Als ob Bomben eingeschlagen hätten

Paar aus dem Fränkischen Seenland hilft Flutopfern in NRW

22.7.2021, 17:10 Uhr
Anwohner oder Helfer sitzen für eine kurze Pause an der Erft.

© Dominik Wenninger, NN Anwohner oder Helfer sitzen für eine kurze Pause an der Erft.

"Ich realisiere es jetzt noch nicht", sagt Simone Sand: "Du kommst da hin und denkst, du bist in einem Kriegsgebiet." Die Verwüstung in Kirspenich vergleicht sie mit Bombeneinschlägen. Das knapp 1500-Seelen-Örtchen ist ein Stadtteil von Bad Münstereifel in Nordrhein-Westfalen, wo das Hochwasser vor gut einer Woche verheerende Schäden angerichtet hat.

Dorthin haben sie, ihr Partner und ein paar Freunde sich vergangenen Sonntag aufgemacht, um mit anzupacken. Fix und fertig sei sie danach gewesen, aber dennoch fühlte es sich gut an: "Man hat mit seinen zwei Händen ein paar Stunden geholfen."

Simone Sand und ihr Partner Dominik Wenninger wohnen in Mörsach. Im Internet entdeckten sie den Aufruf von Marlene Schuler, einer jungen Frau, die in Kirspenich lebt und ursprünglich aus Dietenhofen stammt. Während der Flutkatastrophe war sie zu Besuch in ihrer alten Heimat. Von dort aus begann die 19-Jährige Hilfe zu organisieren.

Schnell war eine Helfertrupp gefunden

Das Mörsacher Paar nahm also Kontakt auf, mit was man ihr am besten helfen könne. Manpower, lautete die Antwort. Da überlegten die beiden nicht lange und starteten selbst einen Aufruf über ihre Social Media-Kanäle, um die sechs Plätze im eigenen Bus vollzumachen. Am frühen Sonntagmorgen sollte es losgehen.

Dominik Wenninger und Simone Sand mit ihrem vierjährigen Sohn Lennart. Er war bei Oma und Opa untergebracht, als seine Eltern in Kirspenich waren.  

Dominik Wenninger und Simone Sand mit ihrem vierjährigen Sohn Lennart. Er war bei Oma und Opa untergebracht, als seine Eltern in Kirspenich waren.   © Isabel-Marie Köppel, NN

Schnell waren die Sitze belegt, mit einem weiteren Paar, das ebenfalls in Mörsach lebt, und zwei Installateuren aus Dornstadt. Zudem schlossen sich noch sechs Freunde aus Gebsattel bei Rothenburg ob der Tauber an. Von dort stammt Dominik Wenninger ursprünglich.

Pünktlich, um kurz nach 4 Uhr, starteten die Helfer aus Mittelfranken gen Westen. Kirspenich liegt etwa 30 Kilometer von Bonn entfernt. Mit im Gepäck waren Besen, Wasserschieber, Schaufeln und Handschuhe, die Simone Sand auf Nachfrage von Obi in Gunzenhausen als Sachspende erhalten hatte. Die beiden Installateure nahmen ihr Werkzeug mit.

Umwege wegen zerstörter Straßen

Etwa eine Stunde später als geplant, kurz vor 10 Uhr, kam die Truppe am gewünschten Ort an. Immer wieder mussten sie Umwege fahren, weil Bundesstraßen zerstört waren. "Überall lagen die Autos kreuz und quer", berichtet Dominik Wenninger. Auf dem Weg konnten sie an einer Dreckkruste den Wasserstand ablesen. "Unser Bus wäre komplett unter Wasser gewesen", erzählt er weiter. Auch die Steinbachtalsperre, wo der Damm durch die Wassermassen zu brechen drohte, mussten sie umfahren. Innerhalb von 48 Stunden habe es etwa 220 Liter pro Quadratmeter geregnet, erzählten die Betroffenen.

In Kirspenich nahm die Gruppe dann Kontakt zu Marlene Schuster auf. Zu diesem Zeitpunkt war das Mobilfunknetz soweit wieder aufgebaut, dass man wenigstens telefonieren und SMS schreiben konnte. Im Ortskern fanden die Franken den Sammelplatz vor, Bewohner und Angehörige wiesen sie ein. Ein Bauer, der dort seinen Hof hat, war der Chef-Organisator.

"Die hatten Funkgeräte, alles war sehr gut organisiert. Einer fuhr ständig alles mit dem Fahrrad ab und hätte per Funk Hilfe holen können", schildert Wenninger. Die Freiwillige Feuerwehr Arloff-Kirspenich sei auf sich alleine gestellt gewesen, alle seien seit dem 14. Juli im Dauereinsatz gewesen.

Fremde Organisationen – abgesehen von Bundeswehr und Rotes Kreuz – sahen sie nicht vor Ort. Denn THW und Co. sind damit beschäftigt, wieder eine Infrastruktur herzustellen, weiß der 43-Jährige. Dort sei ihm erstmals bewusst geworden, dass bei all der Organisation durch THW, Feuerwehr, Katastrophenschutz und andere Hilfsorganisationen trotzdem die Leute auf der Strecke blieben. "In so einer Lage ist es nicht möglich, allen zu helfen", sagt er.

So etwas noch nie erlebt

Doch er weiß auch, dass man aus dieser Katastrophe lernen kann, indem man etwa anders ausbildet oder umstrukturiert. Denn Dominik Wenninger ist vom Fach. Er leitet die Integrierte Leitstelle in Ansbach, war für seine Ausbildung zum Brandoberinspektor bei der Berufsfeuerwehr und selbst schon in der Rettung und im Katastrophenschutz tätig. Zudem ist er noch Kreisbrandmeister. "Aus fachlicher Sicht hochinteressant, aus menschlicher – Wahnsinn..." So etwas habe er noch nie erlebt.

Erfahrung bringt auch Simone Sand mit. Sie engagiert sich bei der Freiwilligen Feuerwehr und half bereits vor acht Jahren nach einem Hochwasser in Aken in Sachsen-Anhalt. "Damals dachte ich schon, das ist schlimm. Aber da - man kann es mit Worten nicht beschreiben", sagt sie. Ganze Mauerblöcke, zwei auf zwei Meter, lagen in Gärten verteilt. Autos, Wohnwägen, Kühlschränke die es weggeschwemmt hatte, verteilten sich überall. Eines Morgens habe eine Frau sogar eine angeschwemmte Leiche auf ihrem Grundstück gefunden.

In Kirspenich half Sand, verschiedene Häuser auszuräumen: "Ich habe eine Vitrine geleert. In jedem Topf, in jedem Glas war noch Wasser." Etwa brusthoch sei das Wasser in den Häusern gestanden, berichteten ihr die Bewohner. Mitten durch den Ort fließt die Erft, im Sommer sei das Wasser normalerweise nur knöcheltief. "Eigentlich total idyllisch, wenn man alte Bilder sieht", sagt die 41-Jährige.

Nicht alles kann gerettet werden

Diese wurden jedoch abgelöst – von Schlamm, kaputten Straßen, Schuttbergen und zerstörten Häusern. Nicht jeder habe die Kraft, sein Eigenheim wieder aufzubauen. So habe ein über 80-jähriges Paar Kirspenich verlassen, das Haus werde wohl nicht wieder aufgebaut.

Doch das scheint die Ausnahme, so zumindest der Eindruck von ihr und ihrem Partner. Alle seien permanent auf den Beinen, helfen sich und seien trotz der Tragik stets freundlich. "Als wir die Besen und Schaufeln verteilt haben, wurden wir gefragt, wo sie diese wieder zurückgeben können. Die Leute waren nicht gierig, unter ihnen herrscht eine riesen Solidarität", erinnert sich Dominik Wenninger. "Sie sind nicht in Lethargie gefallen, sie haben einfach weitergemacht. Es war beeindruckend wie sie damit umgegangen sind."

Aber die Betroffenen berichteten auch von Plünderern, die Autos aufbrächen oder sogar Sandsäcke vor Häusern wegklauten. Richtig wütend machten sie auch die Schaulustigen. "Im schönsten Sonntagsdress sind da Leute auf Motor- und Fahrrädern vorbei gekommen", beobachtete Wenninger. Die Polizei sperre jedoch die verwüsteten Ortschaften ab – auch um so etwas zu verhindern.

Spontaner Einsatz bei der dortigen Feuerwehr

Während Simone Sand half, Häuser auszuräumen, wurden Dominik Wenninger und sein Mitfahrer aus Mörsach als Feuerwehrler erkannt und kurzerhand gebeten, auf dem Löschfahrzeug mitzufahren. "Unsere Leute sind durch", lautete der Hilferuf. Immerhin waren diese zu dem Zeitpunkt schon den vierten Tag in Folge im Dauereinsatz - obwohl sie alle selbst betroffen sind.

"Trotz allem gibt es Rettungseinsätze, medizinische Notfälle und Häuser brennen wegen der abgerissenen Gasleitungen. Und es gibt keine Überlandhilfe wie sonst", gibt der Familienvater zu bedenken. "Respekt, wie routiniert sie alles abgearbeitet haben trotz der Erschöpfung."

Strom gebe es keinen und fließend Wasser nur bedingt. Kirspenich werde über einen Hochbehälter versorgt, der aufgefüllt werden konnte mithilfe von Aggregaten, denn die Pumpen funktionieren ohne Strom nicht. Schlafplätze böten die Bewohner an, deren Häuser höher liegen. Die Region gleicht einem Trichter, veranschaulicht Sand. Toiletten konnten benutzt werden, zumindest in den Gebäuden, wo sie selbst half. Grills und Gaskocher dienten den Menschen derzeit als Herd.

Handwerker werden gebraucht

Da war das Fachwissen und die Werkzeuge der mitgereisten Installateure wertvoll. Sie konnten Küchen rausreißen, sodass die Spülbecken noch benutzbar waren, erzählt die Mörsacherin. Generell würden Leute mit handwerklichem Geschick gebraucht – etwa um Traktoren zu reparieren, die sich im Dauereinsatz befänden. Ständig gingen die Reifen bei den Aufräumarbeiten kaputt.

Nach gut sechs Stunden traten die Helfer aus Mittelfranken wieder die Heimreise an, gegen 10 Uhr waren sie zuhause. "Man kommt heim, und einem wird bewusst, dass man sich Gedanken wegen irgendwelcher Probleme macht. Dabei haben wir alles", sagt Simone Sand. Diesen Sonntag macht sich ihr Partner samt Freiwilligen wieder auf den Weg nach Nordrhein-Westfalen, sie wird dieses Mal bei den Kindern bleiben.


Wenn Sie helfen möchten

Dominik Wenninger hat Kontakt zu Betroffenen in Nordrhein-Westfalen. Wer ebenfalls hinfahren will, um zu helfen oder anderweitig unterstützen kann, wendet sich am besten per E-Mail flut-eifel@outlook.de bei ihm. Dieser Aufruf richtet sich im Besonderen an Personen, die handwerklich begabt sind.

Wenninger hilft dann bei der Koordination. Einfach hinzufahren, davon rät er eindringlich ab.

Sachspenden werden derzeit weniger gebraucht. Dringend gesucht sind dagegen Stromerzeuger und Bautrockner. Wer solche Geräte derzeit entbehren kann, darf sich ebenfalls gerne per E-Mail melden.

Weitere Eindrücke und Informationen veröffentlicht Dominik Wenninger zudem auf Instagram unter hochwasser_hilfe_2021.

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