"Die SPD stiehlt sich aus ihrer Verantwortung"

20.11.2017, 17:55 Uhr

© Foto: Kappeler/dpa

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HERZOGENAURACH / HÖCHSTADT — Der Stress in den langen Sondierungsnächten von Berlin war Stefan Müller in den vergangenen Tagen durchaus anzusehen. Als Parlamentarischer Geschäftsführer der CSU-Landesgruppe im Bundestag gehörte er zum engen Kreis bei den Gesprächen. "Es war deutlich zu spüren, dass es Spitz auf Knopf stand", blickt Müller zurück. "Solche Sondierungen sind ja genau dazu da, Erfolgsaussichten für Koalitionsverhandlungen und eine eventuelle spätere Koalition auszuloten. Wenn ein Partner nach langen und intensiven Gesprächen keine Erfolgsaussichten sieht, ist ein Ausstieg konsequent. Insofern bin ich nicht enttäuscht."

Als eine "herbe Enttäuschung" hat hingegen Bayerns Innenminister und CSU-Bundestags-Spitzenkandidat Joachim Herrmann den Abbruch erlebt — "zumal eine gemeinsame Position greifbar war." Der Erlanger Politiker ergänzt: "Zugegeben: Eine Koalition mit den Grünen löst bei uns keine Begeisterungsstürme aus. Wir waren aber anders als die SPD bereit, Verantwortung zu übernehmen für unser Land."

Eigentlich hätte Martina Stamm-Fibich das Geschehen als Abgeordnete der SPD relativ entspannt beobachten können. Doch das Finale und Christian Linders Auftritt lässt sie emotional reagieren: "Ich bin mir sicher, dass die Entscheidung nicht erst um Mitternacht feststand. Sie war gut vorbereitet und geplant. Er hat die Sondierungspartner und allen voran die Bundeskanzlerin rücksichtslos vorgeführt. Damit hat er Frau Dr. Merkel massiv beschädigt, die FDP allerdings auch. Was mich schockiert, ist die offensichtliche Verantwortungslosigkeit Lindners."

Das sieht Britta Dassler (FDP) ganz anders. Für die Herzogenauracherin ist der Abbruch der Sondierungen "die richtige Entscheidung". Sie und die weiteren liberalen Bundestagsabgeordneten, die nicht direkt an den Verhandlungen beteiligt waren, seien täglich von den FDP-Sondierern informiert worden. "Wenn es nicht geht, geht es nicht", urteilt die 53-Jährige. Gleichzeitig habe man irgendwann sagen müssen: "Wir können nicht alles aufgeben, wofür wir stehen." Der Verhandlungsausstieg durch FDP-Chef Christian Lindner sei deswegen richtig gewesen. Britta Dassler ist nun gespannt, wie es weitergeht. "Neuwahlen kann man ja nicht so einfach beschließen." Die FDP-Abgeordnete blickt jetzt noch in eine ganz andere Richtung: "Schauen wir doch mal, was die SPD jetzt macht."

Was im Bund nicht klappt, funktioniert im Erlanger Stadtrat längst. Zumindest eine gelb-grüne-Zusammenarbeit. "Berührungsängste gab es auch bei FDP und GL in Erlangen. Inhaltliche Differenzen gibt es auch weiterhin. Auf kommunaler Ebene geht es aber am Ende darum, ob die Menschen miteinander arbeiten können: Das gelingt durch ein Klima persönlicher Wertschätzung und dadurch dass man versucht, Aufgaben geschickt zu verteilen", sagt Julia Bailey, Fraktionsvorsitzende der Grünen Liste Erlangen. Auch sie hatte "bis zuletzt gehofft, dass es zu einem tragfähigen Kompromiss kommt". Bailey: "Neuwahlen halte ich nicht für eine gute Alternative, da ich nicht davon ausgehe, dass sich an dem Wahlergebnis viel ändern würde."

Wie geht es nun also weiter? "Grüne und FDP haben sehr ernsthaft mit uns sondiert. Die SPD stiehlt sich dagegen aus ihrer Verantwortung," meinst Stefan Müller. Ein Wiederaufleben der "GroKo" kann sich Stamm-Fibich tatsächlich nicht vorstellen: "Unsere Demokratie braucht eine starke und verantwortungsvolle Opposition."

Stefan Müller prognostiziert Neuwahlen: "Wenn die SPD ihre Haltung nicht überdenkt, rechne ich damit, dass der Herr Bundespräsident nach Gesprächen mit allen Parteien zügig Neuwahlen in die Wege leiten wird." Joachim Herrmann ergänzt: "Wenn sich die SPD nicht aus ihrer Blockadehaltung bewegen will, werden wir über eine Minderheitsregierung zumindest nachdenken müssen. Ich habe aber große Zweifel, ob das funktionieren kann."

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