Geflüchteter kocht in der Gunzenhäuser Jugendherberge

1.8.2019, 06:02 Uhr
 Geflüchteter kocht in der Gunzenhäuser Jugendherberge

© Isabel-Marie Köppel

Herr Al Dirani, ich habe mir sagen lassen, Sie können fränkische Schäufele und Falafel kochen?

Von Schäufele bis Falafel, ja. (lacht)

Sie haben vorher in Damaskus gelebt. Waren Sie da auch schon Koch?

Das mag Sie jetzt vielleicht überraschen: Ich bin eigentlich Elektriker. Aber ich hatte auch damals schon mit Essen und Kochen zu tun. Mein Vater und meine Mutter hatten in Syrien einen Falafel -Imbiss. Sagen wir, ich habe es im Blut.

Warum haben Sie Ihren Job gewechselt?

Ich bin hierher gekommen und konnte meinen Beruf nicht mehr ausüben, weil es in Deutschland kaum bis keine Stellen in dem Bereich gibt. In Syrien war ich bei einer deutschen Firma und habe Haushaltsgeräte montiert und repariert. Hier in der Jugendherberge haben wir auch ein paar Geräte davon.

Was ist in Syrien passiert, dass Sie geflüchtet sind?

Mitte März 2011 fing unser Krieg an. Erst war es nicht so schlimm. Ich habe noch ein Jahr in einer Firma als Elektriker gearbeitet. Danach war ich selbstständig mit einem Lebensmittelgeschäft. Aber 2013 bin ich dann nach Jordanien gegangen.

Warum sind Sie nach Jordanien?

Meine Eltern sind dort hin, und meine Tante lebt da. Unsere Wohnung und auch das Geschäft meines Vaters waren schon weg.

Was heißt weg?

Zerstört. Komplett. Ein paar Monate haben wir noch bei meiner Großmutter gewohnt, bevor wir nach Jordanien gegangen sind.

Wollten Sie dort neu anfangen?

 Geflüchteter kocht in der Gunzenhäuser Jugendherberge

Wir dachten, es kehrt nach ein paar Monaten wieder Ruhe ein, und dann können wir zurück. Deswegen sind viele Leute nur in die Nachbarländer. Da hat noch keiner über Europa nachgedacht. Nach drei Monaten bin ich auch wieder nach Syrien zurückgegangen. 2014 wurde es aber stressiger an der Grenze.

Wie kann ich mir das vorstellen?

Ich bin immer mit dem Fahrrad von der Stadt über die Grenze in den Landkreis gefahren. Zwei Mal haben sie mich angehalten, wollten mir mein Rad wegnehmen und mich auf einen anderen Weg schicken. Ich konnte mich rausreden. Aber das Glück hat man nicht immer.

Warum wurden Sie aufgehalten?

Sie haben jeden an der Grenze kontrolliert, weil es zu der Zeit ein bisschen gefährlich war. Es gab viele Bomben an den Autos oder auch am Fahrrad. Ich habe dann mein Geschäft verkauft und bin einfach in den Libanon gegangen, von da aus nach Algerien, Tunesien und Libyen.

Und dann?

Italien. Ich habe Glück gehabt. Von Algerien nach Libyen habe ich nur zwei, drei Tage gebraucht. Dort haben wir ungefähr 14 Tage gewartet, bis sich das Meer ein bisschen beruhigt hat. Dann bin ich zusammen mit ungefähr 150 Leuten in ein kleines Boot gestiegen – dann kam die große Überraschung.

Was ist passiert?

Nach dreieinhalb Stunden hat uns ein großes Schiff aufgenommen. Andere brauchen einen halben bis ganzen Tag, oder es passiert irgendetwas, aber wir hatten Glück.

Haben Sie auf Ihrer Flucht auch Schlepper bezahlt?

Ja, klar. Oh je, das war teuer. Wenn ich erzähle, was ich dafür bezahlt habe, sagen die Leute immer: "Puh, so viel!"

Wie viel hat Sie die Flucht denn gekostet?

So 4000 Euro – ein schönes Abenteuer. (lacht)

Okay, und irgendwann sind Sie in Nürnberg gelandet. Wie sind Sie dann zum Kochen gekommen?

Zum Kochen habe ich wegen meiner Freunde angefangen. Also die fünf, mit denen ich in einem kleinen Zimmer eines Cityhostels untergebracht war. Die wollten immer was zu essen haben. Also habe ich bei Youtube nachgesehen oder meine Mutter gefragt. Beim CVJM-Mittwochstreff habe ich auch immer gekocht. Das habe ich zwei Jahre geleitet.

Und ich habe angefangen, in einer Küche zu arbeiten für drei, vier Monate. Danach habe ich ein Praktikum im Restaurant Estragon angefangen. Nach einem Monat habe ich schon die erste kurze Beurteilung erhalten. Es war alles sehr gut. Dann durfte ich eine Ausbildung machen. Das war eine Überraschung und eine große Chance. Und es kam noch besser: Ich musste nur eine Umschulung machen, heißt: nur zwei Jahre lernen statt drei.

Mit dem CVJM haben Sie auch während der Ausbildung Kontakt gehalten?

Ich war die ganze Zeit ehrenamtlich beim CVJM dabei und habe Koch-Workshops gegeben oder beim Y-Camp mitgeholfen.

Was kochen Sie am liebsten?

Chili con Carne. Das ist mein Lieblingsessen, aber nicht im Sommer.

Ist Schweinefleisch ein Problem für Sie als Moslem?

Nein, für mich nicht. Ich esse es nicht, probiere es auch nicht, aber ich kann es schon zubereiten. Ich und auch meine Eltern haben eine offenere Einstellung. Aber es gibt immer Grenzen, die du nicht übertreten darfst, wie zum Beispiel Schweinefleisch zu essen oder Alkohol zu trinken. Eigentlich dürfte ich das Fleisch nicht mal anfassen.

Wie kommen Sie mit dem Fränkisch zurecht?

Fränkisch – bassd scho (hüstelt gekünstelt und lacht). Manchmal ist es schon schwer. Beim CVJM sprechen sie gerne Hochdeutsch mit uns, damit wir es lernen. Dialekt habe ich zum ersten Mal im Betrieb mitbekommen. Da habe ich mir gedacht: "Boah, was redet er? Ist das Deutsch?"

Sie haben vorher auf der Burg Wernfels als Koch gearbeitet. Wie läuft es in Gunzenhausen für Sie?

Es ist schon eine große Herausforderung für mich, wegen der Sprache. Das Organisieren ist in Ordnung. Auf der Burg Wernfels hatten wir fünf ausgebildete Köche. Hier bin nur ich. Momentan habe ich viele Aufgaben. Ich muss putzen, spülen, saubermachen, bestellen, kochen, vorbereiten, oder wenn eine Lieferung kommt, muss ich die auch selber aufräumen. Der erste Bundesfreiwilligendienstler kommt, glaube ich, erst in ein paar Wochen.

Gefällt es Ihnen dann überhaupt hier?

Also die Arbeit macht auf jeden Fall Spaß. Da kann ich momentan alles so machen, wie ich will, nach meinem Geschmack. Bis jetzt scheint es auch jedem zu schmecken.

Kochen Sie auch mal arabisch oder bringen eine orientalische Komponente mit rein?

Bei vegetarischen Gerichten habe ich das schon gemacht. Das Reisgericht, das ich mal gemacht habe, ist eigentlich mit Hackfleisch. Ich habe stattdessen Spargel genommen. Ich mache Bulgur-, Linsen- und Couscous-Salat – aber mit Originalgeschmack! Das ist was anderes, als das, was du im Supermarkt kaufen kannst.

Was sagt Ihr Vater jetzt, wo Sie auch in die Gastronomie eingestiegen sind?

Er hat immer gesagt: "Das ist ein schlechter Beruf." Weil du keine Zeit für Familie und so weiter hast. Deswegen habe ich Elektriker gelernt. Jetzt bin ich sogar Koch mit Zeugnis – und auch noch auf Deutsch, nicht auf Arabisch. Das wird noch schlimmer (lacht). Aber das ist cool. Ich weiß, dass ich nicht träume, aber ich glaube es selber nicht so ganz.

 

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