Was bitte ist ein Presssack?

10.4.2019, 05:51 Uhr
Was bitte ist ein Presssack?

Noch ist die Situation etwas ungewohnt für Angelika Erben-Ilmert. 28 Jahre lang managte die Medizinerin ihre chirurgische Praxis am Gunzenhäuser Bahnhofplatz, war tagein, tagaus für ihre Patienten da. Seit April tritt sie nun deutlich kürzer, das Schwabacher Zentrum für Orthopädie, Unfallchirurgie und Sportmedizin hat die Geschäfte übernommen und sie selbst wird nur noch einen Tag in der Woche mitarbeiten.

Denn so ganz ohne ihre Praxis kann es sich die Ärztin, die 1990 in die Altmühlstadt gekommen ist, noch nicht vorstellen. "Ich brauche immer etwas zu tun", erzählt die quirlige Frau, die sich in den letzten Jahren nur selten einen längeren Urlaub gegönnt hat. Ihr Studium absolvierte Angelika Erben-Ilmert in Greifswald. Anschließend legte sie am Klinikum in Cottbus ihre Facharztprüfung ab und arbeitete dort in der Notaufnahme, in der Notfälle aus allen Fachrichtungen behandelt werden mussten.

Frau und Chirurgin

Nach der Wende in Gunzenhausen angekommen, wollte sie ursprünglich wieder an einem Krankenhaus arbeiten. Doch die damals noch eher ungewöhnliche Kombination "Frau, Chirurgin, kleine Kinder und Vollzeit hat man mir wohl nicht so recht zugetraut". Da sie keine Stelle in einer Klinik fand, klapperte sie sämtliche Hausarztpraxen ab und bot ihre Unterstützung ab. So kam sie nach Spalt und Weidenbach, und schließlich war es der Muhrer Allgemeinmediziner Dr. Axel Peiffer, der sie überzeugte, sich mit einer chirurgischen Praxis selbstständig zu machen.

Das ehemalige Textilgeschäft Held am Bahnhofplatz — "das war nur ein einziger Raum" — wurde von Karl Wittmann zur Praxis aus- und umgebaut. Die Eröffnung konnte am 3. Juni 1991 gefeiert werden, und Angelika Erben-Ilmert erinnert sich noch an ihren allerersten Patienten. "Das war ein Fußballer, und wir hatten sogar noch Zeit, im Wartezimmer Kaffee anzubieten."

Das aber sollte sich schnell ändern, das Praxisteam hatte schon bald alle Hände voll zu tun. Große Unterstützung habe sie besonders in den Anfangsjahren von Ulrich Pfeiffer, dem Inhaber der Markt-Apotheke, bekommen. "Das war ja alles Neuland für mich", erklärt sie.

Auch die fränkische Mundart stellte die Ostdeutsche vor so manche Probleme. "Das Wort Spreißel zum Beispiel kannte ich überhaupt nicht", lacht sie. "Da brauchte ich Hilfe von meiner Arzthelferin Christine Haigl." Sie war die Mitarbeiterin der ersten Stunde und hält der Praxis bis heute die Treue.

Auch, dass in Franken der Fuß bei der Großzehe anfängt und an der Hüfte endet, sorgte für so manche kuriose Situationen. Noch aus der Zeit, als sie bei den niedergelassenen Allgemeinmedizinern mitarbeitete, stammt eine lustige Anekdote: Wegen einer schwangeren Patienten, die an Blutarmut litt, fragte sie beim Kollegen wegen der Verordnung nach, die, so die Vorgabe, möglichst kostengünstig sein sollte. Die Antwort lautete: Drei mal täglich Presssack. "Er konnte ja nicht wissen, dass ich nicht wusste, was Presssack ist!" Als sie das Rezept dafür herausschreiben wollte, vergewisserte sie sich sicherheitshalber noch mal wegen der Schreibweise — was den Arbeitsalltag mächtig erheitert hat und bis heute nicht in Vergessenheit geraten ist.

Täglich ab 6.30 Uhr im Dienst

Etwas skeptisch sei man auch ihrem Titel gegenüber gewesen: "Mit Diplom-Medizinerin konnten die wenigsten etwas anfangen", weiß sie. Doch schnell sprach sich herum, dass die Chirurgin in der Bahnhofstraße ihre Sache gut macht, sodass ihr nicht mehr viel Zeit für Familie und Hobby blieb. Täglich war sie ab 6.30 Uhr in der Praxis zu finden, dazu kamen Bereitschaftsdienste nachts und an den Wochenenden. Zudem übernahm sie vor 26 Jahren den ehrenamtlichen Dienst als Sportärztin beim BRSV. "Eine schöne Geschichte", die sie auch künftig noch fortführen wird. Einmal die Woche wird sie in der Praxis mitarbeiten und die neuen Kollegen unterstützen.

Froh und dankbar ist sie, dass es — nach einigen bürokratischen Hürden — in den Räumen am Bahnhofplatz weitergeht. Ihr aktuell fünfköpfiges Team wird dort ebenfalls weiter beschäftigt sein. Der Abschied, das gibt die Ärztin, die sich nur ungern in den Vordergrund drängt, ganz offen zu, fällt ihr nicht leicht. Der Wehmut ihrer alten Patienten geht ihr "schon an die Nieren".

Was sie in Zukunft mit ihrer ungewohnt viel freien Zeit anfangen wird? "Vielleicht habe ich ja Zeit für Hobbys. Lesen, malen, Musik und Tiere. Heute war ich schon fünf mal so lange mit dem Hund Gassi wie sonst", schmunzelt sie. Zeit wird sich Angelika Erben-Ilmert auf jeden Fall für ihr Enkelkind nehmen. "Da freue ich mich schon!" Und flexibel und umtriebig wie sie ist, wird die Medizinerin sicherlich auch die neue Situation meistern.

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