Gunzenhausen: Leben mit FOXG1-Syndrom

30.11.2019, 17:43 Uhr
Gunzenhausen: Leben mit FOXG1-Syndrom

© privat

Auf den ersten Blick scheint das heute 20 Monate alte Mädchen ein ganz normales, gesundes Kind zu sein. Davon waren nach einer unauffälligen Schwangerschaft und Geburt auch die Eltern, Kathrin und Michael Schneider, überzeugt. Zwar hatte sie Schwierigkeiten, etwas mit den Augen zu fixieren und hielt auch das Köpfchen nicht altersgerecht. Aber dafür habe es andere Erklärungen gegeben, erinnert sich Mutter Kathrin.

Doch als Leonie fünf Monate alt war, bekam sie plötzlich Krampfanfälle, und es begann ein "wahrer Untersuchungsmarathon", wie Michael Schneider erzählt. Nach gut zwei Monaten stand schließlich die Diagnose fest: Leonie hat das FOXG1-Syndrom.

Dieses Gen ist für die Entwicklung von zentraler Bedeutung. Es befindet sich auf dem Chromosom 14, welches zweimal in jeder unserer Zellen vorhanden ist. Wird durch eine spontane Mutation bei einer der ersten Zellteilungen auf einem der beiden Chromosomen das Gen beschädigt, sind die Auswirkungen gravierend. Der Fehler in der DNA führt zu einer Veränderung der Biochemie und der Struktur im Hirn, mit Konsequenzen für die Funktionsweise der Zellen.

In seltenen Fällen sind die Konsequenzen "geringfügig", in der Regel bedeutet dieses aber für die Kinder, dass sie unter anderem nicht sprechen, nicht eigenständig sitzen, essen und sich bewegen können, an epileptischen Anfällen, Schlafstörungen und Verdauungsstörungen leiden. "Eine Kommunikation mit ihnen ist eigentlich nicht möglich", fügt Michael Schneider hinzu.

"Die Diagnose war ein Schock im ersten Moment", erklären die jungen Eltern, deren Alltag von jetzt auf gleich auf den Kopf gestellt wurde, ganz offen und verweisen auf die geringen Informationen über das FOXG1-Syndrom, das nur sehr selten auftritt. Rund 40 Kinder sind davon in Deutschland betroffen, weltweit sind es etwa 650 Fälle. Und genau darin liegt das nächste Problem, mit dem sich das Ehepaar konfrontiert sah: Es wird nicht geforscht, lohnt es sich doch wegen der geringen Fallzahlen für die Pharmaindustrie nicht, hier zu investieren.

Aber es gibt eine Elterninitiative, der Austausch läuft über WhatsApp, einmal im Jahr gibt es ein persönliches Treffen. Aus dieser Initiative heraus entstand im letzten Jahr die Idee, einen Verein zu gründen, mit dem Ziel, Geld für die Forschung zu sammeln. Michael Schneider engagiert sich als Schriftführer und legt große Hoffnung in die Forschung von Prof. Dr. Corinne Houart am King’s College in London. Sie arbeitet mit Zebrafischen, deren großer Vorteil es ist, durchsichtig zu sein. Somit erhält man einen direkten Blick ins Gehirn der Tiere, also genau dort, wo die Entwicklung stattfindet.

Corinne Houart testet Medikamente, die auf kleinen chemischen Molekülen basieren, an den Fischen. Hier gibt es ein Spektrum von 8000 bis 10 000 bereits zugelassenen Wirkstoffen. Die FOXG1-Fischlarven, die einem vorgeburtlichen Kind entsprechen, werden damit behandelt. Michael Schneider geht davon aus, dass diese Tests innerhalb eines Jahres gemacht werden können und sich so vielleicht ein Wirkstoff finden lässt, der etwa die Epilepsie lindert oder auch die Schlafstörungen.

Das wäre zumindest eine kleine Erleichterung im Leben der jungen Familie, deren Alltag geprägt ist von der Krankheit der Tochter: dreimal in der Woche steht Krankengymnastik beziehungsweise Ergotherapie auf dem Programm, wöchentlich kommt eine Sozialpädagogin ins Haus. Perspektivisch muss noch Logopädie mit aufgenommen werden, da Leonie bis jetzt ausschließlich mit Babymilch ernährt wird, weil sie noch keine feste Nahrung zu sich nimmt.

Mehrmals täglich muss das Mädchen zudem Medikamente nehmen. Da auch Muskelschwäche ein Symptom des FOXG1-Syndrom ist, braucht Leonie allerhand Hilfsmittel, wie einen speziellen Hochstuhl oder eine sogenannte Orthese, in der sie aufrecht stehen kann.

Wieder zurück in den Beruf als Krankenschwester zu kehren, ist für die 32-jährige Mutter derzeit nicht denkbar. Doch sie und ihr Mann hoffen darauf, im neuen Kindergarten, den die Lebenshilfe in der Gunzenhäuser Südstadt bauen wird, einen integrativen Platz für ihr Kind zu bekommen. Und es gibt sie, die kleinen Lichtblicke: Seit Kurzem kann Leonie ihre Milchflasche selbst halten, und sie ist, erzählen die Eltern liebevoll, trotz allem oft fröhlich "und gibt sehr viel zurück".

Wer den Verein FOXG1 Deutschland unterstützen möchte, findet im Internet unter www.foxg1.info alle weitere Informationen

Keine Kommentare