Geht das Märchen aus Mosambik weiter?

14.8.2019, 06:57 Uhr
Geht das Märchen aus Mosambik weiter?

© Foto: Theo Kiefner

Peter Müller betreut seit rund drei Jahrzehnten die Leichtathleten der TS Herzogenaurach, hat einen Deutschen Juniorenmeister im Zehnkampf (Florian Katzschmann) und eine Deutsche Vizemeisterin im Dreisprung (Katharina Schreck, heute Struß) herausgebracht und viele andere gute Sportler.

Inzwischen ist er 58 Jahre alt, aktuell hat er gute Zehnkämpfer im Aufgebot, zur Weltklasse fehlt dieser Truppe jedoch einiges. Trotzdem darf Müller jetzt als Trainer nach Casablanca und Doha zu großen internationalen Kämpfen und sogar davon träumen, 2020 ins Olympische Dorf von Tokio einzuziehen – gemeinsam mit Creve Armando Machava.

Und das ist einer dieser Zufälle. Der 23-Jährige, der bei seiner alleinerziehenden Mutter in der Nähe von Maputo, der Hauptstadt von Mosambik, aufgewachsen ist, hatte viele Optionen, nachdem er ein Stipendium des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) nach einem Sieg über die 400 Meter Hürden bei den Olympic Solidarity Games in Baku (Aserbaidschan) erhalten hatte. Die Olympic Solidarity Games sind Spiele für die islamische Welt – der Christ Machava startete für das religiös bunt gemischte Mosambik.

Franken statt Kalifornien

Die meisten afrikanischen Sportler entscheiden sich für ein College in den USA oder im leichtathletikbegeisterten Großbritannien. Doch Creve Armando Machava wollte offenbar nur zu einem Trainer: Peter Müller.

Denn den kannte er schon. Der Herzogenauracher Sportlehrer war schon viermal an der ostafrikanischen Küste, um dort sportliche Entwicklungshilfe als Trainer-Ausbilder zu leisten. "Dort steht die Leichtathletik ganz am Anfang, da fehlt es an fast allem", sagt er. Erst unlängst war Müller wieder in Afrika und musste sich darüber ärgern, dass die Infrastruktur für die durchaus talentierten Sportler wegen der Untätigkeit der Verbandsfunktionäre einfach nicht besser werde (die NN berichteten ausführlich).

Auch den letzten Trainer von Machava in dessen Heimat hat Peter Müller ausgebildet – bei einem Lehrgang im Jahr 2006. Noch so ein Zufall, denn bei einem späteren Kurs lernten sich der deutsche Trainer und der mosambikanische Sprinter kennen.

Heiß auf Werbe-Gimmicks

Der wiederum war durch Zufall als Zehnjähriger zur Leichtathletik gekommen. Seine ältere Schwester hatte für einen Kinder-Marathon trainiert und hatte dafür ein paar Werbematerialien mitgebracht. "Die wollten wir Jungs im Dorf natürlich auch alle haben und sind dann mal zum Training gegangen. Bis dahin habe ich von Leichtathletik nichts gewusst, nur der Name Maria Mutola war mir ein Begriff." Das war die bisher einzige Olympiasiegerin aus Mosambik, die über 800 Meter die Weltspitze anführte.

Mit kurzer Unterbrechung blieb Armando Creve Machava bei der Sache, erwies sich als Sprinttalent und bekam schon vor einigen Jahren ein IOC-Stipendium (die allesamt an ärmere Länder gehen), mit dem er im strukturell besser aufgestellten Senegal sich sportlich verbesserte und erstmals strukturierter trainierte..

Eiseskälte in Südafrika

Damals durfte er erstmals an den Afrikameisterschaften teilnehmen und erinnert sich nicht gerne daran: "Ich war erst 19 Jahre alt, in Südafrika war es eiskalt für mich und ich bin mit keiner guten Leistung direkt im Vorlauf ausgeschieden."

Das soll sich im zweiten Anlauf ändern. Vom 19. bis 31. August ist der Wahl-Herzogenauracher bei den African Games am Start, wobei die Leichtathletikwettbewerbe in Casablanca stattfinden. Mit Peter Müller an seiner Seite und erstmals in seinem Leben mit einem wissenschaftlich fundierten Saisonaufbau im Rücken will er das Finale erreichen – wobei die Konkurrenz in Afrika stark ist.

Aber auch Machava hat sich enorm verbessert, seit er im Herbst 2018 nach Franken kam. Zuerst habe man sich auf den Sprint fokussiert, dann fiel jedoch die Entscheidung für die lange Hürdendistanz. Müller: "Creve hat ein sehr gutes Stehvermögen, das ist echt seine Stärke."

Viele Wettkämpfe hat er heuer über diese Distanz nicht absolviert – auch weil es nur wenige Rennen gibt, in denen er auf geeignete Konkurrenten trifft, die ihn richtig fordern. Das perfekte Feld für ihn kam in Regensburg zusammen, wo er endlich mal nicht alleine vorne weg rannte und es am Ende austrudeln ließ. Prompt drückte er seine persönliche Bestzeit von 50,54 auf 50,07 Sekunden.

Damit hatte er nicht nur die Qualifikation für Casablanca in der Tasche, sondern auch gleich die für die Weltmeisterschaft in Doha von 28. September bis 6. Oktober – hierfür ist ebenfalls Peter Müller als sein Trainer akkreditiert. Damit geht für beide ein Traum in Erfüllung, wobei der junge Mosambikaner und sein Coach noch etwas weiter in die Zukunft blicken: 2020 stehen die nächsten Olympischen Spiele in Tokio an. Da liegt die Norm bei 49,30 Sekunden. "Eine schwere Aufgabe", weiß Müller. Doch auch machbar. Möglicherweise könne sein Schützling noch heuer die 50–Sekunden-Schallmauer durchbrechen und dann nach einer guten Vorbereitung im Winter sich der nächsten Aufgabe zuwenden.

Diese Zielstrebigkeit ist etwas, das Creve Armando Machava in Deutschland erst lernen musste: "Das sind große Unterschiede zwischen hier und Mosambik. Für mich ist es ganz neu, dass alle Trainingsmaterialien einfach immer zur Verfügung stehen, dass mich alle im Verein unterstützen und auch die Fahrten zu den Wettkämpfen so gut organisiert sind."

In Mosambik – das weiß Müller aus leidvoller Erfahrung – entstehe so etwas wie ein Wettkampfkalender erst im Laufe der Saison. Da sei es unmöglich, Spitzensportler zu einer Topform zu bringen.

Fast Profibedingungen

Im Vergleich dazu erlebt Creve Armando Machava aktuell fast Profi-Bedingungen. Obwohl die Turnerschaft 1861 Herzogenaurach ein reiner Amateurverein ist. Doch außer Training und Wettkämpfe hat er dank seines Stipendiums keine Pflichten, belegte aber einen Deutschkurs, der jetzt in den Sommerferien pausiert.

Müller hat ihm einen Platz in einer Wohngemeinschaft in der Stadt besorgt, von dem aus er die Trainingsstätten alle gut erreichen kann. Täglich wird trainiert, manchmal auch zweimal. Spaziergänge und ab und zu ein Ausflug nach Erlangen sorgen für Abwechslung. Und im Verein ist er auch schon integriert: beispielsweise als Helfer beim Herzoman-Triathlon.

Traum vom Sponsor

Am liebsten würde der 23-Jährige auch bleiben, mit der Leichtathletik seinen Lebensunterhalt verdienen – schließlich finden fast alle Top-Meetings in Europa statt. Sein neuer Trainer hat ihm schon klar gemacht, dass das nicht so einfach ist wie für Fußballer. Ein Sponsor wäre ideal, doch dafür muss er erstens noch eine ganze Ecke schneller werden und zweitens darauf hoffen, dass eventuell eine der Herzogenauracher Sportfirmen demnächst eine Dependance in Mosambik eröffnet.

Offiziell endet sein Aufenthalt in Herzogenaurach genau mit Olympia in Tokio – bis dahin will er seinen Traum leben. Und vielleicht geht er in Erfüllung.

Viel Training ist da noch angesagt – und Vertrauen in Peter Müller, der den jungen Mann lieber langsam aufbauen will. "Manchmal will er zu viel, ist ungeduldig und mag nicht gerne an seinen Schwachstellen arbeiten", sagt der erfahrene Coach.

Doch inzwischen ist dem Afrikaner, der sich selbst als "trainingsfleißig, aber dabei smart" bezeichnet, schon bewusst geworden, dass das viele Techniktraining durchaus einen Sinn ergibt. Und immer nur Tempo bolzen, wie das in der Heimat anscheinend üblich war, nicht unbedingt.

Denn bislang wurde Machava meistens eingangs der zweiten Kurve langsamer, kam dann mit den Hürden nicht mehr gut zurecht und sieht da jetzt das Potential, noch Zehntelsekunden herauszuholen.

Kein letzter Formtest

Aktuell plagen das Duo andere Probleme: Nach einer kleinen Oberschenkelverletzung musste der Läufer etwas kürzer treten und konnte keinen weiteren Probewettkampf absolvieren. Müller: "So ein letzter Formtest wäre schon noch gut gewesen." Seit Anfang dieser Woche ist Machava wieder zu 100 Prozent belastbar.

Sportlich sind die beiden also schon auf einem guten Niveau angekommen, logistisch scheint das schwieriger zu werden: Der Staat Mosambik hat ihnen zwar schon ein Flugticket besorgt. Aber das gilt von Hamburg aus – irgendjemand hatte das wohl so verstanden, als ob das in der Nähe von Herzogenaurach sei. So war bis Redaktionsschluss unklar, wann es überhaupt los geht. Müller: "Drei, vier Tage zur Akklimatisierung sollten es schon sein."

Ach ja, und was hält Creve Armando Machava vom Zehnkampf, der Lieblingsdisziplin seines Trainers Peter Müller: "Ich habe viel Spaß, den Jungs beim Training zuzuschauen", sagt er lachend.

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