Freundschaft zwischen den Kriegsfronten

28.9.2020, 07:00 Uhr
Freundschaft zwischen den Kriegsfronten

© Foto: Karl-Heinz Panzer

So zumindest ist es in einem Audio-Podcast zu hören, den die in England lebende und in Belgien geborene Zoé Brown ins Internet gestellt hat.

Demnach geriet gleich zu Beginn des Ersten Weltkriegs der belgische Soldat Amand Dubuisson zusammen mit seinem Trupp in deutsche Gefangenschaft. Sie wurden ins ländliche Frimmersdorf gebracht, um dort im Stall und auf dem Acker zu helfen. Die einheimischen Männer waren ja fast alle zum Kriegsdienst eingezogen. Dubuisson kam der Erzählung nach gut zurecht mit seinem Schicksal als Zwangsarbeiter: Der Endzwanziger aus dem Dorf Flamierge im südlichen Belgien hatte zu Hause selbst Landwirtschaft und war dank seiner Erfahrung und seiner geschickten Hände bald geschätzt und geachtet bei den Frimmersdorfen.

In den vier Jahren seines Aufenthalts lernte er die Sprache, die Leute und den fränkischen Alltag kennen. Außerdem ein Bürschchen im Grundschulalter, von dem der Erzählerin nur der Vorname "Kurt" überliefert ist. Mit ihm verband Dubuisson bald eine Freundschaft.

Bitte um Hilfe beim Bürgermeister

Auf den Spuren dieses Kurt hat sich ein gewisser Bruno Despret gemacht, nachdem er kürzlich die englischsprachige Erzählung gehört hatte. Der Mann aus Belgien wandte sich per E-Mail an den Vestenbergsgreuther Bürgermeister Helmut Lottes und bat ihn um Hilfe. Die Story, die Zoé Brown selbst recherchiert hat, findet ihre Fortsetzung am 29. Dezember 1944 in Belgien, auf dem Hof von Dubuisson.

Flamierge war einer der Schauplätze der Ardennenoffensive, in der die deutsche Wehrmacht kurz vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs eine letzte verzweifelte Attacke gegen die Alliierten führte. Das bereits befreite Dorf war vorübergehend wieder unter deutsche Kontrolle geraten. Es herrschte Chaos pur, Flüchtlinge und Wehrmachtseinheiten zogen umher. Nachdem die Deutschen auf amerikanische Kriegswaffen gestoßen waren, nahmen sie neun Einheimische fest. Man verdächtigte sie als Partisanen.

Erinnerungen wurden wach

Kurzerhand schleppten die Deutschen sie auf den Hof von Dubuisson und begannen sie dort zu verhören. Zwei Soldaten hielten sich währenddessen zusammen mit dem Hausherrn in der Küche auf. Als sich die Landser in ihrem Heimatdialekt zu unterhalten begannen, wurden bei dem Hausherrn Erinnerungen wach. Der ehemalige Kriegsgefangene mischte sich zur großen Verwunderung der Uniformierten in breitem Mittelfränkisch in das Gespräch ein. Als er erläuterte, wo er die Sprachkenntnisse erworben hatte, wurde einer der beiden hellhörig.

Wie sich herausstellte, war das jener Kurt, mit dem sich Amand fast 30 Jahre zuvor angefreundet hatte. Man lachte, schüttelte Hände und tauschte Erinnerungen aus. Die neun Verdächtigten sollen kurz darauf freigekommen sein, erzählt Zoé Brown. Ein Happy End hat ihre Geschichte, die sie nach eigenen Angaben anhand verschiedener Quellen verifiziert hat, leider nicht: Drei Tage später, am 1. Januar 1945, zerriss eine Bombe Haus und Hof von Amand Dubuisson. Der Mann, der jahrelang in Frimmersdorf gelebt und gearbeitet hatte, überlebte den Luftschlag nicht.

Weiteres Schicksal ungewiss

Die Erzählerin konnte im Nachhinein nicht einmal seine Familienverhältnisse in Erfahrung bringen. Noch weniger weiß sie von "Kurt". Weder das genaue Alter noch den Nachnamen, geschweige denn sein weiteres Schicksal.

Auch Helmut Lottes ist bislang nicht weitergekommen. Was ihn nicht allzu sehr wundert, denn Kurt müsste mittlerweile mindestens 110 Jahre alt sein. Unmittelbare Zeitzeugen sind nicht mehr aufzufinden. Der Bürgermeister hat seinen Kontaktmann in Belgien auch auf eine mögliche Verwechslung hingewiesen – nämlich darauf, dass es in Nordrhein-Westfalen auch ein Frimmersdorf gibt. Tatsächlich aber ist in dem Audio-Mitschnitt von einem Frimmersdorf "nahe bei Nürnberg" die Rede. Lottes hofft mit Bruno Despret und Zoé Brown, dass sich auf seine Nachfragen hin vielleicht doch noch das eine oder andere Puzzleteil zu der Geschichte findet – eine Fortsetzung zu der "extraordinary story", die Zoé Brown in ihrem Podcast "the airing cupboard" veröffentlicht hat. Sie heißt "the handshake" und kann gebührenfrei abgerufen werden.

Info: www.buzzsprout.com/348590/4439738-the-handshake

Anmerkung: Unser Mitarbeiter konnte bei seinen Internetrecherchen nirgendwo einen Hinweis auf belgische Kriegsgefangene finden, die im Ersten Weltkrieg auf fränkischen Feldern eingesetzt gewesen waren.

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