Fränkische Boxer über Idole, Vorurteile und Axel Schulz

4.11.2020, 06:55 Uhr
Das Trainergespann Ralf Markert und Stefan Mattmüller.

© Dominik Mayer Das Trainergespann Ralf Markert und Stefan Mattmüller.

Ein früher Donnerstagabend mitten im Oktober. In einer halben Stunde erwarten die Trainer Ralf Markert und Stefan Mattmüller ihre Sportler in der kleinen Boxhalle neben der Tartanbahn des TV 1860 Gunzenhausen. Es ist eine der letzten Einheiten bevor die steigenden Corona-Fallzahlen Kontaktsport wieder unmöglich machen werden. Zuvor nehmen sich beide Zeit für ein Gespräch mit unserer Zeitung.

Herr Markert, wie ist es unter Trainerlegende Ulli Wegner zu boxen?

Markert: "Unter" klingt gut (lacht). Wenn du ihn das erste Mal als Trainer in der Ecke hast, ist es erschreckend. Er schreit eben auch mal: "Was willst du denn, Junge? Hau mal zu wie ein Mann!" Aber das ist eben seine Art und das ist auch voll okay. Wenn er einen Raum betritt, spürt man seine Aura.

Warum sollte jemand anfangen zu boxen?

Markert: Weil ich glaube, dass Boxen eine der vielfältigsten Sportarten ist, die es gibt. Du machst Kraft, Koordination, Ausdauer. Und man lernt das Aufstehen nach einer Niederlage. Und: Ich bin selbst für mich verantwortlich. Es gibt keine Mannschaft, ich alleine entscheide darüber, wer ich bin und was ich bin.

Mattmüller: Man hält sich körperlich fit und stärkt sich auch mental. Gerade Kondition und Kraftausdauer sind beim Boxen wichtig.

"Ich war kein Engel in der Schule"

Was sagen sie zum Vorurteil, Boxen sei nur was für junge Männer, die ihre Aggressionen ablassen wollen?

Mattmüller: Das sehe ich nicht so. Wir haben ein komplett gemischtes Publikum, von Zehnjährigen bis hin zu erwachsenen Frauen und Männern. Wir haben hier niemanden, der auf Schlägern aus ist. So einen würden wir auch sofort aus dem Training entfernen.

Markert: Ein richtiger Boxer ist kein Schläger. Der weiß nämlich, wie er seine Aggressionen in die richtigen Bahnen leitet. Jeder, der hier aus der Halle geht, kann zufrieden sein mit sich und seinem Körper.

Wie sind Sie zum Boxen gekommen?

Mattmüller: Ich war schon 31 und habe einfach ein anspruchsvolles forderndes Training für mich gesucht. Und das habe ich im Boxsport gefunden.

Markert: Ich war sehr lebhaft, war auch kein Engel in der Schule. Dann hat meine Mama irgendwann gesagt, ich bin ja mehr in der Schule als du. Es gab so eine Schulsportgemeinschaft, die Boxen gemacht hat und sie wollte dann, dass ich da mal hingehe.Damals war ich zehn Jahre.


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Ist Boxen gefährlich?

Mattmüller: Nicht gefährlicher als Fußball oder Handball, da achten wir natürlich auch drauf. Im Jugendbereich wird mit Kopfschutz gekämpft. Wenn man sich dann genau an die Anweisungen der Trainer, Kampfrichter und Ringrichter hält, kann im Normalfall nichts passieren. Wir schicken auch nur Leute in den Ring von denen wir definitiv wissen, die können das.

Markert: So ist es. Ich kann mich auch nicht ohne Vorbereitung in ein Formel 1-Auto setzen und über den Nürburgring fahren. Ich habe viele Sportarten ausprobiert als wir mit dem DDR-Nationalteam unterwegs waren. Ich bin mal mit Kristin Otto (mehrfache Schwimm-Olympiasiegerin und Weltmeisterin, Anm. d. Red.) geschwommen. Ich weiß nicht, ob die Flügel hatte, aber als ich gerade unter Wasser war, war die schon am Ende der Bahn.

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Boxspezifisches Aufwärmen mit Stefan Mattmüller. 

Boxspezifisches Aufwärmen mit Stefan Mattmüller.  © Dominik Mayer

Herr Mattmüller, drei ihrer Söhne boxen selbst. Haben Sie als Vater manchmal Angst, wenn die im Ring stehen?

Mattmüller: Ja, als Vater spielt das spielt natürlich immer eine Rolle, wenn die eigenen Kinder im Ring stehen. Aber da unterscheidet sich dann auch der Trainer vom Vater. Man weiß ja, was sie können und was man ihnen zutrauen kann.

Was muss man mitbringen, um ein guter Boxer zu sein?

Markert: Ehrgeiz, Willensstärke, diese simplen Dinge, von denen man immer spricht. Und ein bisschen verrückt muss man auch sein.

Hilft Ihnen das Boxen in Konfliktsituationen?

Markert: Ich bin ja nicht mehr in dem Alter, in dem man groß in die Disco geht. Da gibt es immer mal einen, der pöbelt. Aber ich denke dann immer, ich weiß, was ich kann. Wenn ich dem ein paar batsch‘, dann ist es vorbei. Der wacht morgen auf und ihm fehlen zwei Zähne, ich bekomme eine Strafanzeige. Das ist für beide nicht gut. Da drehe ich mich lieber einfach rum und gehe.

Mattmüller: Meine Söhne hatten noch nie Ärger – die wissen, was sie können und vor allem gehen sie Ärger lieber aus dem Weg. Das macht dann eben auch einen guten Sportler aus.

Hausmeister Axel Schulz?

Warum kommen Leute zum TV und wollen boxen lernen?

Mattmüller: Die Jüngeren wollen sich oft auch selber fordern und sehen, was ihn ihnen steckt. Gerade um sich für das aktive Wettkampfboxen zu entscheiden, braucht es viel Mut. Da steigert man sein Selbstbewusstsein. Die Älteren dagegen kennen sich und ihren Körper schon, die wollen sich einfach fithalten.

Markert: Da gibt es die ganz Kleinen, oft mit osteuropäischem Hintergrund, wo die Eltern sagen, du musst Kampfsport machen. Dann gibt es die Jugendlichen, die ein bisschen Selbstbewusstsein tanken wollen. Und Mädels, die einfach was für ihre Figur machen wollen.

Und die werden dann von jemanden trainiert, der zahlreiche internationale Turniere gewonnen hat und viermal DDR-Vizemeister war, unter anderem 1988. Warum haben Sie damals im Finale gegen Axel Schulz verloren?

Markert: Es war nicht mein Tag, es war einfach nicht mein Tag. Man kann trainieren, sich vorbereiten, alles – aber an dem Tag hat es einfach nicht hingehauen.

Sind Sie traurig, dass es für die ganz große Karriere nicht gereicht hat?

Markert: Manchmal schon. Ich hab zu meinem Chef in der Arbeit mal gesagt, wäre es anders gelaufen, wäre der Axel Schulz heute bei Ihnen Hausmeister und mir ginge es besser (lacht.). Natürlich wüsste ich gerne, was wäre gewesen wenn?

Ihm gefällt, was er sieht. Ralf Markert beobachtet seine Boxer. 

Ihm gefällt, was er sieht. Ralf Markert beobachtet seine Boxer.  © Dominik Mayer

Hatten Sie Idole?

Markert: Vom Boxen her, Muhammad Ali. Seine Geschichte, wie er als Olympiasieger zu den Profis kam und die ihm dort erzählen wollten, dass er bloß ein Dunkelhäutiger ist und nichts zu sagen hat. Aber er hat sich durchgeboxt. Im wahrsten Sinne des Wortes.

Mattmüller: Ali war auch für mich ein Idol. Mike Tyson fand ich auch toll, vor allem als Amateur.

"Wir haben hier ein tolles Echo"

Welche Ziele gibt es für die Entwicklung der Sparte in den nächsten Jahren?

Mattmüller: Wir wollen natürlich zurück in den Wettkampf-Modus und mit unseren Leuten wieder Titel holen. Natürlich werden wir weiterhin beim TV bleiben und für den TV boxen aber auch ein wenig selbstständiger werden.

Markert: Wir wollen uns ein bisschen verändern, die Jugend noch stärker zu uns holen. Da laufen mir zu viele rum und machen Blödsinn oder zocken nur. Nicht alle natürlich, aber genau die will ich haben. Ich habe mir vorgenommen, eher so Richtung "Ralf‘s Boxgym" zu gehen. Ich will, dass die sagen: "Heute Abend gehe zum Ralf ins Boxgym, da werde ich auch mal zusammengeschissen, aber da ist es geil, da ist Stimmung." Wir trainieren im Sommer oft auch draußen. Wir haben hier ein ganz tolles Echo. (Markert unterbricht das Interview, steht auf und tritt ein paar Schritte vor die Boxhalle. "Hey, auf geht‘s" brüllt er in die Nacht – so als würde er seine Trainingsgruppe antreiben. Das Echo wirft seine Worte mehrmals über das ganze Sportgelände. "Das ist toll, das ist das, was ich brauche", sagt Markert – und seine Augen leuchten im Dunkeln.). Außerdem bin ich sehr froh, dass Stefan mich unterstützt und das Training mitgestaltet. Alleine würde ich vor die Hunde gehen.


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Wie hat Sie die Corona-Krise getroffen?

Mattmüller: Aktuell dürfen wir ja nicht mal trainieren. Über die Sommermonate hatten wir eine ganz gute Aufbauphase, gerade für unsere Wettkampfboxer. Die werden jetzt für mindestens vier Wochen ausgebremst. Wenn man mal Leistungssport betrieben hat, weiß man, was das bedeutet.

Markert: Ja, es ist hart. Die Leute stehen vor der Tür, rufen an, fragen, wann wieder Training ist. Und wir müssen die dann heimschicken. Eine schwierige Situation, aber was will man machen?

Zur Person: Ralf Markert, 53 Jahre alt, ist Boxtrainer beim TV 1860 Gunzenhausen. In der 80er Jahren war der Schwergewichtler Teil der DDR-Nationalmannschaft und viermal DDR-Vizemeister. Nach der Wende verschlug es in nach Weißenburg, wo er bis heute wohnt. Er arbeitet als Hausmeister und Gruppenleiter in einer Einrichtung der Lebenshilfe. Stefan Mattmüller, 48 Jahre alt, ist Trainer und Abteilungsleiter der Boxabteilung des TV. Der siebenfache Familienvater ist Berufssoldat und lebt in Gunzenhausen. Seit 2008 leitet er zusammen mit Markert die Trainingseinheiten der Boxer.

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