Vorwürfe statt Hilfe: Wie eine Corona-Quarantäne vieles verändert hat

27.12.2020, 09:38 Uhr
Das Coronavirus kann sowohl eine physische als auch eine psychische Belastung sein – selbst wenn man nicht selbst infiziert ist – wie der Fall von Claudia Leyrer zeigt.

© imago images/CHROMORANGE Das Coronavirus kann sowohl eine physische als auch eine psychische Belastung sein – selbst wenn man nicht selbst infiziert ist – wie der Fall von Claudia Leyrer zeigt.

Nachts könne Claudia Leyrer (alle Namen im Text geändert) häufig nicht schlafen, träume schlecht. Der Arzt habe ihr etwas zur Beruhigung verschrieben. Unter Leuten fühle sie sich seither unwohl, bekomme Panik und Schweißausbrüche, deshalb meide sie Menschenansammlungen. Als Verkäuferin hat sie jedoch zwangsläufig Kontakt mit vielen anderen, was sie Überwindung kostet. Doch nicht die Angst einer Erkrankung durch das Virus löst all das in ihr aus, sagt sie, vielmehr die Vorstellung, sie und ihre Familie müssten noch einmal in Quarantäne und wären dieser Situation wieder ausgesetzt.


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Aber von vorne: Als ihr Sohn David mit seiner Freundin aus dem Sommerurlaub zurückkehrte, ließen die beiden sich freiwillig an der Grenze testen, erzählt Leyrer. Auf Nachfrage habe man ihnen dort gesagt, sie müssten nicht daheim bleiben und das Ergebnis abwarten. Und so stand David einen Tag später auf dem Fußballplatz.

Als ein paar Tage darauf, Anfang September, dann die E-Mail kam, dass er positiv auf das Coronavirus getestet wurde, war David gerade auf der Arbeit, weshalb seine Kollegen gleich verständigt wurden. Ab diesem Zeitpunkt verbreitete sich die Nachricht wie ein Lauffeuer, berichtet Claudia Leyrer. Ein Kollege etwa habe die Neuigkeit über sämtliche WhatsApp-Gruppen verteilt. "Manch einer im Dorf wusste es vor uns. Ich war total entsetzt", sagt Claudia Leyrer über das Verhalten der Leute.

Eine Woche auf das Testergebnis gewartet

Das Gesundheitsamt schickte neben David unter anderem sie, ihren Mann und ihren älteren Sohn samt Familie in Quarantäne. Um einen Test mussten sie sich am nächsten Tag selbst bemühen, erzählt sie. Der Hausarzt der Familie hätte sich zunächst ohne Begründung geweigert, bis er nach mehreren Anrufen doch zustimmte. Die Anfrage bei einer Teststation wurde erst gegen Abend beantwortet, weiß Leyrer noch. So verging beinahe ein ganzer Tag bis zum Abstrich, und eine ganze Woche, bis sie die Ergebnisse hatten, was natürlich zusätzlich für Unruhe unter ihren Kontakten sorgte.


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Währenddessen begann der Telefonterror, berichtet sie weiter. Aus dem ganzen Dorf kamen Anrufe: "Handy, Festnetz, ich wundere mich, wo die unsere Nummern her hatten. Wir stehen nicht mal im Telefonbuch." Manchmal bis abends um halb zehn, habe das Telefon nicht stillgestanden. Viele riefen aus purer Neugier an, hatten mit den Leyrers während der kritischen Tage nichts zu tun. Hinzu kamen die Gespräche mit dem Gesundheitsamt. Ständig wechselnde Sachbearbeiter, falsch aufgenommene Daten, wiederkehrende Fragen – eine Tortur, erinnert sich Claudia Leyrer. Zudem tätigte das Amt Kontrollanrufe, um zu überprüfen, ob sie zuhause waren.


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"Auf Streife" gingen aber auch Dorfbewohner. "Beinahe täglich sind dieselben Autos bei uns vorbeigefahren. Die hätten sich manchmal zum Autokorso treffen können", sagt Claudia Leyrer sarkastisch und noch immer fassungslos. Wie "Schwerverbrecher" seien sie sich teilweise vorgekommen. "Das ist dann die sogenannte Dorfgemeinschaft", äußert sie sich bitter.

Freunde enttäuschten mit ihrem Verhalten

Enttäuscht sei sie auch von den Menschen, die sie für ihre Freunde hielt. Kaum einer – weder Freund noch Mitbürger – habe nachgefragt wie es ihnen gehe, ob sie etwas zu essen bräuchten oder einfach nur jemanden zum Reden. Stattdessen bekamen die Leyrers Beschuldigungen zu hören und Vorwürfe, weil einige, die ebenfalls in Quarantäne mussten oder aus Vorsicht zuhause blieben, Termine absagen mussten oder ihre Hobbys nicht ausüben konnten, berichtet die Verkäuferin.

Leute, mit denen sie "30 Jahre zusammen waren", und von denen sie am meisten erwartet hätten, halfen nicht oder mieden sie. "Da lernst du deine Freunde kennen", bedauert Claudia Leyrer. Nur Verwandte und ein paar entfernte Bekannte aus dem Ort, von denen es Leyrer nicht erwartet hatte, kümmerten sich um sie.

Zudem machten Gerüchte die Runde, die Familienmitglieder hätten andere angesteckt, dabei erhielt niemand der Leyrers ein positives Testergebnis. Selbst weitere Tests bei David waren negativ, der übrigens keinerlei Symptome hatte, versichert seine Mutter. Als er noch Fußball spielte, ihr Enkel in die Schule ging oder ihr Mann beim Lauftreff war, wussten die Leyrers schließlich nicht, dass einer von ihnen sich mit dem Coronavirus angesteckt hat. Eine Absicht oder Leichtsinn kann der Familie also nicht vorgeworfen werden.

Damals noch die "Exoten"

Laut Leyrer sei die Situation im Dorf jetzt anders, man höre nichts mehr von den Infizierten. Mittlerweile haben sich rund 30 Bewohner mit dem Virus angesteckt, sie waren noch die "Exoten", wie sie selbst sagt.

Unterstützung erhielten Claudia Leyrer und ihr Mann während dieser schweren Zeit letztlich von Arbeitskolleginnen und -kollegen. Sie kauften ein, erkundigten sich nach der Familie, schickten ihr sogar ein Päckchen zum Geburtstag, der auch noch in die Quarantäne fiel. "Das rechne ich ihnen ganz hoch an. Sie nennen wir jetzt unsere Freunde", bedankt sich Leyrer bei ihnen.


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An den Altmühl-Boten hat sie sich nun, rund drei Monate später, gewandt, weil die Vorfälle sie immer noch beschäftigen und sie aufzeigen möchte, dass eine Quarantäne keine Entspannung ist oder gar mit einem Urlaub gleichzusetzen sei. Es gehe ihr nicht darum, dass die Menschen nun "ihr Fett wegbekommen". Claudia Leyrer möchte vielmehr informieren, wie sich solche Anfeindungen auf Corona-Betroffene auswirken, die selbst nichts für ihre Situation könnten.

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