Gunzenhausen: Invasion der Schwammspinner

12.6.2019, 17:28 Uhr
Gunzenhausen: Invasion der Schwammspinner

© Isabel-Marie Köppel

Die Schwammspinner sind ein Dauerbrenner in der Altmühlstadt. Vom Parkplatz des Waldbads in Gunzenhausen lassen sich die Raupen der Schmetterlinge gut beobachten. Dort laben sie sich an den Eichenblättern, die ihre Lieblingsspeise sind. Zu Tausenden hängen sie dort und lassen ihren Kot nach unten rieseln. Das Geräusch ist deutlich hörbar, wenn man unter den Bäumen steht. Aber die Insekten machen auch nicht vor anderem Blattwerk halt. So ist ein Baum auf der Stellfläche bereits komplett kahl gefressen.

Zwei Frauen kommen gerade aus dem Freibad. "Da muss man aufpassen", sagt die eine, während die beiden gegenseitig ihre Autos absuchen. "Sie krabbeln in Taschen, sitzen auf der Kleidung oder verkriechen sich in den Radkappen", weiß Manuel Kirsch, Fachangestellter für Bäderbetriebe in Gunzenhausen. So besteht die Gefahr, dass man die aktuell drei bis vier Zentimeter großen Tierchen einschleppt. Die Raupen sind äußerst mobil. An dünnen Fäden lassen sie sich von den Bäumen herab und der Wind trägt sie weiter. So erobern sie die gegenüberliegende Straßenseite samt des Freibads.

Ungebetene Badegäste

Der Eingangsbereich ist mit zertretenen und kriechenden Raupen gepflastert. Selbst am Kartenautomat und am Drehkreuz sitzen sie. Ein Badegast steuert mit einem Geldschein in der Hand auf ihn zu: "Was ist denn das? Eichenprozessionsspinner?" Kirsch klärt ihn auf, dass es sich um Schwammspinnerraupen handelt. Bäderleiter Martin Renk kennt das: "Es gibt negatives Feedback von den Badegästen. Viele lesen keine Zeitung und denken, dass die Raupen gefährlich sein könnten."

Das bedeutet Mehrarbeit für seine Mitarbeiter. Zum einen müssen sie die Gäste aufklären, was ihnen Zeit kostet, und zum anderen versuchen sie in jeder freien Minute die Tiere von der Fassade zu saugen oder sie aufzukehren. Es ist schwer möglich die Lage im Griff zu behalten. Die Mitarbeiter haben vor allem bei schönem Wetter genug mit dem normalen Betrieb zu tun.

Mittlerweile nimmt das Freibad sogar Dauerkarten gegen einen Gutschein zurück. Viele Badegäste ekeln sich einfach vor den Raupen, die überall herumkrabbeln. Die Schwimmer sind zwar weniger betroffen, doch auch zu den Becken verirren sich einzelne. Kahlfraß an den Bäumen konnte Renk noch nicht feststellen. "Das Bad sehe ich noch nicht in Gefahr, aber es ist ärgerlich für die Mitarbeiter und Gäste", sagt er. Sie müssten es nehmen wie’s kommt, alles andere liege nicht in ihrer Hand.

Bei Müttern wächst der Unmut

Mitten im Burgstallwald sitzt die Seenlandklinik Lindenhof. Die Kur dort zeichnet sich unter anderem durch ein Waldkonzept aus. Viele Therapien für Mutter und Kind finden normalerweise im angrenzenden Grün statt, was aufgrund der Raupenmassen derzeit "nur sehr eingeschränkt möglich ist", so Leiterin Anja Kohles. Zwar bieten sie Alternativen wie Ausflüge oder Gesprächsgruppen im Inneren an, doch die Situation ruft bei einigen Gästen Unzufriedenheit hervor. Viele kommen extra wegen des Waldes.

Als unangenehm und eklig beschreibt Kohles die Situation. Die Raupen krabbeln überall herum und fallen auf die Menschen. Mittlerweile haben sie Fliegengitter nachgerüstet, damit zumindest ein Fenster pro Zimmer geöffnet werden kann. Neben dem unschönen Anblick haben auch einige Gäste Angst vor Allergien. Kohles berichtet, dass vereinzelt auch schon leichte Hautrötungen aufgetreten sind.

"Noch haben wir Blätter vor dem Haus", sagt Kohles. Dennoch fürchtet sie den Kahlfraß. Vergangenes Jahr waren die Insekten schon da, aber heuer sei es noch viel schlimmer: "Wenn das so weiter geht, habe ich Angst, dass sich der Wald nicht mehr erholt." Außerdem sorgt sie sich um das Haus und den Kurerfolg der Gäste: "Ein Waldkonzept ohne Wald ist nicht möglich." Noch kommen die Mütter und Kinder, aber wenn sich die Situation herumspricht, fürchtet sie, dass die Gäste ausbleiben.

Doch nicht nur Einrichtungen leiden unter den Raupenmengen. Anwohner wie Elisabeth Lautner kämpfen seit Anfang April täglich mit den Insekten. Letzte Woche zählte sie nach eigenen Angaben 63 000 Raupen, die sie auf ihrem Grundstück aufgesammelt hat. Ihre Obstbäume seien komplett kahl und über ihre Rosen fallen die Insekten auch her. Teilweise hat die Gunzenhäuserin ihre Pflanzen schon mit biologischen Spritzmitteln behandelt. Das helfe etwas, aber sie fühlt sich allein gelassen – auch finanziell. Alle Außenstehenden hätten nur "gute" Ratschläge für sie: "Man muss das sehen und mitmachen, um das zu verstehen."

Raupen rauben den Schlaf

Die Raupen dringen in das Haus der Familie ein, sitzen auf der Espressomaschine oder liegen gar im Bett. "Morgens um drei ist die Nacht für mich vorbei", sagt Lautner. All ihre Gedanken schwirren um die Raupen, weshalb sie nicht mehr richtig schlafen kann. Das Wohnmobil wartet ebenfalls vergebens auf eine Ausfahrt. Sie möchte ihr Grundstück in der Leonhardsruhstraße nicht den Raupen überlassen. Seit 60 Jahren wohnt sie dort.

Lautner sei keine Verfechterin von Spritzmitteln, dennoch findet sie, dass die grüne Lunge Gunzenhausens, der Burgstallwald, nicht so beschädigt werden darf. Allein sie, ihr Mann und noch ein Helfer sammeln mittlerweile täglich sieben Stunden lang die Raupen ein. Wie man die Invasion am besten bekämpft, wisse sie auch nicht. Allerdings befürchtet sie nächstes Jahr eine noch größere Katastrophe. Immerhin legt ein Weibchen bis zu 1000 Eier.

Hausfassade ist übersät

Das große Krabbeln macht auch vor dem Grundstück von Dr. Eckhart Holtz nicht Halt. Direkt am Burgstallwald gelegen, sind Gehwege, Wiese und auch die Hausfassade und die Garage übersät mit den Raupen des Schwammspinners. "Wir haben schon aberhunderte liquidiert", beschreibt Dr. Holtz den Kampf der Familie gegen die Eindringlinge. Er spricht von einem "einzigen Tohuwabohu" und gibt sich keinen Illusionen hin, dass die Situation bald besser werden wird: "Sie machen eine kaputt – und es kommen zehn neue dazu!"

Haben sich die Raupen dann verpuppt und sind die Schmetterlinge geschlüpft, ist die Gefahr noch lange nicht vorbei. Mit Blick auf den kahlgefressenen Wald und die nahen und auch weiter entfernten Wohngrundstücke richtet er einen flammenden Appell an die Verantwortlichen von Stadt und Forst: "Da muss was gemacht werden. Und zwar rechtzeitig!"

Vor knapp drei Wochen wurde das Insektizid Mimic über 53 Hektar Wald im Bereich Gunzenhausen, Pfofeld, Theilenhofen und Dittenheim ausgebracht. "Alle behandelten Flächen stehen in der Belaubung sehr gut da", sagt Jürgen Stemmer, Bereichsleiter Forsten des Amts für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten in Weißenburg. Bei den meisten unbehandelten Flächen ist hingegen ein deutlicher Fraß zu erkennen. 320 Hektar gelten als gefährdet. "Aber nirgendwo ist es so schlimm wie im Burgstallwald", sagt der Fachmann. Das liegt vermutlich daran, dass die Insekten dort bereits zum zweiten Mal sind. Sie werden mit großer Wahrscheinlichkeit auch den Johannitrieb im Burgstallwald mitfressen, da die Fraßphase noch drei bis vier Wochen anhalten wird.

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