Das Umsteuern kann noch gelingen

26.10.2019, 18:00 Uhr
Das Umsteuern kann noch gelingen

© Wolfgang Dressler

Zwei Minuten und 18 Sekunden hat der Rheinländer (Geburtsort: Bonn) Zeit, um kurz vor 20 Uhr in der ARD das Wetter für die nächsten Tage zu verkünden. In der Stadthalle von Gunzenhausen, wohin er auf Einladung der Raiffeisenbank gekommen ist, kann er ganz anders agieren. Er schlägt den großen Bogen, kann weit ausholen, endlich einmal die Zusammenhänge so erklären, wie sie es verdienen und wie es nötig ist. Und es macht ihm richtig Spaß, das ist der vorherrschende und sehr erfreuliche Eindruck. Einen so gut gelaunten Vortragenden, fast möchte man sagen: Dozenten, sieht die Stadthalle eher selten.

Der Diplom-Meteorologe findet die richtige Balance zwischen der Behandlung eines überaus ernsten Themas – des Klimawandels – und dem, wie man es beschreiben sollte. Er empfiehlt, trotz aller Bedrängnis optimistisch zu bleiben und auch mal zu lachen. Noch habe man etwas Zeit, um umzusteuern. Und dieses Umsteuern bezeichnet er als anstrengend, es kann seiner Überzeugung nach aber auch Spaß machen und neue Horizonte eröffnen.

Wärmer als normal

Ausführlich zeigt der Fernsehmann, der auch schon Bücher geschrieben hat, auf, wie sehr das Wetter aus den Fugen geraten ist. Es ist erwiesen, dass Dürre, Hitze und Trockenheit zunehmen und es im Winter seltener richtig kalt wird. Dabei kommt es auf Trend an, und der zeigt: Seit 23 Jahren ist jedes Jahr wärmer gewesen als das langjährige Mittel. Die Klimaforscher haben das im Übrigen bereits 1990 vorhergesagt. Unvergessen ist der ewige Sommer von 2018. Am 1. April war es noch richtig kalt, ab dem 2. April kehrte der Sommer ein und blieb bis weit in den Oktober hinein – das Frühjahr fiel aus.

Die Auswirkungen der Erderwärmung sind auch in Deutschland erkennbar, aber noch viel stärker anderswo auf dem Planeten. Im kühlen Schweden traten Waldbrände auf, diese waren in Sibirien von einer schier unvorstellbaren Dimension. Im Januar 2019 fielen am Alpenrand Massen an Schnee, und im Februar kletterte das Thermometer an der Saar auf 22,3 Grad. Mehrmals betont Plöger, dass es beim Wetter schon immer solche Ausschläge nach unten und oben gegeben hat. Neu ist die Ballung der Extreme. Im Übrigen: Mit "Wetter" beschreibt man einen aktuellen Zustand an einer gewissen Stelle. Unter "Klima" verstehen die Wissenschaftler die Statistik des Wetters, und die nimmt der Mensch nicht richtig wahr, weil sie langsam abläuft (wenn auch schneller als früher). Die Messwerte und mathematischen Berechnungen der Wetterkundler lassen indes keinen Zweifel. Der Klimawandel schreitet voran, die Atmosphäre hat sich um ein Grad erwärmt, und wenn die Menschheit die Zunahme auf zwei Grad begrenzen will, dann muss sie viel tun.

Plöger outet sich als jemand, der für die internationale Zusammenarbeit der Staaten eintritt. Diese sollen einfach tun, was auf internationaler Ebene verpflichtend vereinbart worden ist. Mit Besorgnis sieht er, wie US-Präsident Trump agiert und vieles ignoriert. Deshalb sein Statement: "Populismus hat noch nie Konflikte gelöst." Am meisten Kummer hat der Referent mit der Tatsache, dass Trump überhaupt gewählt wurde. Das macht der rheinländischen Frohnatur tatsächlich zu schaffen. Dem vermeintlichen Umwelt-Vorreiter Deutschland liest er die Leviten. Hierzulande ist die Rhetorik beim Thema Klima gut, aber gehandelt wird wenig und das dann nicht so konsequent. Das Bild vom "Klima-Retter" passt nicht. Jeder Deutsche hat einen CO₂-Ausstoß von neun Tonnen im Jahr, die Chinesen kommen auf 6,8 Tonnen, die Inder auf 2 Tonnen. Was also tun? Plöger will den Deutschen nicht ihr Auto wegnehmen, er will auch niemandem vorschreiben, welches Auto er zu kaufen hat. Doch darf jeder nachdenken, ob er tatsächlich Tonnen an Metall (SUV!) bewegen muss, damit eine Person von A nach B kommt.

Der Meteorologe selbst ist bekennender Bahnfahrer, nimmt dabei den Fahrplan nicht so ernst (eher ein "Vorschlag"). Dennoch ist er nach Gunzenhausen mit dem Auto angereist, da ist er ehrlich zu seinen Zuhörern.

Neue Wege erforschen

Was die Menschen nicht tun sollen und dürfen, ist, weiterhin auf das Verbrennen fossiler Stoffe zu setzen. Also: Hände weg vom Erdöl, das in der Arktis im Boden schlummert! Die Menge an Sonnenenergie ist so riesig, dass hier ein gewaltiges Potenzial vorhanden ist. Das bedeutet, die Nutzung von Wind, Wasser und Biomasse auszubauen. Plöger selbst setzt stark auf den Wind, und er ist auch ein Freund der Brennstoffzelle. Er weiß um die technischen Probleme, und er weiß auch um das Befinden der Menschen, etwa: Windkraft ja, aber bitte keine Anlage in meiner Heimat! Es gilt nach seiner Meinung, bei neuen Techniken verschiedene Wege zu erforschen und die Nutzungsarten zur Serienreife zu bringen.

Das Umsteuern kann noch gelingen

© Wolfgang Dressler

Aber hat das Ganze überhaupt einen Sinn, wo doch die Menschheit immer weiter wächst und die paar Millionen Deutschen eh nichts ausrichten können? Hier kommt von ihm ein klares Ja. Erstens muss es die Menschheit hinbekommen, den Energieverbrauch und die Emissionen zu entkoppeln – das kann gelingen. Und zweitens hat Deutschland die Chance, eine Art Vorreiterrolle zu übernehmen. Die Energiewende ist "unvermeidbar", und wenn sie hier vollzogen wird, dann schauen andere darauf und machen sie nach. Plöger nennt explizit China: Dort wird sich garantiert etwas tun, falls der Pionier Deutschland Erfolg hat.

Bevor er dann doch zum Schluss kommt, nennt Plöger noch den Grund, warum die Wetterextreme zunehmen. Die Erwärmung von Luft und Wasser schlägt ganz stark in der Arktis aus. Der Unterschied zu den Tropen wird kleiner, die ausgleichende Strömung (Jet Stream) in der oberen Atmosphäre verringert sich. In der Folge wandern die Hochs und Tiefs nicht mehr so schnell, sie bleiben "liegen", zum Beispiel über Mitteleuropa.

Vor dem Hauptredner Sven Plöger hat der erste Referent, Vertriebsdirektor Helmut Batz von Union Investment, auf das Thema Nachhaltigkeit bei der Geldanlage eingestimmt. Immer mehr Investoren wollen sichergestellt wissen, dass große Firmen gemäß den von den UN formulierten grundlegenden Zielen handeln, bei Umwelt, Sozialem und Unternehmensführung eher vorbildlich sind, ebenso beim CO₂-Ausstoß. Adidas hat hier Erfolge vorzuweisen, der Aktienkurs klettert seit Jahren. Auf der anderen Seite hat Bayer durch den Kauf von Monsanto (Hersteller von Glyphosat) in vielerlei Hinsicht Minuspunkte gesammelt.

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