Behinderten eine Woche an Bett gefesselt: Pfleger verurteilt

20.10.2020, 19:09 Uhr

Wegen schwerer Freiheitsberaubung wurde der 32-Jährige zu 19 Monaten Freiheitsstrafe verurteilt, der Vollzug der Strafe wurde zur Bewährung ausgesetzt. Eine Geldauflage von 1400 Euro und ein Berufsverbot kommen hinzu.

Die Gurte sind aus dickem Baumwollstoff, sie fesseln die Arme, die Beine und den Bauch am Bett - "Fünf-Punkt-Fixierung" lautet der Fachjargon in der Pflege, gestattet ist eine derartige freiheitsentziehende Maßnahme nur mit Gerichtsbeschluss. Es gilt zu verhindern, dass Menschen, wenn sie krankheitsbedingt außer Rand und Band geraten, sich selbst oder andere verletzen.

Doch der angeklagte Pfleger schrieb eine Dienstanweisung, die in ihrem Wortlaut klang, als sollte ein Bewohner diszipliniert werden. Am 16. Juni 2016 instruierte er die Mitarbeiter, selbst die Mahlzeiten und die Pflegemaßnahmen sollten im Bett stattfinden. Der Bewohner sollte so lernen, sich an die Regeln der Gruppe zu halten.

Auch zum Duschen und Frühstück fixiert

Tatsächlich dokumentierten die Pflegekräfte schriftlich, wie sie die Dienstanweisung umsetzten: Vom 16. Juni bis 25. Juli 2016 hieß es für den Patienten immer wieder "Fünf-Punkt-Fixierung". Selbst zur Morgentoilette, zum Duschen und zum Frühstück wurde er auf dem WC-Stuhl fixiert, anschließend immer wieder, damit sein Körper nicht wundliegt, in neuer Position im Bett festgeschnallt.

Oberstaatsanwalt Matthias Soldner spricht im Amtsgericht Ansbach zunächst von "Methoden, wie aus der Steinzeit der Psychiatrie", doch räumt am Ende der Beweisaufnahme ein, dass die Anklagevorwürfe gewaltig geschrumpft sind: Der Pfleger hatte für den angeklagten Zeitraum tatsächlich keinen richterlichen Beschluss, doch in den Wochen vorher gab es immer wieder Genehmigungen zur Fixierung des Patienten. Über Verteidiger Dieter Widmann schildert der Angeklagte, dass der Patient Regale aus der Wand gerissen hatte und einen Kaffeeautomaten. Er schlug nach den Pflegern und stürzte sich selbst mit dem Gesicht voraus zu Boden.

Ausgerechnet die Schwester (29) des geschädigten Patienten ist voller Lob für das Heim: Ihrem Bruder ging es dort so gut wie niemals zuvor. Er litt an Schizophrenie, sein Gefühls- und Gemütsleben veränderte sich ständig. Hinzu kam eine Störung der Impulskontrolle, und er kämpfte mit epileptischen Anfällen. Sie beschreibt einen Bruder, der als Erwachsener über so gewaltige Kräfte verfügte, dass es nicht möglich war, mit ihm zu Hause zu leben.

Pfleger wirkte überfordert

Die Familie erlebte eine Odyssee von Einrichtung zu Einrichtung, über die Grenzen der Bundesländer hinweg, denn immer wieder kündigten die Wohnheime den Platz. Zeitweise lebte er in der Psychiatrie, auch dort sei es ständig zu Ausnahmesituationen gekommen, ihr Bruder wurde häufig in reizarmen Räumen, so genannten Time-Out-Räumen, beruhigt oder fixiert. Erst das Heim im Landkreis Ansbach nannte er sein Zuhause. Am Ende der Beweisaufnahme ist das Gericht überzeugt: Misshandeln wollte der Pfleger den Patienten nicht, er wirke eher überfordert vom Beruf. Als die Ermittlungen nach einer Kontrolle des Landratsamtes Ansbach ins Rollen kamen, verhängte die Behörde ein vorläufiges Berufsverbot. Die Voraussetzung für die Bewährungsstrafe: O. akzeptiert das Berufsverbot in der Pflege. Der geschädigte Patient ist im Übrigen im März 2020 im Alter von 30 Jahren nach einem Schlaganfall gestorben.

Für so genannte freiheitsentziehende Maßnahmen in der Pflege, gemeint sind Fixierungen, hochgezogene Bettgitter, aber auch Medikamente mit sedierender Wirkung, braucht es eine Einwilligung. Der Patient kann grundsätzlich selbst zustimmen, ist ihm dies nicht möglich, muss eine Fixierung nach Begutachtung durch einen Betreuungsrichter genehmigt werden. Akute Gefahr bildet die einzige Ausnahme: Randaliert ein Patient in einer Klinik, und ist zu nachtschlafenden Zeit kein Richter erreichbar, der über eine Fixierung entscheidet, dürfen Ärzte und Pflegekräfte den Patienten in diesem Notfall auch mit Zwang beruhigen und ihn bändigen. Es gilt, den Patienten selbst und das medizinische Personal zu schützen. Doch das Bundesverfassungsgerichts wies erst vor zwei Jahren (Az.: 2 BvR 309/15) darauf hin, dass eine Genehmigung durch den Betreuungsrichter unverzüglich nachgeholt werden muss - stellt doch die Fixierung eines Patienten einen Eingriff in dessen Grundrecht auf Freiheit der Person dar. Zulässig ist sie nur als letztes Mittel.