Röttenbacher Seenotretter über Carola Rackete: "Ich weiß nicht, ob ich den Mut gehabt hätte"

1.7.2019, 16:55 Uhr
Röttenbacher Seenotretter über Carola Rackete:

Nach 17 Tagen Tauziehen und ohne Zustimmung Italiens hat das deutsche Flüchtlings-Rettungsschiff "Sea-Watch 3" in der Nacht auf Samstag im Hafen der italienischen Mittelmeerinsel Lampedusa angelegt. Herr Stein, was hätten Sie anstelle von Kapitänin Carola Rackete getan, die wusste, dass ihr eine Festnahme droht?

Es ist schwer zu sagen, ob ich den gleichen Mut gehabt hätte wie sie. Aber ich hätte leicht in die Situation kommen können. Und ich finde es moralisch sehr verwerflich, unter Vorwänden jemanden zu verhaften, der andere Menschen rettet. Inzwischen wird ihr ja vorgeworfen, sie habe einem Kriegsschiff Widerstand geleistet. Der Unfall ist sicher im Eifer versehentlich passiert und es gab nur Sachschaden – eigentlich also eine Bagatelle, die nun genutzt werden soll.

Darüber hinaus ist weiterhin von Beihilfe zur illegalen Einwanderung und einer Verletzung des Seerechts die Rede. Carola Rackete hatte befürchtet, dass es zu Selbstmorden an Bord gekommen wäre. Sie haben auf ihren Missionen schon über 200 Menschenleben gerettet – unter welchen Anspannungen stehen die Geretteten an Bord?

Röttenbacher Seenotretter über Carola Rackete:

© Foto: Sea-Eye.org

Ich kann absolut verstehen, dass sie sich große Sorgen gemacht hat, denn es ist eine absolute Ausnahmesituation: Es herrscht Furcht und Stress. Auch wir hatten viele Geflüchtete an Bord, die aus lauter Angst lieber ins Meer gesprungen wären, als nach Libyen zurückzukehren, wo ihnen in den Lagern wieder Folter und Vergewaltigung drohen.

Rückblickend wird der Crew vorgeworfen, statt gut zwei Wochen vor Lampedusa zu warten, hätten sie genauso gut in den Heimathafen nach Holland fahren können . . .

Das ist natürlich schön einfach, jemanden hinzuhalten und dann hinterher zu sagen, er habe ja genug Zeit gehabt. Im Nachhinein weiß man alles besser. Aber Sie müssen auch bedenken, was für eine große Rolle bei so einer Überfahrt das Wetter spielt, wenn noch nicht mal alle Passagiere unter Deck passen.

Die Geflüchteten, die an Bord waren, sind inzwischen in einem Lager untergebracht. Deutschland und vier weitere EU-Länder haben sich bereiterklärt, sie aufzunehmen. Die Kapitänin steht in Italien unter Arrest, ihr drohen bis zu zehn Jahre Haft. Bundespräsident Walter Steinmeier hat die Festnahme kritisiert. Aus Ihrer Sicht: Sollte die Bundesregierung weitere Schritte einleiten und wenn ja, welche?

Ich denke, es sollte eine Sache der EU sein. Wir können Italien da auch nicht einfach im Regen stehen lassen, wenn die Flüchtenden dort zuerst ankommen. Die Mitgliedsstaaten bekennen sich zu den Menschenrechten und sollten nicht tolerieren, dass Populisten in Italien sie missachten und immer wieder neue Vorwände finden, um die Nichtregierungsorganisationen von der Seenotrettung abzuhalten.

Die deutsche Organisation "Sea Eye", mit der sie in den Jahren 2017 und 2018 Einsätze gefahren sind, hat inzwischen kein Schiff mehr auf dem Wasser . . .

Das aktuelle Schiff, die "Alan Kurdi", fährt jetzt unter der Flagge der Bundesrepublik, um möglichst hohe Rechtssicherheit und Unterstützung der eigenen Regierung zu erwirken. Sie war jetzt zur Sicherheitsüberprüfung zwei Monate in der Werft, ist jetzt aber wieder auf Kurs in Richtung Libyen.

Und Sie?

Ich kann mir gut vorstellen, schon in diesem Herbst wieder auf Mission zu gehen.

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