Ehepaar kämpft gegen das Jugendamt um Pflegesohn

18.6.2016, 09:57 Uhr
Ehepaar kämpft gegen das Jugendamt um Pflegesohn

© Foto: Rainer Groh

Stefanie Mross (Name von der Redaktion geändert) ist fassungslos über die Situation und zornig, wie sie zustande kam. Wie die Pflegemutter es darstellt, habe die Amtspflegerin den Jungen von der Schule abgeholt, während sie und ihr Mann auf Veranlassung des Jugendamts gerade zu einem „Klärungsgespräch“ in Erlangen weilten.

Tom (Name geändert) kam in eine andere Familie und nach kurzer Zeit dann in eine Wohngruppe. Aus der Sicht der Pflegemutter ein Verstoß gegen die Prämisse, dass das Kindeswohl bei Maßnahmen im Vordergrund stehen muss. Der Junge habe mehr als sechs Jahre lang in der Familie gelebt. „Er war wie unser Sohn“, sagt Stefanie Mross. Die gelernte Erzieherin und ihr Mann haben keine eigenen Kinder. Ende 2012 wechselte — üblich bei solch langen Pflegeverhältnissen — die Zuständigkeit vom Nürnberger auf das Jugendamt für den Wohnort der Pflegeeltern.

Das Jugendamt in Erlangen, das wir schriftlich um eine Stellungnahme gebeten haben, wollte sich nicht detailliert zu dem Fall äußern. Man verweist auf das schwebende Verfahren. Angedeutet wird lediglich, die Gründe für den Entzug des Kindes lägen in der familiären Situation, die Pflegeeltern hätten das Kind zu sehr vereinnahmt, quasi gegen sein eigenes Wohl überversorgt und ihre Kompetenzen damit überschritten.

Andreas Woidich, der Anwalt des Ehepaares Mross, ist entsetzt über die Vorgehensweise des Jugendamts. Selbst wenn eine Überversorgung vorgelegen hätte, was die Pflegeeltern jedoch bestreiten, rechtfertige dies nicht die plötzliche und abrupte Herausnahme des Kindes. Dies müsse immer das allerletzte Mittel sein. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, so Woidich, ist eine Herausnahme des Kindes allein zum Zweck des Wechsels der Pflegeeltern oder einer Einrichtung nur dann möglich, wenn eine Kindeswohlbeeinträchtigung durch diese Maßnahme mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden kann. Bei langjährigen Pflegeverhältnissen ist die Annahme dieser Voraussetzung mehr als unwahrscheinlich, sagt der Anwalt, da das Kind in der Regel tragende Bindungen zu seinen sozialen Eltern entwickelt hat.

Der in rechtlichen Fragen des Kindschaftsrechts versierte und deutschlandweit tätige Fürther Jurist beantragte in einem Eilverfahren die sofortige Rückführung des Kindes und hilfsweise bis zu einer Entscheidung des Gerichts die Festsetzung von Umgangskontakten durch das Gericht.

In einer mehrstündigen ersten mündlichen Anhörung sah sich das Gericht nicht in der Lage, ohne Sachverständigengutachten zu entscheiden, mahnte aber beim Jugendamt dringend die Durchführung von Umgangskontakten an. Nach dem Termin leitete das Gericht ein Amtsverfahren ein und gab ein Sachverständigengutachten in Auftrag.

Zwischenzeitlich bot das Jugendamt die Umgangskontakte alle drei Wochen für jeweils eine Stunde an. Es fanden lediglich zwei Kontakte statt, die auch aus Sicht des Jugendamts problemlos verliefen. Es fiel Tom jedes Mal sehr schwer, sich von seinen „Eltern“ wieder zu trennen.

In der Folgezeit verweigerte das Jugendamt weitere Umgangskontakte mit dem Hinweis, dass das Kind nun in einer Familienwohngruppe untergebracht worden sei. So sei die Terminierung weiterer Umgänge nicht möglich. „Für das Kind muss dies eine Katastrophe sein“, meint Woidich. Die Pflegeeltern sind entsetzt. Wahrscheinlich glaube Tom nun auch noch, dass sie ihn im Stich gelassen hätten.

Aufgrund dieser neuen Ereignisse sind die Pflegeeltern erneut bei Gericht vorstellig geworden. Die nächste Verhandlung ist für kommende Woche anberaumt.

Zu einer verschärften Auseinandersetzung zwischen den Pflegeeltern und dem Jugendamt kam es, als diese die Pflegschaft für den Buben beantragt hatten.

Grundsätzlich, so Anwalt Woidich, ist nach dem Willen des Gesetzgebers die Bestellung einer Einzelperson oder eines Vereins vorrangig gegenüber einer Amtspflegschaft. Auch das Jugendamt habe jährlich zu prüfen, ob die Entlassung des Amtspflegers oder Amtsvormunds angezeigt sei.

Zur Überraschung der Pflegeeltern versuchte die Amtspflegerin und das Jugendamt im zur Zeit ruhenden Verfahren die Pflegemutter mit der Behauptung zu diskreditieren, diese habe „Verhaltensweisen an den Tag gelegt, die aus hiesiger Sicht durchaus als Hinweis auf eine psychische Störung interpretiert werden könnten“.

Die nach Auffassung der Pflegeeltern völlig haltlose Behauptung wird gegebenenfalls noch ein zivilrechtliches Nachspiel haben. Unabhängig hiervon muss sich laut Woidich das Jugendamt die Frage gefallen lassen, weshalb es das Kind so lange in der Familie gelassen hat, wenn die angeblichen Verhaltensweisen schon seit längerem bestanden haben sollen. Noch vor einer Entscheidung in diesem Verfahren zogen die Ergänzungspflegerin und das Jugendamt es dann vor, das Kind ohne Vorankündigung aus der Familie zu nehmen,

Schon vorher, so Stefanie Mross, hatte sie Meinungsverschiedenheiten mit dem Jugendamt gehabt. Vor allem als es um die Einschulung ging. Die Pflegeeltern setzten nämlich die Einschulung des Jungen in die Regelschule durch, laut Stefanie Mross auch befürwortet von Toms Kindergarten-Erzieherin und der Schuluntersuchung.

Tom kam zunächst in eine Klasse mit zusätzlicher Betreuung, sagt die Pflegemutter. Nach anfänglichen Problemen sei er bald ruhiger geworden. Das Vorrücken in die zweite Klasse sei dann kein Problem mehr gewesen. Bis zu seiner amtlichen Abholung hatte er sich „richtig akklimatisiert“, so die Pflegemutter, habe gute Noten und komme klar. Nach ihrer Meinung werde Tom „optimal beschult“ und sei auch schulisch aus guten Verhältnissen gerissen worden — grundlos

Das Ehepaar Mross hofft nun auf die Hilfe des Gerichts. In jedem Fall werden sie alle rechtlichen Möglichkeiten ausschöpfen. Auch hat sich bereits spontan ein Unterstützerkreis gebildet, der nicht glauben kann, dass ein solcher Fall in Deutschland passieren kann.

Der vorliegende Streitfall scheint jedoch kein Einzelfall zu sein. Woidich verweist auf einen jüngst in einer überregionalen Zeitung erschienenen Artikel mit dem Titel „Ausgeliefert“. In der Überschrift heißt es: „Jugendämter sollen Kinder schützen – aber oft richten sie auch großen Schaden an.“

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