Nach Flucht in Weißenburg

Helis, Nagelketten, Straßensperren? So laufen Verfolgungsjagden tatsächlich ab

4.2.2022, 10:04 Uhr
Auch wenn die Polizei größte Vorsicht walten lässt: Immer wieder kommt es bei Verfolgungsjagden zu Unfällen. Im Herbst 2017 etwa krachte in Nürnberg ein Mann auf der Flucht in einen Zaun. Seine Beifahrerin verletzte sich dabei schwer. 

© ToMa Auch wenn die Polizei größte Vorsicht walten lässt: Immer wieder kommt es bei Verfolgungsjagden zu Unfällen. Im Herbst 2017 etwa krachte in Nürnberg ein Mann auf der Flucht in einen Zaun. Seine Beifahrerin verletzte sich dabei schwer. 

Dann, wenn es um Verfolgungsjagden geht, schießen dem Laien wildeste Bilder in den Kopf. Helikopter, die über einem Wagen kreisen, Nagelketten, Straßensperren, Streifenwagen, die Flüchtige rammen. Es wird gerast, Reifen quietschen, Sirenen heulen. Aber läuft ein solcher Einsatz tatsächlich so ab?

"Da ist viel Fiktion dabei", sagt Nicolai Bärnreuther. Er ist Experte für Verkehrsdelikte bei der mittelfränkischen Polizei. "Aber auch bei uns gibt es immer wieder Verfolgungsfahrten."

Erst am Donnerstag lieferten sich ein 16- und ein 17-Jähriger mit einem gestohlenen Auto im Landkreis Weißenburg eine Verfolgungsjagd mit der Polizei. Mehrere Streifen und ein Polizeihubschrauber suchten nach dem Opel. Auch als die Polizei die beiden Jugendlichen aufforderte anzuhalten, dachten sie nicht daran - und rasten am Weißenburger Marktplatz sogar auf zwei Passantinnen zu. Eine davon kam verletzt ins Krankenhaus.

Bärnreuther weiß, wie Verfolgungsfahrten wirklich ablaufen. "Die Polizei muss erst einmal klar bewerten, worum es geht." Also: Welches Delikt steht im Raum? "Für eine Gefahrenanalyse wird man erst einmal alle Systeme bemühen, um an möglichst präzise Informationen zu kommen."

Nagelketten im Kofferraum? "Kein Kommentar"

An oberster Stelle steht die Verhältnismäßigkeit. "Kommt man zu dem Punkt, an dem es um ein schweres Gewaltverbrechen geht, wird man sicherlich deutlich strengere Maßnahmen in Erwägung ziehen als bei niederschwelligen Delikten." Es geht auch immer darum, andere Verkehrsteilnehmer und die Bevölkerung zu schützen. Niemand möchte einen möglicherweise tödlichen Unfall provozieren.

Immer wieder kommt es auch in Franken zu schweren Unfällen die zeigen, in welchem Dilemma die Polizei steckt. Im Herbst 2017 etwa verlor ein Mann auf der Flucht vor mehreren Streifenwagen die Kontrolle über seinen Wagen. In Nürnberg raste er in einen Zaun, verfehlte Fußgänger und Radfahrer nur knapp. Die Beifahrerin des Mannes verletzte sich schwerst während der Verdächtige selbst aus dem Wrack klettern konnte.

"Gerade wenn es dann um Rammversuche und solche Dinge geht, muss man die verfassungsrechtlichen Hürden sehr genau abwägen", sagt Bärnreuther. Dabei setzt die Polizei auf ein strenges Mehraugenprinzip. "Das entscheidet nie eine einzelne Streife." Hat die Polizei rein theoretisch überhaupt Nagelketten im Kofferraum? "Kein Kommentar", sagt Bärnreuther. Und lacht.

Doch nicht nur die anderen Autofahrer spielen eine Rolle - auch der Verdächtige selbst. "Der Mensch, den wir verfolgen, ist immer noch ein Mensch. Auch wenn er vielleicht ein Straftäter ist." Eine Verfolgungsfahrt dürfe nie zu einer Art Hetzjagd, der Flüchtige durch Druck nicht zu wilden Manövern gedrängt werden.

Bärnreuther denkt dabei auch an einen Fall aus den 2000ern zurück. Damals sei ein Einsatz fast zu einer Hatz ausgeartet. "Aber nicht aus bösem Willen, sondern wegen fehlender Kommunikation und alter Funktechnik", erklärt er. "Für uns hat das gezeigt, dass das nicht Sinn und Zweck des Ganzen ist. Es geht darum, Straftaten zu verfolgen und Gefahr abzuwehren."

So wichtig ist der Polizeihelikopter bei der Verfolgung

Dafür trainieren Polizisten am Steuer des Streifenwagens und in Simulatoren. Über die Inhalte eines solchen Trainings hält sich der Verkehrsexperte bewusst bedeckt. "Aber das ist Teil der Ausbildung", sagt er. "Natürlich gibt es bei uns spezialisierte und weniger spezialisierte Einsatzkräfte." Nur: Wann wer zur Verfolgung eingesetzt wird, verrät Bärnreuther nicht. Erneut aus taktischen Gründen.

Die wohl wichtigste Unterstützung für die Polizisten am Boden kommt aus der Luft. Häufig steigt bei Verfolgungsjagden ein Helikopter auf. "Zur Lokalisation", wie Bärnreuther sagt. Er liefert Bilder für die Beamten, die aus der Ferne Entscheidungen treffen. "Bewegen wir uns im Stadtbereich, im dichtbesiedelten Wohngebiet oder irgendwo im Nirgendwo? Das sind ganz viele Faktoren, die ein Gesamtbild ergeben."

Immer wieder gebe es auch Fälle, in denen sich die Polizei komplett zurückzieht. "Wir sprechen von Gemengelagen, in denen sich Prävention und Strafverfolgung vermischen", erklärt Bärnreuther. "Abgesetzte Kräfte müssen immer entscheiden, ob das, was wir tun, noch verhältnismäßig ist." Denn gerade bei Geschwindigkeiten jenseits der 100 Stundenkilometer geht es schnell um Menschenleben - und auch Polizeiautos können zur tödlichen Waffe werden.