Vor 75 Jahren: Als Schaeffler in Herzogenaurach begann

24.4.2021, 15:29 Uhr
Vor 75 Jahren: Als Schaeffler in Herzogenaurach begann

© Foto: Archiv/Schaeffler

Die Stadt vor 75 Jahren – eine Situation, in der für die Stadtentwicklung Entscheidendes geschah. Am 14. März 1946 traf am Postamt, dem heutigen Polizeigebäude, ein Telegramm ein. Der Empfänger war Herzogenaurachs SPD-Bürgermeister Hans Maier (im Telegramm irrtümlich Ernst Maier genannt).

Der Absender: Dr. Wilhelm Schaeffler aus Schwarzenhammer, heute Landkreis Wunsiedel. Im Telegramm stand lapidar zu lesen: "Ankommen zwecks Besprechung voraussichtlich Samstag".

Vor 75 Jahren: Als Schaeffler in Herzogenaurach begann

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Im Gegensatz zu heute war der Name Schaeffler vor 75 Jahren noch kein Wertbegriff. Bürgermeister Maier und den Verantwortlichen in der Stadt ging es darum, in Zeiten wirtschaftlicher Not und des Wiederaufbaus möglichst Arbeitsplätze und Wohnungen zu schaffen.

Herzogenaurach war seit Mitte des 19. Jahrhunderts eine einseitig strukturierte Stadt.

Fränkisches Pirmasens

Der Beiname "Fränkisches Pirmasens" war Ausdruck der Monostruktur in dem Städtchen mit der landesweit höchsten Arbeitslosenquote (1317 Erwerbslose bei rund 5000 Einwohnern). Arbeitnehmer waren 1929 fast ausnahmslos in der Schuhbranche tätig.

Wilhelm Schaeffler, im Saarland beheimatet und aufgewachsen, hatte in Katscher (Kreis Leobschütz/Sudentenland, heute polnisch "Kietrz") einen Textilbetrieb saniert. Mit seinem Bruder Georg hatte er daneben ab 1943 für die Rüstung gearbeitet, die Firma hieß Davistan. Dort wurden Wälzlager für Panzerketten sowie landwirtschaftliche Maschinen hergestellt. 1944 beschäftigte die Firma 290 Mitarbeiter in der Metall- und etwa 470 in der Textilbranche.

Angesichts des Vormarsches der russischen Truppen flohen die Unternehmer mit Maschinen und Menschen aus Katscher 1945 ins "Reichsgebiet". Mit einem Teil der Belegschaft kamen sie in Meerane, im nördlichen Sachsen, an.

Der gesamte Konvoi hätte angeblich nach Meran (Südtirol) geleitet werden sollen, doch offenbar verwechselte man bei der DR (Deutsche Reichsbahn) die ähnlich klingenden Ortsnamen.

Artikel für den Alltag

Hier im Sachsen erlebte man im Frühjahr 1945 die Bombardierung Dresdens am 11. Februar 1945, bevor der gesamte Transport nach Süden ins Fichtelgebirge weitergeleitet wurde.

In Schwarzenhammer gab es Wald und Holz im Überfluss und eine leerstehende Porzellanfabrik.

33 "Katscherer" produzierten hier nun Dinge, die man damals benötigte. Etwa Holzgeräte für den Haushalt und den landwirtschaftlichen Bedarf: Wäscheklammern, Kochlöffel, Rechen, Klapp-Leitern und vor allem Handwagen, auf die bald keine Familie mehr verzichten wollte.

Man konnte mit ihnen Gras oder Heu, Kartoffeln, Rüben, Brennholz und "Butzelküh" (trockene Kiefernzapfen zum Heizen und Feuermachen) transportieren.

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© Foto: Archiv/Schaeffler

Und mit ein paar Handgriffen und wenigen Brettern konnte der Wagen umgerüstet werden: aus dem Kastenwagen (auch zum Transport für Sand, Kies und später für Kohle geeignet) wurde so ein Leiterwagen 1,80 Meter lang. Von den Preisprüfern wurde das "Schaeffler-Kombi-Fahrzeug" auf einen Wert von 88 Reichsmark geschätzt.

Freizeitobjekt für Kinder

Und für die Kinder und Jugendlichen war der Handwagen auch ein begehrtes Fahr- und Freizeitobjekt. Bis weit in die 50er und 60er Jahre war der Schaeffler-Handwagen der "Unimog des kleinen Mannes".

Doch Georg Schaeffler und sein Geschäftspartner Fritsch – er verstarb 1953 in einem Gefängnis in Danzig – und die Mitarbeiter kamen noch lange nicht zur Ruhe. Man baute Kultivatoren und Pflüge und reparierte und überholte vorhandene Ackergeräte.

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© Foto: Archiv/Schaeffler

Kompensationsgeschäfte waren üblich: Für eine Waggonlieferung von Handwagen ins Saarland gab es zwei Waggons Kohle. Noch wenige Wochen vor der Währungsreform lieferte Schaeffler zwei Güterzüge mit 100 Waggons Kohle an die Stadt Nürnberg und erhielt dafür das Kaufrecht für Stammholz im Fichtelgebirge. Die Firma Schaeffler benötigte dringend Holz für ein neues Standbein: Das waren Holzknöpfe und Gürtelschnallen, die fortan im Weihersbach produziert wurden.

Original Weihersbach handgemalt

Sie waren für Wintermäntel mit einem breiten Gürtel gedacht, die erste große Modewelle nach dem Krieg. Manche der Schnallen trugen in zarten Bronzebuchstaben die Aufschrift "Original Weihersbach handgemalt".

15 000 waren es zunächst. Aus einem belächelten Hilfsmittel wurde ein echter Verkaufsschlager mit drei Millionen Stück bis zur Währungsreform am 20. Juni 1948.

Und da die Schaeffler-Brüder eine größere Anzahl von Stoffballen auf der Flucht gerettet hatten und da damals der Schwarzmarkt blühte, veräußerte man die Plüschstoffe und 20 000 Gürtelschnallen an einen Schneider in München.

Binnen eines Jahres

In Herzogenaurach "prangte" ab 1. April 1946 an einer Baracke auf dem Gelände des "Königsplatzes", der Grünanlage zwischen Postkreisel und "Aurachpromenade", ein unscheinbares Holzschild mit der Aufschrift "Industrie GmbH". Hier befand sich das eigentliche "Headquarter", die ursprüngliche "Zentrale" des heutigen Schaeffler-Unternehmens. Bürgermeister Hans Maier und der damalige Stadtrat hatten am 17. Juni 1946 festgelegt: "Das stadteigene Grundstücksgelände am Bahnhof wird bei Beginn der Bauarbeiten unter folgenden Einschränkungen an die "Industrie-GmbH" übereignet:

a) "Der Bau der Fabrikgebäude ist binnen einem Jahr (!) – vom Tag der Übereignung des Grundstücks berechnet – zu erstellen;

b) binnen einem Jahr nach Fertigstellung der Gebäude sind mindestens 120 Personen zu beschäftigen . . . Die Entwicklung der Firma ist derart gedacht, dass bei normalem Wirtschaftsaufstieg 500 bis 700 Arbeitslose beschäftigt werden." Für Herzogenaurach erwies sich Schaeffler fortan als ein echter Volltreffer, was die wirtschaftliche Entwicklung betraf.

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