Ein ganz dunkles Kapitel Gunzenhausens

11.11.2018, 17:05 Uhr
Ein ganz dunkles Kapitel Gunzenhausens

© Wolfgang Dressler

Es ist schon ein Kreuz mit dem Zusammenleben von Deutschen und Juden in einem Land. Die Last der Vergangenheit kann erdrückend sein, das Wissen um den Massenmord verkompliziert die Gegenwart. Es gibt Unverständnis übereinander, und es gibt die dauernde, vielleicht gar nicht bewusst gewollte Unterscheidung in wir, die Deutschen, und die da, die jüdischen Mitbürger, die wir anders behandeln (müssen?), eben weil es zum Massenmord unter den Nazis gekommen ist.

Solche Einschätzungen und Gedanken erfüllten am Freitagabend den großen Saal des Lutherhaus, wohin die Stadt und die Kirchen (evangelisch, katholisch, Hensoltshöhe) zur Gedenkfeier am schwierigen Jahrestag 9. November eingeladen hatten. Es sollte um das schurkische Verhalten der Nazi-Schergen vor genau 80 Jahren in der Altmühlstadt gehen, als die Juden drangsaliert, gedemütigt, eingesperrt wurden, das Ganze unter den Augen der "normalen" Bevölkerung, die zum Großteil längst in den Kategorien der NS-Propaganda dachte. Diesmal sollte aber der Bogen weiter gespannt werden, eben bis in die Gegenwart – eine Zeit, in der es weiterhin keine jüdische Kultusgemeinde in Gunzenhausen gibt, aber vielfältiges Leben in den größeren deutschen Städten sich entwickelt hat.

Bürgermeister Karl-Heinz Fitz hat – wie auch seine Vorgänger – schon mehrmals bewiesen, wie wichtig ihm die offene Auseinandersetzung mit der unseligen Geschichte ab 1933 ist (in Gunzenhausen, das extrem "braun" wurde, eigentlich schon früher). Im Lutherhaus nannte er den 9. November 1938 einen der schwärzesten Tage unserer Geschichte und ein dunkles Kapitel in der Stadtgeschichte. Die schmerzhafte Erinnerung solle nicht verhindern, sondern im Gegenteil geradezu Ansporn sein, den Blick nach vorn zu richten. Da gelte es, menschenverachtende Aktionen im Deutschland unserer Tage zu verhindern. Fitz machte deutlich, dass die in Gunzenhausen gepflegte Erinnerungskultur zu vielen Besuchen aus anderen Ländern geführt hat, Nachkommen der damaligen Überlebenden wollen sehen, wo ihre Vorfahren lebten, und sie suchen das Gespräch. Für 2019 und 2020 plant die Stadt einen Jugendaustausch mit der israelischen Stadt Rishon LeZion.

Dekan Klaus Mendel stellte mit Schärfe in der Stimme fest, dass der Antisemitismus zurück in Deutschland sei. Unter den hiesigen Juden gingen das Gefühl der Diskriminierung und Angst vor psychischer und physischer Gewalt um. In der Folge bemühten sie sich, nicht aufzufallen, sie schwiegen, "sie schieben die Baseballmütze über die Kippa". Dabei wollten die meisten hier leben, hier gestalten, hier im öffentlichen Leben mitwirken. Dass die Pogromnacht, die früher allgemein Reichskristallnacht genannt wurde, bereits 80 Jahre zurückliege, könne dazu führen, dass das Entsetzen schwinde und sich Verharmlosung breit mache. Dem stellte sich der Dekan entgegen: Es gelte, allen Formen von Judenfeindschaft und Antisemitismus entgegenzutreten. Und: "Christlicher Glaube und Judenfeindschaft schließen einander aus. Antisemitismus ist Gotteslästerung!"

Ein ganz dunkles Kapitel Gunzenhausens

© Wolfgang Dressler

Der katholische Stadtpfarrer Christoph Witczak las einen Psalm vor. Darin kommt die Verzweiflung des jüdischen Volkes in schwerster Bedrängnis zum Ausdruck, aber auch die absolute Hinwendung zu Gott als letztem Zufluchts- und Hoffnungsort.

Stadtarchivar Werner Mühlhäußer skizzierte die Ereignisse am 9. November 1938, als die 55 verbliebenen Gunzenhäuser Juden Todesängste ausstanden. Die scheinbare Normalität fand ein jähes Ende mit den gewaltsamen Aktionen gegen die Juden und ihr Hab und Gut. Viele (auch aus dem Umland) landeten im Gefängnis, manche danach im KZ. Alle wussten, dass es für sie in Deutschland keine Zukunft geben sollte. Die Augenzeugenberichte von damals drücken nicht annähernd aus, was die "Horrornacht" für die Opfer bedeutete, sagte Mühlhäußer.

Der Archivar nahm kein Blatt vor den Mund, als er die schlimme Rolle der Stadt Gunzenhausen darlegte. Sie nahm jüdische Häuser zu einem Spottpreis in Besitz, kaufte einen Tag vor dem Pogrom die Synagoge. All dieser neue Besitz blieb unangetastet. Die Juden zogen in den Folgemonaten überstürzt weg, zurück blieb ihre Habe, die die Stadt günstigst übernahm. Der Hausrat wurde dann der heimischen Bevölkerung angeboten, es entwickelte sich ein regelrechter Kaufrausch. Die einst jüdischen Immobilien wurden von der Stadt verkauft oder vermietet, auch das war ein gutes Geschäft für die Stadtkasse.

Mühlhäußer hatte auch nach Spuren jüdischen Lebens ab 1945 geforscht – eine traurige, beschämende Geschichte. In der Besatzungszeit gab es Bestrebungen, eine neue jüdische Kultusgemeinde aufzubauen. Mitglieder sollten auch Juden aus Polen werden, die sich in der alten Heimat bedrängt sahen. Die hiesigen Kommunalpolitiker stellten sich dem entgegen, und zwar mit offen antisemitischen Parolen und Vorurteilen. Was Mühlhäußer dazu in den Unterlagen entdeckte, empfand er als schockierend. Die Synagoge wurde schließlich 1949 zu einer Kaufhalle.

 

Keine Kommentare