Stadtradeln Gunzenhausen zieht literarische Kreise

18.7.2016, 08:00 Uhr
Stadtradeln Gunzenhausen zieht literarische Kreise

© Erich Neidhardt

Mittendrin im Geschäft zwischen Hunderten von Fahrrädern hatten die Grubers Stühle aufgestellt, auf denen die Gäste Platz nehmen und den heiteren, aber auch nachdenklichen Geschichten lauschen konnten. Neben Lesegenuss gab es an dem literarischen Abend Häppchen, passend zum Anlass Radler (und andere erfrischende Getränke) sowie Zeit zum Gespräch. Wer Interesse hatte, konnte die von den drei Leserinnen ausgewählten Bücher an einem kleinen Stand der Buchhandlung Fischer zum häuslichen Genuss erwerben.

Die Idee, das Stadtradeln mit einem literarischen Abend zu bereichern, hatte der Gunzenhäuser Literaturkreis „Lesen und lesen lassen“ zusammen mit der Agenda-21-Gruppe der Stadt Gunzenhausen um ihre Leiterin Ingrid Pappler. Begrüßt wurden die Gäste von Gabi Bayerlein, die allen auch im Namen ihrer Eltern Erika und Herbert Gruber einen vergnüglichen Abend wünschte.

Auf einem Fahrrad aus Großmutters Tagen hatte Ingrid Pappler Platz genommen, als sie den literarischen Reigen mit Alex Capus’ 2011 veröffentlichten Roman „Léon und Louise“ eröffnete. Sie hatte für den Abend eine bittersüße Liebesgeschichte ausgewählt, die in der Normandie des Jahres 1918 ihren Anfang nimmt. Hier lernen sich der schüchterne Morse-Assistent Léon und die forsche Bürgermeister-Gehilfin Louise beim Fahrradfahren kennen. Mit dem Rad begeben sich die beiden auch zu einem unvergesslichen Wochenende an den Strand der Hafenstadt Le Tréport, als ein Fliegerangriff ihrer aufkeimenden Liebe ein jähes Ende setzt und sie, wie es zunächst scheint, für immer trennt. Kristy Husz zog an einem Rednerpult das Publikum sodann mit der 1946 erschienenen Novelle „Fahrraddiebe“ von Luigi Bartolini in den Bann. Das Werk wurde zwei Jahre später durch eine Verfilmung Vittorio De Sicas international berühmt. Im Rom der Nachkriegszeit kommt dem Erzähler gleich zu Beginn des Buches sein geschätztes Fahrrad abhanden – es war ein frecher Diebstahl direkt vor seinen Augen. Was folgt, ist eine detailliert beschriebene Odyssee durch die halbseidene Welt der römischen Räuber und Hehler, um den Drahtesel wiederzufinden, bevor er zerlegt, umfrisiert und für immer verschwunden ist.

Nach der Pause griff Kerstin Zels auf einem Ergometer sitzend zum Mikrofon. Sie widmete sich zunächst der 1978 publizierten Textsammlung „Mein Fahrrad und andere Freunde“ des amerikanischen Erfolgsschriftsteller Henry Miller. Eines der literarischen Porträts darin ist seinem Rad gewidmet: Schon als Schüler sitzt Miller leidenschaftlich gern im Sattel, und während seine unglückliche erste Liebe zu einem Mädchen irgendwann vergeht, bleibt das Gefährt als „bester Freund“ treu an seiner Seite.

Lustige Tandem-Tour

„Drei Männer auf Bummelfahrt“ ist ein humorvoller Roman des englischen Autors Jerome Klapka Jerome aus dem Jahr 1900, aus dem Kerstin Zels quasi zum Finale des Abends vorlas. In einer der witzigen Episoden unternimmt das Ehepaar Harris eine Tandem-Tour durch Holland. Leider bemerkt der vorne strampelnde Gatte viel zu spät, dass er unterwegs seine Frau verloren und das Tandem ganz allein mehrere Meilen durch die Landschaft gelenkt hat – was der Beziehung der beiden nicht gerade förderlich ist.

Mit anhaltendem Applaus dankten die Zuhörer den drei Leserinnen zum Abschluss für den rundum gelungenen Abend und beim Abschiednehmen wurde immer wieder der Wunsch nach einer Wiederholung laut.

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