Mühlhausen: Wichtiges jüdisches Zeugnis gefunden

6.8.2020, 06:57 Uhr
Mühlhausen: Wichtiges jüdisches Zeugnis gefunden

© Foto: Hans von Draminski

Es ist staubig auf dem Dachboden der einstigen Synagoge von Mühlhausen. Die vielen Jahre, in denen das jüdische Gotteshaus als Scheune im Dämmerschlaf lag, haben ihre Spuren hinterlassen. Auf den Dielenbrettern steht eine Ansammlung von offenen Pappkartons. In ihnen findet sich Papier in verschiedenen Zerfallsstadien, Reste von Kleidung, einzelne Schuhe und vieles mehr. Die Wissenschaftlerin Martina Edelmann wühlt zusammen mit ihrer Assistentin Sophia Ludäscher vorsichtig in dem, was das ungeschulte Auge in die Kategorie "Müll" einordnen würde und erklärt im Detail, was sie hier zutage fördert.

Seit November 2019 ist der Verein "Forum Alte Synagoge Mühlhausen" Eigentümer des Gebäudes. Bei einer Bestandsaufnahme wurde besagte Genisa gefunden: Eine Ansammlung nicht mehr benötigter Dinge, deren Stellenwert für gläubige Juden gleichwohl zu hoch ist, um einfach weggeworfen zu werden. Das Online-Lexikon Wikipedia definiert eine Genisa als "manchmal vermauerten Hohlraum zur Aufbewahrung verbrauchter jüdischer liturgischer Schriften. Hier wurden nicht mehr lesbare Torahrollen oder andere Texte, die man nicht mehr benutzte, verschlossen abgelegt", heißt es im entsprechenden Artikel.

In der Realität wurde freilich viel mehr aufbewahrt: Reste von Textilien mit geistlicher Bedeutung etwa. Oder Rechnungen, die einen Bezug zur Synagoge haben. Und vieles mehr. An sich müssten solche Sachen rituell in Heiliger Erde begraben werden, erläutert Martina Edelmann: "Wenn eine Torah (der erste Teil des Tanach, der hebräischen Bibel, Anmerkung der Redaktion) beschädigt wurde, dann durfte man sie nicht einfach wegwerfen", sagt Edelmann.

Jüdisches Alltagsleben

Die religiös verordnete Sammelei erweist sich heutzutage als sehr wichtig, wenn man das jüdische Alltagsleben in der deutschen Provinz beziehungsweise auf dem Land nachvollziehen will. In der Tendenz waren auch Deutsche jüdischen Glaubens analog zu ihren christlichen Mitbürgern in den Dörfern ein wenig frommer als die Großstadtbewohner.

Eine von vielen Informationen, die das 1998 ins Leben gerufene "Genisa-Projekt" aus den ungezählten Hinterlassenschaften der jüdischen Gemeinden herausdestilliert hat. Martina Edelmann, die dem Kulturamt in Veitshöchheim zugeordnet ist, sich aber um eine Vielzahl von Synagogen in Unterfranken und dem Rest Bayerns kümmert beziehungsweise als Beraterin betreut, betont, dass die ungezählten Dachbodenfunde zwar in Veitshöchheim katalogisiert und kategorisiert werden, aber weiterhin den Eigentümern der jeweiligen Synagogen gehören.

Museale Präsentation geplant

Wenn die Genisa nach Mühlhausen zurückkehrt, soll zumindest ein Teil der Exponate so aufbereitet werden, dass man sie im Rahmen musealer Präsentation zeigen kann, versprechen der "Forum"-Vorstand Christian Plätzer und seine Stellvertreterin Irina Gerschmann.

Dass die Genisa in Mühlhausen Reichspogromnacht und Holocaust überstanden hat, lag laut Plätzer vor allem daran, dass der Dachboden der einstigen Synagoge nicht benötigt wurde. Wurden nämlich die Räume, in denen sich eine Genisa befand, anderweitig genutzt, dann landete der "Schamott" schnell auf dem Müll.

Nachdem in Mühlhausen auch Decken-Malereien und -Stuck erhalten geblieben sind, können sich die Vereinsvertreter "von der Teilrestaurierung bis zur Komplettrekonstruktion" nach eigenem Bekunden "so ziemlich alles" vorstellen.

Sparkasse Erlangen als Sponsor

Im Herbst soll es "professionell zur Sache gehen", wie es Christian Plätzer formuliert. Als potenter Sponsor unterstützt die Sparkasse Erlangen beziehungsweise die zugehörige Sparkassenstiftung den Verein. Sparkassen-Vorstandsmitglied Thomas Pickel zeigte sich bei einem Ortstermin beeindruckt von dem Dachbodenfund und betonte, wie wichtig das kuratorische Wirken des Vereins nicht nur aus wissenschaftlicher Sicht ist.

Bis aus der Alten Synagoge ein Museum geworden ist, dürften voraussichtlich noch einige Jahre ins Land gehen. Zeit, welche die Wissenschaft nutzen kann, um der Genisa aus Mühlhausen wenigstens einen Teil ihrer Geheimnisse zu entlocken.

Es gibt viele Synagogen in Bayern, die nationalsozialistische Zerstörungswut und die Schrecken des Zweiten Weltkrieges gleichermaßen überstanden haben. Martina Edelmann betreut mehrere Projekte in verschiedenen Restaurierungsstadien. Angesichts der bestens erhaltenen Decken- und Wandmalereien in Mühlhausen spricht Edelmann von einem "extrem gut erhaltenen" Baudenkmal. Umso spannender ist in diesem Zusammenhang die Frage, was daraus wird. Denn zur Geschichte der Synagoge gehören eben fraglos auch die Nachkriegsjahre; die Nutzung des jüdischen Gotteshauses als profane Scheune, die laut Christian Plätzer einigen Anteil daran hatte, dass so viel des ursprünglichen Erscheinungsbildes bewahrt blieb. Die Devise muss daher "ergebnisoffene Arbeit mit Fingerspitzengefühl" lauten.

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