Flirt mit der Romantik

26.4.2016, 06:00 Uhr
Flirt mit der Romantik

© F.: Michael Müller

Zur Einstimmung wählte das Kammerorchester die Eröffnung von Mozarts „La clemenza di Tito“, ein Spätwerk, das tief im Schatten der „Zauberflöte“ steht. Dabei geht es hier wie dort um die Wandlung des Menschen. Hier von der Suche zur Selbstfindung, dort vom brutalen Feldherrn zum gütigen Herrscher. Mozart umreißt diese Wandlung leicht nachvollziehbar mit schroffen Eingangsmotiven zur schlussendlich harmonischen Lösung.

Schroffheit und Harmonie, Wohlklang und schräge Töne, damit war der akustische Boden für Volkmar Studtruckers Klavierkonzert bereitet. Kann man heute noch (oder schon wieder) ein Klavierkonzert nach klassischem Muster komponieren? Von Beethovens edlem Wettstreit zwischen Klavier und Orchester bis zur Quasisinfonie mit obligatem Piano eines Brahms sind so ziemlich alle Möglichkeiten ausgeschöpft. Trotzdem belebt der von Jazz wie Klassik geprägte und rundherum versierte Herzogenauracher Komponist Volkmar Studtrucker (Jahrgang 1960) auch im 21. Jahrhundert die Romantik. Allerdings handelt es sich hierbei um eine vielfältig gebrochene Romantik.

Zwar bleibt das bewährte dreisätzige Schema — schnell, langsam, wieder schnell — gewahrt, dafür geht es innerhalb der Sätze äußerst abwechslungsreich zu. Julia Schmidt am Flügel tastet sich zu Beginn mit spröden Akkorden voran auf der Suche nach einer Melodie, die, kaum im Entstehen begriffen, schon wieder zerbröckelt, neu ansetzt, wieder bröckelt, nochmal neu beginnt und diesmal melodischer und kompakter wird, schließlich sich ganz herausbildet. Ein wenig so, wie ein Fluss sich an Klippen bricht, bis er in ruhigeren Zonen sich ausbreitet. Der Kopfsatz heißt „Rhapsody for two“, also Bruchstücke für zwei, nämlich für Klavier und Orchester. Den Einfällen des Klaviers folgt das Orchester mit ebenfalls suchenden Klanggebilden, bis sich die Bruchstücke zu etwas Ganzem fügen — wenn auch nicht nahtlos. Horst Günter Lott geleitet das Orchester dabei souverän und unaufgeregt durch die komplexe Partitur.

Was sich im ersten Satz bereits abzeichnet, entfaltet sich im zweiten Satz „Mystic Dreams“. Während das Klavier zur Tonsprache des romantischen Konzerts zurückkehrt, mit Kantilenen und Arpeggien das Ohr umschmeichelt, dabei aber jede Sentimentalität vermeidet, breiten die Streicher einen Klangteppich aus, der irgendwie schief geknüpft wirkt. Stets ist der Klang um einen halben oder Viertelton verrutscht, so als wolle das Orchester die musikalische Aussage der Solistin in Frage stellen. Als hüpfte eine Elfe durchs Minenfeld. Dabei halten sich die Bläser auffallend zurück, nur ab und zu ist der Flöte und den Saxofonen ein Akzent im Gesamtklang vergönnt, was ihre Präsenz dann umso stärker unterstreicht.

Gegensätzliche Kräfte

Der letzte Satz „Major/Minor Rondo“ — was nicht nur größer und kleiner, sondern auch Dur und Moll bezeichnet — bringt eine turbulente Abfolge zwischen Allegro und Moderato-Abschnitten. Während das Klavier munter dahinstürmt, wirkt das Orchester wie eine Bremse, ringen zwei gegensätzliche Kräfte in den Ohren der Zuhörer. Überraschend fällt der Schluss aus: Studtrucker inszeniert kein richtiges Finale, keinen donnernden Schluss, sondern hält die Musik einfach an wie ein Uhrwerk, das seine Spannkraft ausgeschöpft hat. Tosender Applaus für die junge Pianistin Julia Schmidt.

Nach einer Zugabe, Studtruckers „Frühlingsvariationen“ für Piano solo, gab es zum Abschluss Franz Schuberts sechste Sinfonie. Ein Jugendwerk, mit gerade 21 Jahren komponiert, und ein selten ausgelassenes, fröhliches Werk. Natürlich sehen die großen Vorbilder Mozart und Haydn dem Jüngling über die Schulter, will die Mischung aus Schönem und Schmerzlichem, die sich im langsamen Satz einschleicht und die den „echten“ Schubert ausmacht, noch nicht so recht gelingen. Aber vielleicht wollte Schubert einfach mal nur heiter sein. Nach dem alle Aufmerksamkeit der Hörer fordernden Klavierkonzert war dies der wohlverdiente harmonische Ausklang.

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