geschickten Holzhandwerker kein Problem, Druschel aber lässt auch hier lieber die Finger davon. Obwohl sein Vater Zimmerer war, hat er das handwerkliche Talent nicht geerbt, ist eben durch und durch Kaufmann und hat sich nach eigenen Worten beim Heimwerken erst kürzlich eine Blutblase geholt. Dafür kann er mittags im betreuten Wohnbereich bei der Essensausgabe zupacken. Auch bei einem Gespräch mit dem Sozialdienst ist er dabei. "Motiviert sind hier alle", so sein Fazit, erstaunt hat ihn allerdings, "wie unterschiedlich die Leistungsfähigkeit der Bewohner ist".

Sechs Monate bis zwei Jahre sind die Klienten der Arbeiterwohlfahrt in der Regel in Schloss Cronheim, ein Platz kostet rund 3000 bis 4000 Euro im Monat, dafür kommt in der Regel der Bezirk auf, auch ein paar Selbstzahler gibt es. Sie alle sind freiwillig hier, betont Einrichtungsleiter Frank Genahl, aber oft bleibe ihnen keine andere Wahl, denn sonst drohe ihnen Obdachlosigkeit.

Struktur schützt Bewohner

Wenn die schützende Struktur wegfalle, erklärt Genahl, dann kämen oft die Rückfälle. Seltener in der Einrichtung. Denn hier gilt strenges Alkoholverbot, wer sich nicht daran hält, fliegt raus.

Allein in diesem Jahr seien zwölf Menschen, die die Einrichtung verlassen haben, innerhalb kürzerer Zeit gestorben, erklärt Genahl. Ihnen fehlte die Sicherheit, die Struktur des Lebens, wie es in Schloss Cronheim gelebt wird. Platz für Sozialromantik ist hier nicht. Das ist das harte Leben auf der nicht so strahlenden Seite der Gesellschaft. Und weil das so ist, ist dieser Rollentausch so wichtig. Der AWO geht es auch darum, bei Entscheidungsträgern Relevanz und Akzeptanz zu schaffen für ihre tägliche Arbeit, nah am Menschen.

Die Begegnungen und Gespräche scheinen Druschel beeindruckt zu haben. Besonders hat ihn ein Mann zum Nachdenken gebracht. Der Alkoholiker, weit über 50 Jahre alt, will nach eigenen Worten trotzdem etwas aus seinem Leben machen. Er fährt viel Fahrrad, bis zu 10 000 Kilometer im Jahr, und sagt: "Ich will keinen Tag verschenken." Das, sagt Druschel, wird ihn noch eine Weile begleiten.

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