Ein Dorf mit Kampfeswillen und gutem Zusammenhalt

Marianne Natalis

Altmühl-Bote

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8.10.2016, 18:01 Uhr
Ein Dorf mit Kampfeswillen und gutem Zusammenhalt

© Marianne Natalis

Mittwochs treffen sich die Walder nachmittags in ihrem Dorfladen, denn an diesem Tag steht selbst gemachter Kuchen auf dem Speiseplan. Dass es das Geschäft samt Café überhaupt gibt, ist nicht selbstverständlich. Dafür haben sich die Dorfbewohner auf die Hinterfüße gestellt. Nach dem Tod von Bäcker Erwin Horn im Dezember 2009, schien auch Wald den Weg vieler Dörfer auf dem Land gehen zu müssen und künftig ganz ohne Lebensmittelladen dazustehen. „Das kann nicht sein!“, dachten sich die Walder und so „organisierte“ man ein paar Rentner, die fortan Backwaren eines Gunzenhäuser Bäckers feilboten.

Daraus entstand die Idee des Dorfladens, der nur mit ehrenamtlichen Kräften geführt wird und längst ein wichtiger Treffpunkt für Einheimische und Urlauber ist. Vom Honig bis zu den Nudeln werden regionale Lebensmittel angeboten, im „Weltweit-Regal“ findet sich darüber hinaus alles, was man sonst noch so zum Leben braucht: Klopapier, Zahnpasta oder Waschmittel. Der öffentliche Bücherschrank lädt zum Literaturtausch ein, die gemütliche Sitzecke zum Verweilen. Während Marion Schwarz, und ihre Ingeborg Herrmann, beide vielfältig im Ort engagiert, übersprudelnd von ihrem Dorf erzählen, bimmelt ständig das Glöckchen an der Tür. Der Einen fehlt daheim ein Liter Milch, der Andere will sich den leckeren Blaubeerkuchen nicht entgehen lassen.

Wie sehr sie an ihrem Heimatdorf hängt, das erfuhr Marion Schwarz in Kanada. Dort lebte sie eine Zeitlang mit ihrer jungen Familie. Eines Tages telefonierte die heute 40-Jährige mit ihrer Mutter und hörte im Hintergrund die Kirchenglocken läuten. Völlig unverhofft wurde sie von Heimweh gepackt nach diesem Zuhause, wo jeder jeden kennt, wo, wenn es darauf ankommt, ein ganz besonderer Zusammenhalt herrscht.

Ein Dorf mit Kampfeswillen und gutem Zusammenhalt

© Marianne Natalis

Beispiele dafür haben Marion Schwarz, die Vorsitzende des Heimatvereins, und Ingeborg Herrmann zuhauf auf Lager, sie reichen vom Dorfladen über die sehr erfolgreiche Teilnahme am Wettbewerb „Unser Dorf hat Zukunft“ bis hin zur Kirchengemeinde. Die Walder sollten nämlich, erfuhren sie eines Tages aus dem Sonntagsblatt, den Pfarrsitz an das Nachbardörfchen Stetten verlieren. Ein Unding, zumal doch mit Dr. Hermann von Bezzel der erste bayerische Landesbischof aus dem Ort abstammt. Gemeinsam stellte sich die Bevölkerung auf die Hinterfüße und erreichte, dass Wald seinen Pfarrsitz behalten durfte.

„Wenn wir etwas wirklich wollen, dann kämpfen wir auch darum“, sagt Marion Schwarz und man merkt ihr dabei an, dass es gerade dieser Zusammenhalt ist, der ihr hier so gut gefällt. „Man sollte die Walder nicht unterschätzen“, unterstreicht sie und führt den Kampfeswillen auf eine weit in der Geschichte liegende Besonderheit zurück: Wald lag schließlich auf der germanischen, und damit auf der wilden und ungezähmten Seite des Limes.

Erstmals urkundlich erwähnt wird der Ort 1221. Das niedere Adelsgeschlecht derer von Walde hatte hier seinen Sitz, die Veste gehörte mal zum Kloster Heidenheim, mal zu den Lentersheimern, Raubritter Eppelein von Geilingen spielte eine Rolle, die Burg wurde ein Lehen der Markgrafen zu Brandenburg-Ansbach, evangelische Glaubensflüchtlinge aus Oberösterreich fanden hier eine neue Heimat. Im 17. Jahrhundert erhielten die Freiherren von Zocha das Rittergut Wald als markgräfliches Lehen. Das war für das Dörflein nicht die schlechteste Entscheidung, denn die Zochas haben unter anderem mit einem Schlösschen, dem Amtshaus und der Kirche sehr ansehnliche Spuren hinterlassen.

Segeln. reiten, musizieren

Andere Orte haben ihren Fußball- und ihren Schützenverein, die Walder gehen segeln, reiten und vor allem musizieren sie. Im Kirchenchor, im Gesangverein, bei den „Gmabüschsängern“ oder der Walder Dorfmusik. Hier gibt es klassische Konzerte und klangvolle Sommerabende, das „höfische Leben“ wird zelebriert und wer es lieber ein bisschen schräger, humorvoller mag, der ist im „Herrmannsstadel“ am richtigen Platz. Die Scheune ist seit Ende der 1970er Jahre ein skurriler Ort für kabarettistische Veranstaltungen.

Es gibt zwar viele Vereine, aber der klassische „Vereinsklüngel“ wird in Wald nicht gepflegt und auch „Standesdünkel“ kennt man hier nicht, versichern Rudi Herrmann und Georg Schwarz unisono. Tolerant seien die Leute und auch offen für neue Mitbürger, darauf legt die immer größer gewordene Runde am Tisch großen Wert. Wer sich hier nur ein bisschen für das Dorfgeschehen interessiere, der werde freundlich in die Gemeinschaft aufgenommen, bestätigt Vera Held, und auch die Jugend ist gut integriert. Schon die Heranwachsenden werden laut der 32-Jährigen im Ort Ernst genommen und in die Vereine mit eingebunden. Die soziale Kontrolle — „jeder kennt jeden“ — hat sie selbst oft als positiv empfunden.

Erst im vergangenen Jahr war diese Offenheit durchaus einer größeren Belastungsprobe ausgesetzt, der man in Wald aber gewohnt unaufgeregt und zupackend begegnet ist. Zwar wurden nirgendwo „refugees welcome“-Transparente aufgehängt, doch als im Sommer 2015 die Zahl der Flüchtlinge, die in den früheren „Seestuben“ untergebracht waren, auch in dem 600-Seelenort deutlich zunahm, gründeten die Walder kurzerhand die „Flüchtlingshilfe Wald“, die längst weit über die Grenzen des Dorfes hinaus ein großes Netzwerk aufgebaut hat. Mit großer Zufriedenheit konstatierten die Alteingesessenen dabei, dass sich hier auch Neubürger mit einbringen und einmal andere als sonst in die erste Reihe stehen. Ansonsten sind die Asylbewerber kein Thema in Wald. Sie gehören einfach dazu, man kennt sie zum Teil namentlich. Mit Menschen, die ins Exil gehen müssen, hat man in Wald schließlich Erfahrung.

„Wir sind doch alles kleine Leute hier“, damit erklärt sich für Rudi Herrmann der gute Zusammenhalt im Dorf. Natürlich gibt es auch in Wald „Querelen“, weiß Marion Schwarz, aber die Grundstimmung ist gut, man hält zusammen. Da macht auch die ortsansässige Adelsfamilie keine Ausnahme, sei es beim alljährlichen Heimatfest im Gutshof, bei der Herausgabe des Heimatbuchs oder als es darum ging, sich für den Wettbewerb „Unser Dorf hat Zukunft“ besonders vorteilhaft zu präsentieren.

Kinder mit der Herzensdame

Die Freiherren von Falkenhausen leben seit Generationen im Ort und führen ihren Titel durchaus selbstbewusst. Zu verdanken haben sie ihn ihrer Urahnin Elisabeth Wünsch, der Geliebten des als Wilden Markgrafen in die Geschichte eingegangenen Carl Wilhelm Friedrich zu Brandenburg-Ansbach. Der Fürst, dessen größte Passion die Falknerei war, hatte mit seiner Herzensdame einige Kinder und wollte diese wohl versorgt wissen. Deshalb ersuchte er bei Kaiser Franz I. darum, dass die Familie in den Freiherrenstand erhoben wurden.

Davon abgesehen war Wald aber ein „richtiges Bauerndorf“, weiß Ingeborg Herrmann. Und wie allen Landwirten bedeutete auch den Walder Bauern ihr Grundbesitz alles, selbst wenn es sich nur um ein „paar saure Wiesen“ handelte. Entsprechend reagierte sie wenig begeistert, als der Landtagsabgeordnete Ernst Lechner in den 1960er Jahren mit seiner Idee, hier einen Wasserspeicher zu bauen, daherkam. Am Ende ließen sie sich aber überzeugen, und heute will wohl niemand in Wald den Altmühlsee als Teil des Fränkischen Seenlands missen. Wie wichtig der Tourismus heute für das Dorf ist, lässt sich am deutlichsten an den Zahlen ablesen: 1972 gab es in Wald acht Fremdenzimmer mit insgesamt 16 Betten. Heute können in rund 60 Ferienwohnungen bis zu 240 Urlauber unterkommen, dazu gibt es noch etwa 60 weitere Zimmer.

Letztendlich hat sich der See als Segen für den Ort, der 1972 zu Gunzenhausen eingemeindet wurde, erwiesen. Dem wollten der Walder Heimatverein mit einem Fischerfest gerecht werden. Unstimmigkeiten mit der zuständigen Behörde waren natürlich kein Grund zum Aufgeben, mittlerweile sitzt die Stadt Gunzenhausen als Veranstalter mit im Boot.

Im Dorfladen ist die Tischrunde derweil längst zu spannenderen Themen abgedriftet. Es geht um die Frage, wo man die beste Stadtwurst kaufen kann und ob man den Unterschied tatsächlich auch schmecken würde? Das könnte man ja, sind sich schnell alle einig, bei einem der Themenabende, die im Winterhalbjahr angeboten werden, einmal ausprobieren.

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