Theilenhöfer Arzt im Interview

"System kollabiert zunehmend": Hausarzt schlägt Alarm wegen Corona-Mehrarbeit

5.12.2021, 06:18 Uhr
Der Winter ist traditionell eine Erkältungssaison und die Patientenzahl steigt in der kalten Jahreszeit an. Die Menschen gehen wie gewohnt zu ihren vertrauten Hausärzten, jedoch nimmt der Arbeitsaufwand für die Arztpraxen in den letzten Monaten zu.

© Simon Kirsch, NN Der Winter ist traditionell eine Erkältungssaison und die Patientenzahl steigt in der kalten Jahreszeit an. Die Menschen gehen wie gewohnt zu ihren vertrauten Hausärzten, jedoch nimmt der Arbeitsaufwand für die Arztpraxen in den letzten Monaten zu.

Herr Jacob, erst beschloss Berlin, dass sich das Personal von Arztpraxen trotz Impfung oder Genesung fast täglich auf Corona testen muss. Nach einem Sturm der Entrüstung hat die Politik wieder zurückgerudert. Was halten Sie von diesem Chaos?

Es ist in der Tat ein Chaos. Kein einheitliches Konzept steckt dahinter und das verunsichert auch die Kollegen massiv. Im Nu sind beispielsweise die Schnelltests ausverkauft. Ich habe als Allgemeinarztpraxis keine Chance, darauf zeitnah zu reagieren. Als Idee war es sicherlich ganz gut, aber die Umsetzung hätte man sich praxisorientierter gewünscht.

Der Hausarzt Clemens Jacob ist 45 Jahre alt und hat seine Praxis in Theilenhofen.

Der Hausarzt Clemens Jacob ist 45 Jahre alt und hat seine Praxis in Theilenhofen. © Simon Kirsch, NN

Ich hätte mir vorstellen können, dass einzelne Praxen regelmäßig mit Tests von der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) beliefert werden. Ein ähnliches Konzept ist mit Hilfsmitteln entwickelt worden. Einmal im Monat bestellt man Handschuhe, Kittel oder Einwegmaterial, was für Abstriche genutzt wird. Das hat sich etabliert und die Lieferung kommt prompt. Das wäre sicherlich eine Regelung gewesen, die man umsetzen hätte können.

Jetzt gibt es eine irrsinnige Nachfrage nach diesen Schnelltests. Ich befürchte, dass für Patienten mit Symptomen, die viel dringender getestet werden müssen, keine mehr zur Verfügung stehen. Der Alltag ist momentan eine Katastrophe und mit einer solchen Aktion ist man gleich wieder am Boden zerstört und überlegt, wie es denn überhaupt noch weitergehen soll. Diese Verunsicherung sollte man in Zukunft lassen, da muss vorher überlegt und abgeklärt werden, was realistisch ist.

"Unsere Telefone glühen"

Viele Aufgaben wurden fast über Nacht auf die Arztpraxen abgewälzt. Ist diese Schnelligkeit der politischen Entscheidungen für Sie problematisch?

Das sich ständige Einstellen auf neue Situationen ohne Konzept oder Unterstützung ist ein Riesenproblem für uns. Wir haben das vierte Quartal. Das ist traditionell durch eine hohe Anzahl an Infekten gekennzeichnet. Dazu kommen die saisonalen Grippeimpfungen und nun sollen im Hoppla-hopp-Verfahren die Booster-Impfungen organisiert werden. Unsere Telefone glühen. Die Produktivität fällt in den Keller, weil so viele Anfragen und Anforderungen auf uns einstürmen, dass wir einfach nur noch hinterherlaufen. Man schafft nicht einmal mehr, die Tagesarbeit abzuschließen. Uns geht die Zeit aus.

Welche Probleme traten während der immer noch anhaltenden Pandemie verstärkt auf?

Viele Organisationsaufgaben und Abläufe wurden auf die Allgemeinarztpraxen abgewälzt. Zum Beispiel die PCR-Abstriche. So was machen wir, aber es ist ein extremer Hygieneaufwand. Man muss selbst aufpassen, dass die Praxis kein Hotspot wird. Es ist ein immenser zeitlicher Aufwand, die Schutzausrüstung anzuziehen, die Abstriche auf dem Parkplatz durchzuführen und die Materialien zu entsorgen, um damit dem Hygienekonzept nachzukommen.

"Menschen haben Bedenken wegen mRNA-Impfstoff"

Was halten Sie von einer allgemeinen Impfpflicht?

Das ist ein heikles Thema. Jemanden dazu bewegen zu wollen, ist immer eine schwierige Situation. Das sollte möglichst nicht passieren. Jeder muss es selbst entscheiden können. Aber wenn das Wohl der Allgemeinheit im Vordergrund steht, dann kann ich mir vorstellen, dass so was kommen könnte. Die Vorteile einer Impfung liegen aber natürlich auf der Hand. Man hat bereits gesehen, dass bei den Geimpften die Hospitalisierung geringer ist und weniger Intensivstationsaufenthalte und schwere Verläufe auftreten. Aber viele Menschen haben eben Bedenken gegen die neue Technologie und einen mRNA-Impfstoff. Am Ende kann keiner die Bedenken der Menschen zu 100 Prozent ausräumen. Es hat in der Vergangenheit immer wieder Medikamente gegeben, wo es am Anfang ganz gut aussah und dann im Verlauf doch Nebenwirkungen aufgetaucht sind. Ich denke, der Mensch ist einfach viel zu komplex, als dass man das so einfach absehen könnte.

Welche ungewöhnlichen Fragen haben Sie bei Impfgesprächen gehört?

Es traten eher Bedenken auf. Im Internet und den sozialen Medien werden viele Informationen verbreitet, die die Menschen verunsichern. Die Berichte sind teils nicht recherchiert. Somit entsteht ein gefährliches Halbwissen. Dagegen hat die Informationskampagne gut gewirkt. Die Berichte liefen im Fernsehen rauf und runter. Die Patienten waren schon gut informiert.

Gibt es bei Ihnen genügend Impfstoff?

Aktuell gibt es für uns nur 18 Dosen pro Woche. Wir verweisen auch stetig auf die Impfzentren. Die Patienten müssen Geduld mitbringen. Das Telefon steht fast nicht mehr still. Viele Patienten melden sich an und fragen zwei, drei Wochen später nach, wann es denn so weit ist. Die Verunsicherung ist berechtigt und wir können sie durchaus verstehen, aber das führt dazu, dass das System zunehmend kollabiert.

Hohe Nachfrage

Aber im Allgemeinen sind ausreichend Impfdosen vorhanden?

Der Engpass beginnt jetzt wohl, also zumindest hier bei uns. Diese Woche sind wir auf 102 Impfungen gekommen, größtenteils Booster-Impfungen. Demgegenüber werden wir nächste Woche nur 18 Impfdosen bekommen. Die Nachfrage konnte wir bereits diese Woche nicht annähernd bedienen. Da fehlt einfach das Konzept.

Was sagen Sie zur Schließung der Impfzentren?

Die Impfzentren waren eine Grundlage. Ich hätte mir einen Plan B von der Politik gewünscht. Falls wieder eine Welle käme, wie man darauf zeitnah reagieren soll. Aber das ist eben eine sehr große Aufgabe und logistisch schwierig, die Millionen von Menschen durchzuimpfen. Die Impfung selber ist der kürzeste Teil. Es ist die Bürokratie, die uns deutlich ausbremst. Die kleinen Abläufe wie Eintragungen, tägliches Melden an das RKI und Formulare ausfüllen summieren sich zu einem gigantischen Aufwand. In der Zeit hätte ich schon wieder mehrere Menschen impfen können.

War es abzusehen, dass eine vierte Welle kommt?

Man hatte gehofft, dass keine kommt. Dennoch war es ein bisschen vorherzusehen. Die Heftigkeit der vierten Welle haben wir wahrscheinlich auch ein wenig unterschätzt. Gerade von der Politik wäre ein Plan B, falls es doch nochmal so heftig wird, gut gewesen. Aber insgesamt waren die Menschen einfach müde von den Maßnahmen.

Gefühl der Vernachlässigung

Wie finden Sie die Berichterstattung der Medien? War diese bisher deutlich zu krankenhauszentriert?

Man hat sich natürlich vernachlässigt gefühlt. Wobei es klar ist, dass der Fokus zunächst auf die Krankenhäuser und die Intensivmedizin gelegt wird. Dort werden die maximalen Krankheitszustände behandelt und sozusagen die letzte Rettung erhofft. Nichtsdestotrotz ist die breite Basis – die Allgemeinarztpraxen, die schlussendlich viel mehr Kontakt dazu haben – vernachlässigt worden. Denn auch dort sind Grenzen erreicht. Meine Befürchtung ist, dass Praxen wegen Coronafällen in Quarantäne müssen. Dann würden ganz schlimme Szenarien entstehen, weil es von anderen Kollegen nicht kompensiert werden kann. Wenn im Landkreis zum Beispiel ein, zwei Praxen schließen müssten, dann weiß ich nicht, wie die ambulante Versorgung sichergestellt werden kann.

Ist die hausärztliche Versorgung im Landkreis Weißenburg und Gunzenhausen trotzdem angemessen?

Wie bereits gesagt, bei einem Ausfall von ein paar Praxen hätte ich Bedenken, dass die Basisversorgung weiter zu gewährleistet ist. In Gunzenhausen ist man ganz gut aufgestellt. Es gibt nach wie vor andere Gegenden, die schlechter versorgt sind. Dort herrschen zum Teil katastrophale Zustände. Denn zu den Aufgaben des Alltags, mit denen eine Praxis normalerweise, besonders im Winter ausgelastet ist, kommen die weiteren Arbeiten durch Corona hinzu. Da geht niemand früher nach Hause. Da sind Überstunden Pflicht. Das ist eine Mehrbelastung, die kaum noch zu realisieren ist.

Können die Praxen noch Patienten aufnehmen?

Wir nehmen noch Patienten auf. Ich habe jedoch von Kollegen gehört, dass Engpässe entstehen, denn jeder hat gewisse Ansprüche an sich, um alles gewissenhaft zu erledigen und für die Leute da zu sein. Der Tag hat nur 24 Stunden.

"Medikamente befinden sich noch in der Entwicklung"

Wie verläuft die Behandlung von Covid-19-positiven Menschen in Ihrer Praxis?

Parallel zu den gestiegenen Zahlen haben wir auch immer häufiger mit Corona-Patienten zu tun. Häufig ruft der Patient bei uns an, weil der Schnelltest positiv ist. Wir verweisen dann auf die Teststationen oder machen den PCR-Test selbst. Leider gibt es im Moment gegen Corona nur eine symptomatische Behandlung. Es wird versucht, die Beschwerden der Leute zu lindern. Medikamente gegen Corona befinden sich noch in der Entwicklung, aber bis die marktreif sind, dauert es noch. Einige Firmen sind schon dran und haben gute Forschungsergebnisse erzielt. Wir hoffen tagtäglich drauf, dass die Medikamente zugelassen werden. Damit könne sich die Lage deutlich entspannen.

Was wünschen Sie sich von der neuen Regierung im Umgang mit der Pandemie?

Wir hoffen auf eine basisnahe Versorgung oder basisorientierte Politik. Man muss schauen, wo jetzt die Probleme im Gesundheitswesen sind. Mit der Basis meine ich: die Allgemeinarztpraxen und Krankenhäuser. Einfache Lösungen sind nun nötig, damit man die Zahlen wieder in den Griff bekommt. Andere Länder haben es ja auch hinbekommen. Das kann nicht sein, dass hier in Deutschland mit unserem Ruf des strukturierten Vorgehens solche Probleme auftauchen.

Zum Abschluss eine etwas pessimistische Frage: Ist es schon zu spät?

Das sicherlich nicht. Aufgeben ist keine Option. Wir müssen nun einfach dranbleiben und einen Schritt nach den anderen machen. Darauf besinnen einfache Lösungen zu finden, die wiederum nachvollziehbar sind. Man muss auch die Leute wieder motivieren, ihnen einfach realistisch sagen, dass es eine Zeit dauern wird bis eine neue Therapie entwickelt wird und wir alle wieder in den geordneten Alltag zurückkehren können.

Bis jetzt kann jeder froh sein, wenn man einfach nur gesund ist. Ohne Langzeitschäden – Stichwort Post-Covid-Syndrom. Es ist noch nicht abzusehen, welche Dimensionen das annehmen wird. Zudem kommen die psychologischen Folgen hinzu. Selbst wenn die Pandemie vorbei wäre, ist das wahrscheinlich vergleichbar mit Kriegsszenarien, bei denen Menschen über Jahre oder auch Jahrzehnte traumatisch betroffen sind.

Zur Person:

Der Facharzt für Innere Medizin und Geriatrie Clemens Jacob (45) begann sein Medizinstudium im Oktober 1997 an der Humboldt-Universität Berlin. Nach Staatsexamen und Approbationsurkunde trat er im April 2005 eine Stelle als Assistenzarzt für Innere Medizin am Stadtkrankenhaus Treuchtlingen an. Es folgten Stationen mit kontinuierlicher Weiterbildung in Eichstätt und Weißenburg. Von 2012 bis 2017 wirkte Jacob als Oberarzt der Akutgeriatrie im Gesundheitszentrum Treuchtlingen. Im Anschluss übernahm er zunächst die Praxis von Dr. Wolfgang Lindner in Unterasbach, und danach eröffnete Jacob seine Landarztpraxis in Theilenhofen.

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