"Ein sehr ordentlicher Hitler" am Altmühlsee

16.6.2019, 13:44 Uhr

© Jürgen Eisenbrand

Rückblende: Im Urlaub hatte der gebürtige Nürnberger, der seit 2001 in München lebt, erstmals davon gehört, dass Hitler nach "Mein Kampf" noch ein zweites, niemals veröffentlichtes Buch verfasst hatte. Seine spontane Idee: Dann könne er ja dessen drittes schreiben.

Das Ergebnis war 2012 eine 400 Seiten starke, fulminante Satire im Hitler-Duktus, die 20 Wochen lang auf Platz 1 der Spiegel-Bestseller-Liste stand, sich allein in Deutschland mehr als zwei Millionen Mal verkaufte, als Hörbuch ein Mega-Seller sowie im Kino erfolgreich war – und auch mehrfach als Theaterstück aufbereitet wurde.

Die Idee: Am 30. August 2011 erwacht Adolf Hitler (großartig: Gerhard Jilka) in einem Berliner Hinterhof – 66 Jahre nach seinem Tod, in einer nach Benzin stinkenden Uniform, obdach- und mittellos. Bei einem Zeitungshändler schlüpft der vermeintliche Führer-Imitator zunächst unter, verdingt sich bei ihm als Hilfskraft – und macht dann rasend schnell Karriere als neuer Stern am Comedy-Himmel.

Er räsoniert beim Betrachten einer Kochsendung über die "hervorragenden Propagandamöglichkeiten", die das Fernsehen des Jahres 2011 biete, und wie sie sie "mit der Herstellung von Lauchringen vergeudet". Und wie "schlimm die Lage sein muss, wenn dem Volk schon vormittags derart heliumleichte Unterhaltung geboten wird". Seinerzeit sei "Die Feuerzangenbowle" immerhin erst am Abend zur Ablenkung vom Kriegselend eingesetzt worden.

© Jürgen Eisenbrand

Der Hitler 2.0 bedient rassistische Klischees über Türken, Inder und Polen, er wütet gegen die "Lügenpresse", deren Schriftleiter er seine Abstammung an der Nase ansehe, er ledert gegen Multikulti ("Der Deutsche trennt seinen Abfall gründlicher als seine Rasse") – und er preist die attraktive Produktionsleiterin Bellini des TV-Senders, bei dem er seine Propagandareden halten darf, als ein "Prachtweib" vom Kaliber einer Eva oder der Riefenstahl.

Der auferstandene Hitler macht also genau da weiter, wo er 1945 aufgehört hat, und Gerhard Jilka spielt diesen "Führer" zum Fürchten gut. Stoisch in sich und seiner Figur ruhend, liefert er politisch höchst unkorrekte Pointen im Minutentakt ("Sehe ich aus wie ein Verbrecher?" - "Sie sehen aus wie Adolf Hitler." - "Eben!") und erntet dafür zuverlässig seine Lacher. Die dem Zuschauer freilich, wie von Vermes und Regisseur Frank Piotraschke beabsichtigt, ob ihrer perfiden Bösartigkeit immer wieder im Halse stecken bleiben.

Am Ende bekommen der Führer und seine TV-Crew (Rilana Nitsch, Martin Schülke und Olaf Dröge, alle in mehreren Rollen, die sie bisweilen sehr karikieren) neben unzähligen Likes im "Internetz" und explodierenden Zuschauerzahlen auch noch den renommierten Grimme-Preis. Was die vom Führer-Virus schon heftig infizierte Bellini prompt über einen "Blitzsieg" jubeln lässt. Und in der quotengeilen Mannschaft die ängstliche Frage aufwirft, ob man damit womöglich jetzt "Kultur" sei.

Nach kompakten 80 Minuten ist der doppelbödige Spaß auf der Muhrer Bühne zu Ende, und die Schauspieler ernten ebenso kräftigen wie verdienten Applaus, Jilka zudem deutlich vernehmbare Bravo-Rufe. Und man ertappt sich dabei, dass man beim Blick auf die Uhr feststellt: Diesem "Führer", diesem Medien-Irrenhaus hätte man gerne noch etwas länger beim Menschenverführen zugesehen.

Und Timur Vermes? Dem hat's gefallen, wie er sagt. Wobei auch er der Ansicht ist, das "eine Viertelstunde mehr sicher nicht geschadet hätte", um den einen oder anderen Dialog aus dem Roman nicht so sehr eindampfen zu müssen. Für Jilka hatte der zum Understatement und zur Ironie neigende Autor schließlich noch ein aufrichtiges Sonderlob parat: Der sei ein "sehr ordentlicher Hitler" gewesen.

Weitere Vorstellungen am Sonntag, 7., Donnerstag, 11., und Freitag, 19. Juli, jeweils 20 Uhr. Karten gibt’s im AIZ in Muhr am See (Schloßstraße 4) und beim Altmühl-Boten (Marktplatz 47, Mo.-Do. 8-12 und 13-17, Fr. 8-12 und 13-16 Uhr, Telefon 09831/50080)

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