Höchstadt: Provokantes fürs Ohr

2.11.2017, 07:00 Uhr
Höchstadt: Provokantes fürs Ohr

© Foto: Christian Enz

Zu einem ungewöhnlichem Konzertabend hatte der Musikförderkreis Pro Musica eingeladen. "Wir haben hier in Höchstadt ein Publikum, das Innovationen schätzt und sich gerne auf Neues einlässt", erläutert Vorsitzenden Eberhard Ranger. "Und mit Georg Schlee haben wir inzwischen einen weiteren künstlerischen Leiter, der mutig das Programm von Klaus-Dieter Stolper ergänzt."

Schlee war es auch, der Anja Schaller und Lin Lin Fan für das Konzert verpflichtete. "Beide sind für den Verein ja keine Unbekannten", erläuterte er. "Beide wirkten an der Produktion von Karneval der Tiere mit." Dennoch war die Begegnung mit Johannes B. ein Wagnis, so Schlee. "Denn Komponisten dieses Namens gibt es eine Reihe – und ich wusste selbst nicht, was uns erwartet." Ein moderater Auftakt sorgte dafür, dass die Überraschung zunächst nicht allzu groß war.

Denn das Duo hatte mit der h-moll- Sonate von Johann Sebastian Bach einen klassischen Einstieg gewählt. Präzise herausgespielt schmeichelte der Altmeister den Ohren des Publikums. Beinahe unbemerkt warfen die Protagonisten damit jedoch den roten Faden des Abends aus: Provokation. Denn mit seiner Sonate für Violine und Cembalo stemmte sich einst Bach gegen die Gewöhnlichkeit. War in jenen Tagen doch ein dominierendes Streichinstrument üblich – und dem Pianisten nur die zweite Geige zugedacht. Bach hingegen tauschte die Gewichtsverteilung – und entwickelte so eine Rolle, die Lin Lin Fan auf den Leib geschrieben wirkte. Mit gefühlvollem Anschlag interpretierte sie Harmonie, die alle Zuhörer ins Träumen brachte. Kongenial unterstützt wurde Fan dabei durch Anja Schaller.

Einen krassen Kontrapunkt zu Bachs Klangexplosion stellte "Von Idyll zu Idyll", das zweite Werk des Abends, dar. Eine Komposition Johannes Brinkmanns. "Alle im Saal waren für dieses zeitgenössische Stück Ersthörer. Niemand wusste, was kommt und was davon zu halten ist", so Ranger. Um die Wirkung seines Stückes wissend ergriff Brinkmann deshalb selbst das Wort. "Ich bin oft mit dem Zug unterwegs, und betrachte dabei, was sich entlang der Strecke abspielt." Dabei, so der Dozent der Bayreuther Hochschule für Musik, habe er schon oft verlassene Gebäude entdeckt, deren ursprüngliche Aufgabe nicht mehr ersichtlich ist. "Löchrige Dächer, ausuferndes Gestrüpp – all das lässt poetische Bilder der Nutzlosigkeit in mir erwachen", beschreibt er die Inspiration seiner Komposition.

Es dauert nur wenige Takte, da hat auch der Zuhörer Bilder im Kopf. Doch es sind keine romantischen Eindrücke, sondern Erinnerungen an die erste Klavierstunde. Scheinbar willkürlich lässt die Partitur Lin Lin Fan auf den Steinway-Flügel eindreschen, während Schaller ihrer Violine unbeschreibliche Qualen zufügt. Doch dann, wie aus dem Nichts, fügt Brinkmann die beiden Musiker zusammen – wird aus der Geige ein bremsender Zug, der durch eine märchenhafte, vom Piano skizzierte Landschaft rauscht. Es ist der Moment, indem die expressionistische Klangwelt in eine barocke Fuge mündet. Eine Kompositionsführung, die alles abverlangt. "Üblicherweise gründet die europäische Musik auf zwölf Tönen", so Fan. "Hier wird jedoch mit Vierteltönen gearbeitet. Das klingt nicht nur auf der Geige extrem verzerrt – hier ist auch das Notenlesen eine Höllenarbeit."

Einfacher dagegen der Start in die zweite Halbzeit. Diesen markierte Johannes Brahms’ große Sonate für Violine und Klavier. Hierin verarbeitete der Romantiker Eindrücke seiner Sommerfrische. Entspannung, die Lin Lin Fan und Anja Schaller leichtfüßig und solide nachzeichneten. Dann standen die Stücke "Portalgang" und "Wandelwesen" von Johann Billich auf dem Programm. "Ich habe Jazz studiert und bin fest in der Improvisation verhaftet", erklärt Billich dazu. "Als Künstler beschäftigt man sich dann aber auch gerne mit dem Gegenteil. Meine heutigen Werke sind deshalb bis ins kleinste Detail mathematisch, fast architektonisch geplant." Ziel dieser Kompositionen sei es, die Unendlichkeit des Universums erlebbar werden zu lassen. Für diesen musiktheoretischen Exkursion gab es dann Applaus, bevor Fan und Schaller die mittleren Stücke Billichs Ewigkeits-Zykluses anstimmten. Harmonisch zeichnete Fan auf der Klaviatur die endlose Weite des Universums, das Schaller auf ihrer Violine als ruhiges Raumschiff durchkreuzte. Hätte man nicht um die Entstehungsgeschichte der Kompositionen gewusst, man hätte "Portalgang" und "Wandelwesen" für Auszüge eines Soundtracks halten können. Ein entspannender Ausklang für einen ambitionierten Konzertabend, der ebenfalls mit großem Applaus quittiert wurde.

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