Faustschlag ins Gesicht: Wer sagt die Wahrheit?

30.6.2020, 14:34 Uhr
Faustschlag ins Gesicht: Wer sagt die Wahrheit?

© dpa

Wolfgang Pelzl will dem Angeklagten gar keine böse Absicht unterstellen. Aber offensichtlich habe er sich die Geschichte selbst so zurechtgebogen nach dem Motto: Was nicht sein darf, kann nicht sein. Denn dass der Angeklagte zu Gewalttätigkeit neigt, das glaubt auch der Richter nicht. "Aber da ist Ihnen eben die Faust ausgerutscht", meint Pelzl.

Was war passiert? Im Dezember vergangenen Jahres war der Angeklagte, ein 40-jähriger Vertriebsleiter aus Herzogenaurach, am späten Nachmittag mit dem Kinderwagen auf einem Flurbereinigungsweg unterwegs, als ihn unvermittelt ein Fahrradfahrer überholte. Wie schnell dieser war und wie groß der Abstand zwischen den beiden Männern war, auch darüber gibt es in der Verhandlung unterschiedliche Aussagen. Auf jeden Fall hatte der Fahrradfahrer sich nicht bemerkbar gemacht, der Angeklagte erschreckte sich nach eigener Aussage und rief dem Radler hinterher, er möge doch klingeln.

Wie es dann weiter ging, darüber scheiden sich die Geister. Während der Angeklagte behauptet, er habe die rüde Antwort bekommen, er solle mit seinem "Scheiß-Kinderwagen" doch nicht den Weg blockieren, behauptet der Fahrradfahrer, ein 51-jähriger Ingenieur aus Herzogenaurach, er habe nur entgegnet, dass er gar keine Klingel habe. Auf jeden Fall titulierte der Angeklagte den Ingenieur dann als "Arschloch"; dies gibt er vor Gericht auch zu. Und das wollte sich der Radfahrer nicht bieten lassen, wollte den Vertriebsleiter zur Rede stellen und fuhr zurück.

Ob es dann ein Gerangel mit gegenseitigen Beleidigungen gegeben hat – auch das bleibt offen. Tatsache ist, dass der Fahrradfahrer einen heftigen Faustschlag ins Gesicht vom Angeklagten einstecken musste. Er erlitt einen Nasenbeinbruch, eine Orbitalboden-Fraktur und eine Platzwunde am Auge. Der Angeklagte räumt den Schlag zwar ein, behauptet aber, es sei Notwehr gewesen. Der Ingenieur habe ihn am Kragen gepackt und gegen den Kinderwagen geschubst, in dem seine Tochter lag, die sofort zu weinen anfing. Und als der Ingenieur ihn ein zweites Mal packte, habe er eine reflexhafte Abwehrbewegung mit beiden Händen gemacht, um den Angreifenden wegzustoßen. Und dabei habe er diesen ganz unglücklich im Gesicht getroffen.

"Da passt das Verletzungsbild nicht dazu", meint Richter Pelzl. Es müsse eine "aktiv geführte rechte Faust" gewesen sein. So hat es auch das Opfer in Erinnerung. Er sei zurückgefahren, weil er sich keiner Schuld bewusst gewesen sei und wissen wollte, warum man ihn als "Arschloch" tituliert hatte, berichtet der Ingenieur. Als er vor dem Angeklagten stand, habe er plötzlich "einen fürchterlichen Schmerz im Gesicht" gespürt und sei wohl zu Boden gestürzt. Er könne sich an einige Sekunden danach nicht mehr erinnern. Als er sich dann wieder aufgerappelt habe, sei er mit seinem Fahrrad geflüchtet und zur Polizei gegangen.

Tatsächlich informierte auch der Angeklagte selbst die Polizei und gab an, er sei beleidigt und geschubst worden, räumte allerdings auch gleich seinen eigenen Schlag ein. Für die Verletzungsfolgen entschuldigt sich der Angeklagte vor Gericht. "Das tut mir wirklich Leid, dass die Folgen so heftig waren. Aber ich habe mich bedroht gefühlt und musste mich wehren." Das sieht auch sein Verteidiger so. "Wer verletzt ist, hat automatisch Recht?", stellt er in den Raum. Sein Mandant sei kein Schläger, er habe bisher keinerlei Vorstrafen. Er beantragt einen Freispruch.

Richter Pelzl lässt keinen Zweifel daran, dass beide Beteiligten ihren Anteil an dem Vorfall hatten. Der Ingenieur hätte ja auch nicht umdrehen müssen. Und dem Angeklagten attestiert er durchaus eine "Überforderungssituation". Dennoch ist er sich sicher, dass der Angeklagte nicht aus Notwehr gehandelt habe, die Aussagen des Opfers seien glaubhaft. Er verurteilt den Vertriebsleiter zu neun Monaten Freiheitsstrafe auf Bewährung und 3000 Euro Schmerzensgeld für das Opfer.

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