Zu Gast auf der Vogelinsel am Altmühlsee

26.4.2020, 07:09 Uhr
Zu Gast auf der Vogelinsel am Altmühlsee

© Tine Bethke

"Treffpunkt Turm" heißt ein Führungsangebot des Landesbunds für Vogelschutz am Altmühlsee. Wenn diese Führungen wieder möglich sind, dann stehen dort für die Teilnehmer supertolle Fernrohre bereit, und man kann unter fachkundiger Anleitung die Vogelwelt entdecken. Dies muss derzeit wegen des bösen C-Wortes ausfallen. Zudem muss die Leiterin der LBV-Umweltstation am Altmühlsee, Martina Widuch, noch einen Hygiene-Fahrplan für die Desinfektion der Spektive entwickeln, wenn die Führungen in kleinen Gruppen wieder starten können.

Nichtsdestotrotz: "Für einen Vogelkundler, der seine Ruhe haben will, gibt es derzeit eigentlich ideale Bedingungen", meint die insbesondere für naturkundliche und ökologische Bildung zuständige LBV-Mitarbeiterin. Jedenfalls fallen derzeit keine schnatternden Senioren- oder Schülergruppen auf dem Turm ein, und ein einsamer Rundgang auf der Vogelinsel mit erforderlichem Anstand ist gut möglich.

Na denn: Ich blase den Staub von meinem Vogel-Bestimmungsbuch aus der hintersten Reihe und mache mich auf zur Vogelinsel. Tine Bethke, unsere Lensball-Fotografin, hat vorab schon das Revier erkundet und den Beobachtungsturm samt strahleblauem Himmelszelt in ihrer Fotokugel eingefangen. Wie derzeit unsere ganze soziale Welt, steht der einsame Turm Kopf. Vom Turm aus hat man einen guten Blick auf das Naturschutzgebiet, ein 200 Hektar großes Mosaik aus Flachwasser- und Inselzonen. Man befindet sich quasi im "Gästezimmer für alle, die keine Federn und Flügel haben" – so drückt es Martina Widuch aus.

Panorama von oben

Sie macht mich bei unserem Telefonat neugierig auf den Ausblick auf die große Wiese mit ausgefransten Sumpf- und Schlickrändern auf der Hauptinsel, auf die Möweninsel (eine Schilffläche, die in Richtung Freiwasser mit Blick auf Gunzenhausen vom Turm aus zu sehen ist). Wer keinen Ausflug machen möchte, kann auf der Seite der LBV-Umweltstation Altmühlsee das 360-Grad-Panorama aus der Vogelperspektive auf sich wirken lassen. Als Frischluftfan erkläre ich mich für einen Nachmittag zur Vogelforscherin und mache mich auf zur Vogelinsel.

Extra habe ich mir Schlechtwetter ausgesucht, und tatsächlich bin ich die ganze Zeit allein auf dem Rundweg unterwegs. Schon vom Ufer aus habe ich die Möwen kreisen sehen, und ihr Geschrei bringt mich in Adria-Stimmung. Ehe ich nach dem großen Steg rechts abbiege, höre ich Liedmotive von höchst sangesfreudigen Amseln. Auf der Insel hat sich über die Jahre nicht nur ein Wasservogel-, sondern auch ein Singvogelparadies etabliert. Nahe am zweiten Steg entdecke ich im Flachwasser eine Mini-Schilfinsel, darauf hockt ein Blässhuhn und schaut sehr angespannt und streng in meine Richtung. Ich will ja nur vorbeilaufen, aber das passt dem Inselbesitzer gar nicht: Er versucht, möglichst furchterregend mit dem Schnabel zu klappern, und schlägt mich in die Flucht.

Zu Gast auf der Vogelinsel am Altmühlsee

© Armin Gsell/LBV-Archiv

Später wird mir ein erfahrener Vogelbeobachter erklären, dass Blässhühner eigentlich gern rund um den Rundweg am Altmühlsee brüten und das sonst übliche Touristengewimmel in Kauf nehmen. Die Menschen sind aus Blässhuhn-Sicht harmlos, halten ihnen aber gefährliche Feinde wie Fuchs oder die Muhrer Dohlenbande vom Leib. Die Dohlen habe ich auch gesehen, aber fälschlicherweise für Krähen gehalten, naja eben schwarz und lärmig. Obwohl ihr "Kjack, Kjarr, Kjöck" mich jetzt eher an unseren früheren Familien-Wellensittich erinnert.

Tja, das war’s dann schon mit Entdeckungen gefiederter Seltenheiten für mich. Fasziniert bin ich von den Ausblicken ins Schilf, in schwarze Wasserzonen und den bizarren Weidenformationen am Rundweg. Doch für die geruhsame Vogelbeobachtung bin ich Trampeltier wohl nicht gemacht. Vom einsamen Turm aus gucke ich rundum: werde doch wohl mal einen Großen Brachvogel im Schlamm stochern sehen oder die knallroten Beinchen eines Rotschenkels … ach, wenn das Vogelbeobachten doch so einfach wäre. Ich entdecke zwar mit meinem Luschen-Fernglas einiges Federvieh auf der Hauptinsel, aber ich kann eigentlich nur erkennen, dass sich die braunen Flecken bewegen – und es sich deshalb nicht um Schilfbüschel handeln kann.

Tine Bethke hat auf ihrer Foto-Exkursion einen Profi-Vogelbeobachter, ausgerüstet mit Fernglas, Stativ und diversen Bestimmungsbüchern, angetroffen – ich nicht. Aber es gibt ja ein Home-Office und so treibe ich dann doch noch einen Telefonkontakt auf: einen echten und echt scheuen Vogelbeobachter, der supergut von der Vogelwelt erzählen und noch besser Vogelstimmen imitieren kann, aber nicht namentlich erwähnt werden möchte. Sonst wird er am Ende pausenlos angerufen und muss sein perfektes Nachtigall-Crescendo vorpfeifen . . .

Doch so ganz scheu darf ein Vogelbeobachter in Normalzeiten auch nicht sein: Da können sich schon mal 20 Kollegen mit Fernrohren am Turm einstellen. Der Altmühlsee ist nämlich ein ebenso begehrtes Beobachtungsgebiet wie der Chiemsee oder der Bodensee. Er gilt als bedeutender Brut- und Rastplatz für mindestens 210 verschiedene Vogelarten. "Und jetzt ist die beste Zeit!", schwärmt mein Interviewpartner: Bis Mitte Mai ist der See zudem Zwischenlandungplatz der Langstreckenflieger, etwa Schnepfen oder Sumpfrohrsänger. Dieser ist der letzte Ankömmling aus dem Süden, und trotz seiner nur elf Gramm hat er eben mal die Sahara überflogen.

Wenn es unter den gefiederten Bewohnern der Vogelinsel plötzlich unruhig wird, wenn alles durcheinanderflattert, dann lenkt der erfahrene Vogelbeobachter den Blick himmelwärts: Bestimmt zieht dann ein Seeadler seine Kreise. Unser Vogelkenner weiß: "Wenn da stattdessen ein Fischadler fliegt, bleibt alles ruhig, denn der bedeutet ja keine Gefahr!"

Ein Seeadlerpärchen ist übrigens in den letzten Tagen am Altmühlsee gesichtet worden, ebenso solch seltene Gäste wie eine Raubseeschwalbe, Regenbrachvögel und ein Seidenreiher. Die Ergebnisse der Vogelbeobachter kann man sich auch als Gast auf der Seite "ornitho.de" abrufen.

Wie wird man denn nun ein echter Vogelbeobachter? Da braucht man erstens Geduld, dann allerhand Vogel-Bestimmungsbücher, CDs – oder Apps – mit Vogelstimmen und ein gutes oder besser ein noch besseres Fernrohr. Unser Experte hat ein Spektiv mit 20- 60-fachem Zoom, auf das er seine Kamera aufsetzen kann. Die meisten lockt wohl das Naturerlebnis, aber man kann da auch eine Art Wettbewerb draus machen. Das nennt man dann "twitschen", das heißt, man beobachtet Vögel und trägt diese Beobachtung dann bei "ornitho.de" oder anderen Portalen ein. Je mehr Vögel man schon gesehen und einer Art zuordnen konnte, desto besser das Renommee. Bei unserem Vogelbeobachter sind das so 360 Piepmätze.

Martina Widuch und unseren Vogelbeobachter habe ich nach ihrem Lieblingsvogel gefragt. Sowas gibt es eigentlich für einen Vogelfan nicht, aber Favoriten schon.

Für die LBV-Führungskraft ist es der Eisvogel. Sie ist ja nun schon einige Zeit an der Umweltstation tätig, aber den hat sie vielleicht fünf Mal entdeckt: "Das ist ein Highlight, denn der Eisvogel ist superschnell, und man muss schon zur richtigen Zeit in die richtige Richtung schauen, um ihn zu entdecken", sagt sie.

Unser Vogelbeobachter wählt als Favoriten den Star. Den kann er nicht nur in den Hecken rund um den See, sondern auch an den Starenkästen in seinem Garten beobachten. Stare sind begabte Sänger und Imitatoren, erläutert er. Wenn sie aus Afrika kommen, dann quietschen sie wie die Zebras, später im Jahr kann auch Amselgesang oder Rotmilan nachgemacht werden – oder auch mal das Gebell des Nachbarshunds.

Und mein persönlicher Lieblingsvogel am Altmühlsee? Natürlich die Graugans. Da braucht man sich nicht mühsam anzuschleichen oder ins Gebüsch starren, nee, man kann einfach loslaufen und warten, bis man drüberstolpert.

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