Bundesteilhabegesetz: Die Lebenshilfe schlägt Alarm

22.7.2016, 19:33 Uhr
Bundesteilhabegesetz: Die Lebenshilfe schlägt Alarm

© F.: Schuster

„Wir befürchten, dass das Gesetz in die vollkommen falsche Richtung geht“, erklärte Lebenshilfe-Kreisvorsitzender Ulrich Wustmann bei einem Pressegespräch. „Man könnte den vorliegenden Entwurf eher Bundesausgrenzungsgesetz nennen.“

Bundesteilhabegesetz: Die Lebenshilfe schlägt Alarm

Irgendetwas scheint falsch gelaufen zu sein. Als das Gesetz erarbeitet wurde, wurden die Sozialverbände zwar angehört, doch seit der Gesetzentwurf bekannt wurde, ist der Aufschrei groß. Das über 300 Seiten starke Werk scheint so kompliziert und mit Unwägbarkeiten gespickt, dass Wustmann sagt: „So ein Gesetz habe ich in meinem ganzen Juristenleben nicht gesehen.“

Dabei sind die Motive für das Bundesteilhabegesetz eigentlich ganz im Sinne der Lebenshilfe. Es soll die UN-Behindertenkonvention in nationales Recht umwandeln, es geht vor allem um mehr Selbstbestimmung und Teilhabe. Einer der Hebel: Die Leistungen der Eingliederungshilfe werden aus der Sozialhilfe in das Recht der Rehabilitation verschoben. Zunächst ein sinnvoller Gedanke, aber das Problem liegt für die Lebenshilfe in der konkreten Durchführung und den vielen Fallstricken im Gesetz.

Wird das Teilhabegesetz Realität, so argwöhnt nicht nur die Lebenshilfe, müssten insbesondere Menschen mit geistiger Behinderung fürchten, teilweise oder ganz aus dem Hilfesystem der Eingliederungshilfen herauszufallen. So sollen etwa Leistungen so begrenzt werden, dass Menschen, die in weniger als fünf Lebensbereichen Einschränkungen aufweisen, in der Regel ausgeschlossen sind.

„Bürokratischer Wahnsinn“

Wer prüft so etwas, wer kontrolliert das? Das ist ein „bürokratischer Wahnsinn“, schimpft Jürgen Ganzmann, Geschäftsführer bei der WAB Kosbach und Behindertenbeautragter des Landkreises. Und Ulrich Wustmann ergänzt: „Ich sehe zehn Jahre Rechtsunsicherheit auf uns zukommen.“

Die weiteren Befürchtungen der Lebenshilfe: Behinderte könnten gegen ihren Willen mit anderen zusammenwohnen müssen oder in Pflegeeinrichtungen abgeschoben werden. „Wieder andere müssen bangen, ihr Zuhause zu verlieren, weil ihre Wohnstätte nicht mehr ausreichend finanziert wird und deshalb schließen muss.“ Auf Nachfrage der NN hieß es, dass man auch in Herzogenaurach Befürchtungen diesbezüglich haben müsse. Lebenshilfe-Geschaftsfährer Josef Hennemann deutete bereits an, dass man sich schon jetzt auf Protest-Demonstrationen im Herbst vorbereite. Dann soll das Gesetz im Bundestag verabschiedet werden.

Versprechen nicht erfüllt

Noch einen Kritikpunkt an dem Entwurf griff die Lebenshilfe Erlangen-Höchstadt beim Pressegespräch auf: „Das Versprechen, dass Menschen mit Behinderung etwas ansparen dürfen, wurde nicht erfüllt.“ Der Gesetzentwurf bringt auf den ersten Blick eine deutliche Verbesserung: Bisher dürfen Bezieher von Eingliederungshilfen nur 2600 Euro auf dem Sparbuch haben, alles darüber müssen sie als Eigenbeitrag abgeben. Die Grenze soll nun auf etwas über 50 000 Euro angehoben werden. Doch viel helfen wird das vielen Behinderten laut Lebenshilfe nicht. Denn die meisten erhalten auch Leistungen vom Sozialamt, und da würden die alten Grenzen gelten.

Auch in den Werkstätten für Behinderte (WfB) macht man sich Sorgen. Denn offenbar sollen Firmen, die Behinderte einstellen, künftig stärker finanziell unterstützt werden. Prinzipiell begrüßenswert ist das, doch werden auch die selben Qualitätskriterieren an den Arbeitsplatz angelegt, wie sie bei den WfBs zu finden sind? Da hat der Landkreis-Behindertenbeauftragte Ganzmann erhebliche Bedenken. Er sieht die Gefahr, „dass die Werkstätten den Kürzeren ziehen könnten“, wenn sich die Industrie die effizientesten behinderten Mitarbeiter herauspickt.

Unterstützt auch vom Behindertenbeauftragten der Stadt Herzogenaurach, Wolfgang Jörg, bittet jetzt der Lebenshilfe-Vorsitzende Ulrich Wustmann um die Solidarität der Bürgerinnen und Bürger. Zeigen könnten sie diese durch Teilnahme an einer Online-Petition (via www.teilhabestattausgrenzung.de).

Bis zur parlamentarischen Lesung im Herbst soll das Thema möglichst hohe öffentliche Aufmerksamkeit erhalten, angestrebt werden Gespräche mit den Bundestagsabgeordneten, um das Gesetz noch zu ändern oder ganz zu kippen.

Denn eines steht für Ulrich Wustmann, Josef Hennemann und Jürgen Ganzmann fest: „Ehe dieses Gesetz kommt, bleiben wir lieber beim Status Quo.“

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