Gunzenhausen: Hausärzte in der Coronakrise

23.5.2020, 12:08 Uhr
Gunzenhausen: Hausärzte in der Coronakrise

© Hans von Draminski

Relativ bald wurde dem Allgemeinmediziner, dessen Praxis von der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg und von der Ludwig-Maximilians-Universität Würzburg für die Ausbildung von Studenten als akademische Lehrpraxis akkreditiert ist, klar, wie gefährlich das neue Virus war – die hohe Sterblichkeitsrate in Italien sprach eine deutliche Sprache.

Zudem ist Covid-19 deutlich ansteckender als das verwandte Sars-Virus, "weil es im Rachen und nicht in der Lunge sitzt", so Metzmacher. "Hinterher ist man immer schlauer", meint der Mediziner im Hinblick auf Faschings-Parties im Februar und das zeitnahe Après-Skivergnügen im österreichischen Ischgl. Events, bei denen sich nachweislich viele Menschen mit dem neuartigen Virus ansteckten – und es hinaus in die Welt trugen.

"Den Fasching absagen? Das wäre kaum durchziehbar gewesen", sinniert Marc Metzmacher. Die vor Kurzem in Kraft getretenen Lockerungen der Corona-Beschränkungen sieht er mit gemischten Gefühlen: "Die nächsten Wochen sind entscheidend", sagt der Mediziner voraus. Sofern die Menschen so diszipliniert wie bisher bleiben würden, lasse sich eine zweite Virus-Welle wohl vermeiden. Würden aber Abstands- und Kontaktregeln missachtet, dann komme sie, diese zweite Welle. Mit unabsehbaren Folgen.

Großevents bergen Gefahren

Denn wirklich besiegen lässt sich Corona durch die Vorsichtsmaßnahmen nicht, nur in Schach halten. Deshalb zweifelt Marc Metzmacher auch daran, dass Großveranstaltungen wie Rockfestivals oder Volksfeste in absehbarer Zeit wieder möglich werden. "Das kann man im Grunde erst verantworten, wenn es einen Impfstoff gibt", sagt der Arzt. Und bis der gefunden und erprobt sei, könnten nach Metzmachers Einschätzung trotz der intensiven weltweiten Anstrengungen noch ein bis anderthalb Jahre vergehen.

Die Rechnung, die der in München geborene und in Dachau aufgewachsene Hausarzt aufmacht, ist nicht wirklich beruhigend. Denn eine immunisierende "Durchseuchung" der Bevölkerung, wie sie etwa in Schweden derzeit versucht wird, dürfte in Deutschland aktuell kein Thema sein. "Eine Sterberate von drei Promile würde bei 80 Millionen Menschen eine hohe Zahl von Todesfällen bedeuten. Und davon sind wir, selbst wenn man die Dunkelziffer einschließt, dank der Umsicht der Bevölkerung weit entfernt", rechnet Marc Metzmacher vor.

Digital nicht alles möglich

Das Arbeiten in der Krise gestaltete sich für den Mediziner und sein Praxisteam bisweilen schwierig, "oft auch einfach nervig", wie Metzmacher ausführt. So habe sich beispielsweise die "digitale Sprechstunde" als wenig zielführend entpuppt, auch und gerade in Altenheimen. Deren WLAN-Ausstattung erwies sich häufig als überfordert, die "Visiten" gestalteten sich mühsam, weil die Verbindung sporadisch zusammenbrach – trotz theoretisch modernster Übertragungstechnik.

"Eigentlich gibt es in Gunzenhausen keine Funklöcher", erklärt Marc Metzmacher und dreht dabei vielsagend die Augen nach oben. Es hätten sich überdeutlich die Grenzen der Digitaltechnik gezeigt. Aus diesen praktischen Erfahrungen heraus dürfe man auch Zweifel an weitergehenden Plänen von Gesundheitsminister Jens Spahn haben: "Die elektronische Patientenakte ist Ressourcenverschwendung", ist Metzmacher überzeugt. Ähnlich kritisch sieht er die Idee einer Corona-App auf dem Handy, mit der Ansteckungsketten verfolgbar werden sollen, da die Verbreitung von modernen Handys nicht groß genug sei.

Es kamen zwar – oft aus Furcht vor Ansteckung – deutlich weniger Patienten in die Praxis, die Arbeit wurde aber eher mehr als weniger. In Kurzarbeit schickte Metzmacher sein Team dennoch nicht, auch wenn er mit Einbußen von mindestens 20 Prozent rechnet. "Wir mussten viel telefonieren, uns um psychische Probleme und vor allem um Ängste unserer Patienten kümmern", rekapituliert Metzmacher.

Die Tücken der Maskenpflicht

Genervt war und ist der Arzt auch von der Maskendiskussion. "Im Krankenhaus haben sie sich über eine Spende von 5000 selbstgenähten Masken gefreut, obwohl dort medizinische Masken unabdingbar sind. Das reicht aber nicht", stellt Metzmacher trocken fest. Wolle man die Bevölkerung der Bundesrepublik mit Masken ausstatten, bräuchte man Woche für Woche rund 80 Millionen Stück. Dass Krankenhauspersonal mit gespendeten "Community-Masken" auskommen muss, während Privatleute oft mit den deutlich aufwendigeren FFP-2-Masken herumlaufen, hält Metzmacher für "moralisch schwierig" und appelliert an "Normalbürger", die nicht im medizinischen Dienst arbeiten, sich mit üblichen Mehrwegmasken zu begnügen und die aufwendigeren – und beschränkt verfügbaren – Einweg- und FFP-2-Masken für das medizinische Personal reserviert zu lassen. In der Praxis greifen ausgeklügelte Sicherheits-Konzepte, um Risikogruppen zu schützen. Da werden Sprechstunden zeitlich bewusst entzerrt, die Patienten blockweise behandelt. Hygiene sei bei Ärzten noch nie ein Thema mit Nachholbedarf gewesen, die Desinfektionsfrequenz etwa bei Türklinken wurde dennoch erhöht. Auf seiner Internetseite hält Marc Metzmacher zudem ein ganzes Bündel von Patientenhinweisen bereit.

Manches hat sich inzwischen deutlich entspannt. So wartete ein Patient Marc Metzmachers von Anfang März an fast drei Wochen auf das Ergebnis seines Corona-Tests – inzwischen werden die Abstriche durchschnittlich innerhalb eines Tages ausgewertet. Problem dabei: "Diese Schnelltests leiden unter erheblichen Fehlerquoten", weiß Metzmacher. Damit lauert fast unbemerkt eine Statistik-Falle: Geht man von einem Prozent Durchseuchungsrate der Bevölkerung aus, dann ist ein sogenannter Antikörpertest mit einer Sicherheit von 99,9 Prozent unzuverlässig. Das bedeutet nämlich bis zu 20 Prozent fälschlich positive Ergebnisse. Zuverlässig wäre er erst ab einer Durchseuchungsrate von 10 bis 20 Prozent, da es noch keinen Bestätigungstest zur Kontrolle gebe. "Da könnten dann Menschen als immun eingestuft werden, die das Virus in Wirklichkeit nie hatten und sich dadurch in falscher Sicherheit wiegen", befürchtet Metzmacher.

Impfpflicht ist wohl ausgeschlossen

Zumindest mittelfristig verspricht nur das Einhalten der Abstandsgebote relative Sicherheit. Eine Impfpflicht werde es in Deutschland nicht geben, ist sich Metzmacher sicher. Zumal der Impfstoff, wenn er dann endlich da sei, zunächst wohl ein relativ rares Gut sein wird, das sowieso nicht für alle zur Verfügung steht.

In der Praxis Metzmacher normalisieren sich derzeit, soweit möglich, die Verhältnisse. In Sicherheit wähnt sich der vorsichtige Mediziner deshalb aber nicht.

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