Gunzenhausen: Mindestabstand auch im Diakoneo-Wohnheim

24.4.2020, 06:06 Uhr
Gunzenhausen: Mindestabstand auch im Diakoneo-Wohnheim

© Reinhard Krüger

Es gehört zu Diakoneo, früher besser bekannt als Diakonie Neuendettelsau. Vor fast genau drei Jahren wurde es feierlich eingeweiht, 24 Menschen mit einer geistigen oder psychischen Behinderung werden dort von 14 Beschäftigten betreut. Wie leben diese Menschen mit Corona, wie gehen die Mitarbeitenden damit um?

Ein strahlend frühsommerlicher Tag mitten im Frühling. Der Himmel ist wolkenlos blau, Vögel zwitschern und machen sich eifrig an die Futtersuche. Und dann das: Vier Menschen sitzen an deinem Tisch, alle mit Gesichtsmasken und blicken mich erwartungsvoll an. Ich wurde sofort aufgefordert, eine solche Maske ebenso aufzusetzen. Das erste Interview mit Masken: ungewohnt, aber wohl bald alltäglich.

"Wir sind ganz nah an den Menschen", erklärt Roswitha Fingerhut, zuständig für 372 Wohnheimplätze der Diakoneo, verteilt auf die Standorte Polsingen, Oettingen und Gunzenhausen (Frankenmuther, Schmalespan- und Spitalstraße). Diese Menschen zählen zu den Schwächeren und Verletzlichen unserer Gesellschaft, werde ich aufgeklärt, "und die müssen wir besonders schützen". Dazu zählt eben für alle Berufsgruppen wie zum Beispiel Heilpädagogen, Heilerziehungspfleger und Reinigungskräfte das ständige Tragen solcher Masken.

Michael Günther wohnt in einem Haus von Diakoneo in der Frankenmuther Straße in Gunzenhausen. Der 77-jährige Senior ist Bewohnervertreter und hat schon einiges erlebt in seinem Leben. Unter anderem als Kleinkind die Bombennacht von Nürnberg mit Opa und Oma, erzählt er. Doch das, was derzeit ihm und all den anderen Bewohnern aufgebürdet wird, übersteigt seine Vorstellungskraft. "Das habe ich seitdem nie mehr erlebt."

Gunzenhausen: Mindestabstand auch im Diakoneo-Wohnheim

© Reinhard Krüger

Der gelernte Textilreinigungsmeister sitzt auf der Bank und schüttelt den Kopf. Es ist überhaupt nicht einfach, jemandem mitzuteilen, dass es nicht wie jeden Tag "auf die Arbeit" geht. Alle Werkstätten, wie die in Laubenzedel, sind geschlossen. Keine Teile werden dort für die Spielzeugindustrie zusammengesteckt. Kein geregelter Ablauf mehr. Nichts mehr.

Auch die offene Seniorentagesstätte bleibt komplett geschlossen. Was steckt dahinter? Ingrid Hawelka, Heilpädagogin und Wohnbereichsleiterin in Gunzenhausen, spricht von einer "großen Herausforderung", den Bewohnern die Situation in einfachen Worten zu erklären. Manche jauchzten vor Freude: "O wie schön, länger schlafen und zu Hause bleiben." Andere weinten und hatten Angst. Bewohnervertreter Michael Günther bringt es auf den Punkt: "Corona hat unser Leben entscheidend verändert." Er lobte die Mitarbeiter, die mit "mahnenden und tröstenden Worten" dabei helfen.

Ingrid Hawelka hat, wie viele andere auch, zunächst gehofft, "dass wir nicht davon betroffen sind". Doch dann ging alles ganz schnell. Zunächst wurden ab 17. März alle Werkstätten geschlossen, und am 3. April flatterte die Mitteilung des Bayerischen Sozialministeriums ins Haus: Maskenpflicht für alle Beschäftigten während der Dienstzeit. Da werden jede Menge Gesichtsmasken benötigt, doch Pressesprecher Thomas Schaller konnte beruhigen: "Wir sind gut darauf vorbereitet."

Eine viel größere Aufgabe sieht Hawelka im Personalbereich. War während der normalen Werkstattzeit (8 bis 16 Uhr) nur eine kleine Besetzung im Haus und in den Gruppen, hat sich das schlagartig verändert. Die Frühschicht arbeitete bislang von 6.30 bis 9 Uhr. Und dann erst wieder nach 16 Uhr. "Jetzt müssen wir den ganzen Tag mit voller Stärke gestalten", sagt Hawelka.

"Für Abwechslungen dankbar"

Unterstützung bekamen sie von den Werkstatt-Mitarbeitern: Sie helfen jetzt in der Wohngruppe aus. Spaziergehen in großer Zahl war vorher kein Ding, jetzt geht es nur in kleinen Gruppen. Ganz neue Beschäftigungsformen mussten entstehen, auch einmal ganz individuell jemanden zu betreuen, das Zimmer aufzuräumen oder etwas zu basteln. "Diese Krise hat auch eine Chance", sagt Roswitha Fingerhut. Michael Günther pflichtet ihr bei: "Unsere Leute sind für alle Abwechslungen dankbar."

Auf einmal bleibt Zeit und Muße, einen Osterkranz zu flechten, statt zu kaufen. Und auch die Fraktion der Sesselliebhaber kommt voll auf ihre Kosten. Keine Hektik, kein "Schnell, schnell". Entschleunigen nennen das die Fachleute.

Gleichwohl bleibt die Lage in den Wohnheimen ernst. Sollte jemand nicht wegen Corona ins Krankenhaus kommen, müsse er nach der Entlassung erst mal 14 Tage in Quarantäne in seinem Zimmer bleiben. "Das ist hart", weiß Wohnbereichsleiterin Hawelka. Die Mitarbeiter müssen eine besondere Schutzkleidung überziehen, wenn sie das Zimmer betreten, "wir wollen alle Risiken minimieren", sagt sie. Und Reibereien unter den Bewohnern nehmen zu, weil sie ungewohnt lange aufeinander hocken.

Sorgenfalten bleiben, trotz vieler guter Vorsätze und Planung. So schreiben die Werkstätten Verluste, auch die Krankenhäuser nehmen weniger ein, weil kaum mehr planbare Operationen durchgeführt werden, weiß Pressesprecher Schaller. "Wir freuen uns deshalb, dass der Staat zugesagt hat, diese Verluste auszugleichen", betont er.

Es wird mehr selbst gekocht

Das Leben hat sich verändert. Auch in Wohnheimen von Diakoneo. Händewaschen statt alles anlangen, Mindestabstand statt umarmen oder einen Schützling an die Hand nehmen. Da die Verpflegung in der Werkstatt-Kantine weggefallen ist, wird jetzt mehr selbst gekocht.

Es hat seine Gründe, warum so intensiv gehandelt wird, schließlich heißt nicht umsonst der Leitgedanke dieses Unternehmens "Weil wir das Leben lieben". Viel muss in der Belegschaft besprochen werden, sagen die Verantwortlichen, und Roswitha Fingerhut kann die E-Mails längst nicht mehr zählen, die zwischen ihr und den Häusern hin und her geschickt worden sind. Eines aber wissen die Diakoneo-Leute gewiss: "Wenn alles vorbei ist, feiern wir ein riesiges Umarmungsfest."

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