Von der finsteren Kammer bis hin zum Adelssitz

8.2.2019, 14:43 Uhr
Von der finsteren Kammer bis hin zum Adelssitz

In der Menschheitsgeschichte gibt es bereits vor mehr als 2500 Jahren erste Hinweise auf die Verwendung von Rathäusern, und zwar in Griechenland, der Wiege europäischer Politik, Kultur und Wissenschaft. Während des Mittelalters setzt sich im deutschsprachigen Raum immer mehr diese besondere und hervorgehobene Gebäudenutzung innerhalb einer Kommune durch. Wichtigste Voraussetzung für ein Rathaus ist laut Werner Mühlhäußer die Tatsache, dass das Gemeinwesen die Stadtrechte verliehen bekommt.

Mitten auf dem Marktplatz

Die Macht, eine Siedlung oder ein Dorf zur Stadt zu erheben, ist ursprünglich kaiserliches beziehungsweise landesherrliches Vorrecht. Wann und durch wenn Gunzenhausen diese Rangerhöhung zuteil wird, bleibt im Dunkel der Geschichte verborgen. Bereits 1271 hören wir von der lateinischen Bezeichnung "cives" (Bürger) in Verbindung mit drei Gunzenhäusern. Dieses darf, so der Stadtarchivar, eindeutig als Beleg des städtischen Charakters dienen. Mit großer Wahrscheinlichkeit ist davon auszugehen, dass ungefähr zu diesem Zeitpunkt auch das erste Rathausgebäude in der Altmühlstadt entsteht. Dessen genauer Standort ist zwar unbekannt, dürfte aber sicherlich im Marktplatzbereich gewesen sein.

1532 berichten die historischen Unterlagen, dass das "Rathhaus gantz paufellig" sei, doch dauert es noch einige Jahre, bis es endlich 1544 zum Neubau kommt. Das imposante und repräsentative Gebäude befindet sich an prominenter Stelle — mitten auf dem Marktplatz. Genauer gesagt, an der breitesten Stelle des Platzes zwischen den heutigen Anwesen Marktplatz 42 (Fotostudio Braun) und Marktplatz 41 (Gasthaus "Altes Rathaus" gegenüber.

Mit Shopping-Zentrum

Von der finsteren Kammer bis hin zum Adelssitz

Das neue Rathaus ist quasi multifunktional und eine Kombination aus Verwaltungszentrale, Shopping-Zentrum und Vergnügungslocation. Im kompletten Erdgeschoss befinden sich mehrere Läden und die städtische Waage, während im ersten Stockwerk, im sogenannten "Tuch-Hauß", alle möglichen Stoffe feilgeboten werden. Außerdem gibt es dort einen großen Saal, genannt Tanzboden, für Empfänge und Festivitäten der Stadt, aber auch für Hochzeitsfeiern der vornehmen Ratsfamilien. Zu einem Unglück kommt es 1643, als sich ein Hochzeitsgast im Tanzsaal an die Mauer lehnt und diese komplett mit ihm zusammen auf die Straße fällt. Der Mann stirbt, und es stellt sich die Frage, wie exzessiv frühere Gunzenhäuser Generationen feierten, dass gleich eine ganze Rathausmauer einstürzt.

Im zweiten Stock treffen sich die Stadtväter in der Ratsstube zu ihren Beratungen und in den benachbarten Räumen sind sowohl die städtische Registratur, als auch die Registraturen des markgräflichen Oberamts (vergleichbar dem heutigen Landratsamt) und des Kastenamts (heute Finanzamt) untergebracht. Die beiden darüber liegenden Dachgeschosse werden als Getreidespeicher genutzt.

Die ganze Herrlichkeit währt 200 Jahre lang bis zur Regentschaft Markgraf Carl Wilhelm Friedrichs von Brandenburg-Ansbach, der sich bekanntermaßen oft und lange in Gunzenhausen aufgehalten hat. Er lässt das Rathaus 1748 von seinem Bauinspektor Johann David Steingruber besichtigen. Dessen Bericht fällt buchstäblich vernichtend aus, da er das Rathaus als derart marode erachtet, dass er sich gegen eine Renovierung ausspricht.

Man mag Steingruber ein gewisses Gefälligkeitsgutachten unterstellen, da dem Fürsten das mitten auf dem Marktplatz stehende Gebäude ohnehin ein Dorn im Auge ist — behindert es doch den Ausblick von seinem hochherrschaftlichen Appartement auf die exerzierende Leibkompanie. Die Stadträte ködert er schnell mit dem Versprechen, einen prächtigen Rathausneubau zu finanzieren. Jedwede Bedenken fallen und das bisherige Rathaus wird abgerissen.

Kein Geld für Neubau

Ganz nach dem Motto "Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern" verhindert letztendlich die desolate finanzielle Situation von Markgraf und Regierung das Neubauprojekt und es beginnt eine knapp 70 Jahre andauernde Phase der Improvisation für die städtische Verwaltung.

Von der finsteren Kammer bis hin zum Adelssitz

© Fotos: Stadtarchiv Gunzenhausen

Zunächst bezieht man ein paar gnädig zugewiesene Räume im Anwesen Marktplatz 37 (Heute "Alte Apotheke"), immer noch hoffend, es wäre nur für kurze Zeit. Doch dieses erste Provisorium soll bis 1803 dauern. Zu allem Übel wird das Haus zunächst an den örtlichen Militärkommandanten und schließlich an einen Apotheker verkauft: Die Stadtverwaltung ist heimatlos! Zum Glück findet sich zeitnah eine Möglichkeit, im größten Gebäude am Marktplatz unterzukommen.

Allerdings wird das Anwesen Marktplatz 23 zu diesem Zeitpunkt bereits von anderen Behörden vielfältig und gleichzeitig genutzt, sodass für die Kommune und dem Municipalrat — dem damaligen Stadtrat — lediglich eine Stube, eine kleine finstere Kammer für den Besucherverkehr und eine Dachkammer als Aktenregistratur zur Verfügung stehen. Dieser unwürdige Zustand hält bis 1816 an, als die Ratsmitglieder dagegen protestieren. In einem zornigen Brief schreiben sie, dass "es unmöglich ist in dem einzigen Zimmer die Amtsgeschäfte zu vollführen, da besonders in den Wintermonaten die "Besucher (Parteyen) um nicht in der unheizbaren Kammer zu erfrieren, sich im Sitzungs-Zimmer aufhalten müssen".

Ein Palais für die Verwaltung

Plötzlich, wie aus heiterem Himmel, zeichnet sich eine Lösung der prekären Situation ab: In der Schmiedgasse (später Rathausstraße) steht eines der größten und schönsten Privatanwesen zum Verkauf. Die Ansbacher Pupillenrätin Hänlein kann mit dem ererbten Besitz nichts anfangen und verkauft es 1816 für umgerechnet 160 000 Euro an die Stadt. Nun verfügt man über ausreichend Platz für die Verwaltung, verteilt auf vier Stockwerke. Das neue Rathaus kann auf eine lange und interessante Geschichte zurückblicken:

Seit den frühesten Zeiten im Besitz verschiedener Adelsfamilien, wird der Vorgängerbau durch Johann Wilhelm von Zocha, dem späteren Ansbacher Baudirektor, abgerissen und durch ein Palais ersetzt. Architektur und Raumaufteilung sind dabei so gefällig, dass es während der Regierung von Markgraf Carl Wilhelm Friedrich als so genanntes Gesandtenhaus genutzt wird. Viele durchreisende Diplomaten und Fürstlichkeiten werden dort beherbergt.

Auch wenn sich die Stadträte mit dem Ankauf finanziell übernehmen — die Kaufsumme ist auf Pump in mehreren Raten abzustottern — überwiegt doch die große Zufriedenheit. Nach und nach werden die bisherigen großbürgerlichen Wohnräume in Amtszimmer umgewandelt. Auch eine Dienstwohnung für Stadtschreiber Johann Heinrich Frauenknecht, dem ranghöchsten Beschäftigten bei der Verwaltung, wird geschaffen. In den vielen Räumlichkeiten des Rathauses sind unter anderem auch die städtische Polizei inklusive Gefängniszelle und die Stadtpost untergebracht. Sogar die Turnstunden der königlichen Realschule finden bei schlechter Witterung im Rathaussaal statt.

Während des Nationalsozialismus plant Bürgermeister Appler Größenwahnsinniges: Unter Einbeziehung der benachbarten Häuser soll nach seinen Wünschen für 200 000 Reichsmark ein überdimensionierter Prachtbau entstehen. Der Zweite Weltkrieg verhindert die bauliche Schändung des Barockjuwels an der Rathaustraße, wo sich heute Stadtmuseum und die Touristik-Info befinden.

Trotz eines Anbaus Richtung Waagstraße reichen die Räumlichkeiten nicht mehr aus. Durch enorme Zunahme der Verwaltungszuständigkeiten und Eingliederung von 14 ehemals politisch selbstständigen Gemeinden ab 1971 zur Stadt Gunzenhausen, platzt das Rathaus aus allen Nähten. Bedingt durch die bayerische Gebietsreform verliert Gunzenhausen zum 1. Juli 1972 sein Landratsamt, und so wird dessen Amtsgebäude am Marktplatz 23 frei.

Früher Landratsamt

Die Stadt fackelt nicht lange und greift zu. Seit 1974 ist die Stadtverwaltung in jenem Haus, das sie bereits zwischen 1803 und 1816 übergangsweise beherbergt hatte, ansässig. In der Geschichte Gunzenhausens ist es damit das sechste Rathaus seit dem Mittelalter.

Wobei streng genommen gegenwärtig zwei Rathäuser gleichzeitig existieren: Erst vor wenigen Wochen führte der Stadtarchivar ein Telefonat, in dem der Gesprächspartner im Brustton der Überzeugung mitteilte, er habe sich im Vorfeld seines geplanten Besuchs in Gunzenhausen schlau gemacht und aus dem Internet erfahren, es gäbe zwei Rathäuser in der Stadt.

Die Einwände Mühlhäußers, dass er davon nichts wüsste, stießen auf vehementen Widerspruch. Nein, es gäbe die Stadtverwaltung im Rathaus, Marktplatz 23, und das "Alte Rathaus", Marktplatz 41, lautete die selbstsichere Antwort. Mit dieser Schlüsselinformation klärte sich der Irrtum schnell auf: Der auswärtige Herr hatte bei seiner "World-Wide-Web"-Recherche schlicht die urfränkische Gastwirtschaft mit der städtischen Denkzentrale in einen Topf geworfen.

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