Häusliche Gewalt: Freistaat will Opfer besser schützen

8.8.2020, 05:32 Uhr
20.045 Fälle von häuslicher Gewalt haben die Behörden in Bayern im vergangenen Jahr registriert. Vier von fünf Tatverdächtigen waren Männer.

© Foto: Maurizio Gambarini/dpa 20.045 Fälle von häuslicher Gewalt haben die Behörden in Bayern im vergangenen Jahr registriert. Vier von fünf Tatverdächtigen waren Männer.

Zwei Tage nach dem Brand in der Regensburger Innenstadt hatten die Ermittler schreckliche Gewissheit. Die beiden Personen, die im September 2019 in der völlig verqualmten Wohnung aufgefunden worden waren und kurz darauf starben, waren wenige Jahre zuvor ein Paar gewesen. Zuerst hatte der 41-jährige Täter seine 37-jährige Ex-Freundin mit mehreren Messerstichen schwer verletzt, danach sich selbst Schnittverletzungen zugefügt und schließlich Feuer gelegt.

Im Jahr zuvor hatte ebenfalls in Regensburg ein 32-Jähriger seine ehemalige Lebensgefährtin mit Faustschlägen gegen den Kopf und sieben Messerstichen regelrecht hingerichtet und war vom örtlichen Landgericht zu 13 Jahren Gefängnis verurteilt worden. Auch in diesem Fall war es wohl nicht der erste Übergriff: Viele Indizien weisen darauf hin, dass beide Frauen im Vorfeld wiederholt geschlagen worden waren.


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20.045 Fälle von häuslicher Gewalt waren 2019 bei den Behörden in Bayern aktenkundig geworden, wobei die Dunkelziffer mit Sicherheit erheblich höher liegt. Die Taten reichten von Bedrohungen (2019: 3335 Fälle) über Vergewaltigungen (318) bis zu Tötungsdelikten (55, davon 44 Versuche).

Eskalationsspirale unterbrechen

Um diese Situation zu verbessern, haben die Staatsanwaltschaft Regensburg und das Polizeipräsidium Oberpfalz nun ein Konzept entwickelt, bei dem die verschiedenen Institutionen viel enger als bisher Hand in Hand arbeiten. "Ziel ist es, die Eskalationsspirale noch früher zu unterbrechen und die Opfer so noch besser zu schützen", sagte Justizminister Georg Eisenreich (CSU) bei der Vorstellung des Konzepts, das seit Juli umgesetzt wird.

Die Verantwortlichen können sich über zwei erste Erfolge freuen, bei denen sich die potenziellen Täter zumindest bis jetzt an die ausgesprochenen Kontaktverbote halten. Die betreffende Person müsse bei Zuwiderhandlungen merken, dass solche gerichtlichen Anordnungen nicht nur auf dem Papier stehen, "sondern dass sofort eine Reaktion erfolgt", wie Markus Pfaller, Sprecher der Staatsanwaltschaft Regensburg, erklärt. Und konkrete Fälle sollen so schnell wie möglich ausermittelt werden und vor Gericht gebracht werden.

Feste Ansprechpartner bei der Polizei

Deshalb soll es nun auch feste Ansprechpartner für die Bearbeitung der Fälle bei Polizei und Staatsanwaltschaft geben. Nach einem Kriterienkatalog soll das individuelle Risiko jedes Einzelfalls bewertet werden. Dazu zählen, wenn das Opfer konkrete Ängste hat, umgebracht oder verletzt zu werden, oder wenn der Täter schon gewalttätig war.


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"Es gibt zwar auch Taten im Affekt, aber viele tragische Fälle von häuslicher Gewalt haben ja eine Vorgeschichte", sagt Markus Pfaller. Da sei es manchmal nur eine Frage der Zeit, bis die Situation endgültig eskaliere. Manche aktenkundigen Gewalttäter seien schon früher durch eine schlechte Impulskontrolle und ein hohes Aggressionspotenzial aufgefallen – "das ist wie ein Pulverfass, das jederzeit explodieren kann".

Im Extremfall kann hier Paragraf 112a der Strafprozessordnung greifen: Aufgrund der Wiederholungsgefahr können Beschuldigte auch über einen längeren Zeitlang in Untersuchungshaft genommen werden, um eine drohende Gefahr für ihre möglichen Opfer abzuwenden.

Opfer können sich beraten lassen

Als Sofortmaßnahmen haben sich laut Innenminister Joachim Herrmann (CSU) die vorübergehende Verweisung des Täters aus der Wohnung oder Kontaktverbote bewährt. So habe die Polizei im Jahr 2019 in 4591 Fällen einen Platzverweis gegen den Gewalttäter ausgesprochen und 5137 Mal ein Kontaktverbot.

Für Betroffene gebe es zudem Beratungsangebote unter anderem über Beauftragte der Polizei für Kriminalitätsopfer. Die Staatsanwaltschaften im Freistaat verfügen inzwischen über Spezialdezernate mit erfahrenen Ansprechpartnern, die von häuslicher Gewalt und Sexualstraftaten betroffenen Menschen Hilfestellungen geben können. "Wir lassen die Opfer nicht allein", versprach Herrmanns Kollege Georg Eisenreich bei der Präsentation des Pilotprojekts. Und man sende damit das Signal, dass in Bayern die Strafe der Tat auf dem Fuß folge.