Nemo: "Ich bin verrückt nach Eishockey"

6.3.2020, 15:51 Uhr
Nemo:

Das Training der Höchstadt Alligators ist gerade vorbei, draußen herrscht dichtes Schneetreiben und Mikhail Nemirovsky braucht erst mal ein Bier. Weil es ihm im VIP-Raum zu kalt ist, findet das Gespräch im Raum der Betreuer im Höchstadter Eisstadion statt. An den Wänden hängen Fotos vergangener HEC-Erfolge. Nemirovsky ist seit dem 1. Dezember Teil des Vereins, zunächst war er nur Spieler. Als Trainer hat er aber schon eines erreicht: Höchstadt hat wieder Hoffnung auf den Verbleib in der Oberliga.

 

Herr Nemirovsky, das Interview lieber auf Deutsch oder auf Englisch?

Ich kann es auf Deutsch probieren, aber im Englischen bin ich sicherer.

 

Ihr Deutsch scheint gar nicht schlecht zu sein, in den Pressekonferenzen fiel immerhin das ausgefallene Wort "Halligalli".

Ja, aber manchmal kann ich auf Deutsch nicht alles korrekt erklären.

 

Für Sie ist es also wichtig, genau zu kommunizieren?

Auf jeden Fall. Mein Englisch ist hier für manche Spieler auch schwer zu verstehen, weil es ein anderes Englisch ist als das, das sie in der Schule gelernt haben. Ich bin in Kanada aufgewachsen, in Toronto. Das ist die Eishockey-Hauptstadt der Welt, es gibt nichts vergleichbares. Es gibt dort mehr Eishockey-Spieler als sonst in ganzen Ländern.

 

Sie haben im Lauf Ihrer Karriere die halbe Welt gesehen: Kanada, die USA, Russland, China, England.

Das ist einer der Vorteile, die man hat, wenn man vom Eishockeyspielen leben kann. Manche Menschen bleiben gerne ihr Leben lang an einem Platz. Als ich die Chance hatte, die Welt zu sehen, habe ich sie genutzt. Erst als ich eine Familie hatte, war das vorbei. 2004 habe ich meine Frau kennengelernt, da wurde Deutschland meine Heimat. Mit ihr bin ich in Schweinfurt geblieben.

 

War Abenteuerlust der einzige Grund für ihre vielen Stationen?

Wenn ich die Chance hatte, in einer höheren Liga zu spielen, habe ich immer das Gespräch mit dem Verein gesucht – manchmal haben sie mich gehen lassen, manchmal nicht. Aber so hatte ich auch ein knappes Jahr Zeit, in der Russischen Superliga gegen die besten Spieler der Welt anzutreten. Das war sehr wichtig für mich.

 

Shanghai klingt nach einem exotischen Ort für Eishockey. Wie war es dort?

Es war das einzige chinesische Team, das in der Asian League spielte. Der Rest kam aus Korea und Japan. Das Niveau war ziemlich gut, vergleichbar mit der Spitze in der DEL 2. Sie haben gut gezahlt und es war eine interessante Erfahrung. Leider konnte meine Familie damals nicht mitkommen, mein Sohn war gerade erst zwei. An Weihnachten bin ich deshalb nach Deutschland zurückgekehrt.

 

Hat man als Eishockey-Profi Zeit, um die Länder zu sehen, in denen man spielt?

Es gab ja Länderspielpausen. Und es gibt immer einen freien Tag. Ich mag es vor allem, richtig in einem Land zu leben und den Alltag in England, China oder Sibirien zu erfahren. Man ist als Profi kein Tourist. Ich habe wenig Sehenswürdigkeiten gesehen, aber viel von Alltagskultur und Mentalität mitbekommen.

 

Wie schwer ist es Ihnen gefallen, nicht mehr zu spielen, sondern nur noch zu coachen?

Ich bin verrückt nach Eishockey, ich schaue und lese alles darüber. Wenn ich den Sport nicht lieben würde, wäre ich mit 45 nicht so fit. Klar ist es schwer, loszulassen. Aber das Trainersein ist für mich ein neues Kapitel – und hoffentlich ein langes. Wenn ich aber noch mal einspringen müsste, würde ich es tun.

 

Sie kamen am 1. Dezember aus Bad Kissingen nach Höchstadt. Was war ihr erster Eindruck vom Team?

Die Jungs waren körperlich und mental erschöpft. Es gab kaum Zeit zur Erholung bei den vielen Spielen im Dezember. Und so wurde die Last, die sie mit sich herumschleppten, immer größer und größer. Es war wie eine Lawine. Und man gewöhnt sich an Dinge im Leben, ans Gewinnen, aber auch ans Verlieren. Es wurde zur Gewohnheit.

 

Was waren die Gründe für die Negativspirale?

Wir waren in manchen Bereichen in den Spielen nicht in der Lage, uns aus dem Loch zu holen. Und vielleicht war der Kader nicht tief genug. Für den Trainer war das schlecht, immer wenn ein Coach entlassen wird, ist es auch die Schuld der Spieler. Sie müssen Verantwortung übernehmen, ich auch.

 

Wie soll es beim HEC weitergehen?

Ich bin nicht hierhergekommen, um Trainer zu werden. Ich wollte hier spielen, für mehrere Jahre noch. Aber nun ist es so gekommen – und ich hoffe, wir können darauf alle zusammen bauen und uns weiterentwickeln. In allem: Professionalität entsteht im Kopf, rund um den Verein, aber auch in der Kabine.

 

Ein Spiel vor der Entlassung von Martin Sekera wurden Sie von ihm suspendiert. Was war passiert?

Ich und Martin haben uns immer gut verstanden. Wir hatten zuvor in Sonthofen verloren und sie wollten mich wohl motivieren, indem sie mich ein Spiel rausnahmen. Aber meiner Meinung nach haben sie an der falschen Stelle geschaut. Wie kann ein einzelner Spieler so gut sein, dass er so entscheidend ist? Dann sollte ich viel mehr Geld verdienen (lacht). Es hat nicht funktioniert. Zuvor hatten wir Klostersee 7:1 geschlagen und meine Reihe hatte vier Tore erzielt. Vielleicht wollte man zeigen: Wenn so ein erfahrener Spieler draußen bleiben muss, kann es alle treffen.

 

Was haben Sie als Trainer verändert?

Ich habe sofort aufgehört, Zeit mit Dingen zu verschwenden, die nicht wichtig sind. Es war wichtig, die Spieler an die richtigen Positionen zu stellen, sodass mehr Balance entsteht. Es bringt nichts, wenn man gute Spieler in einer Reihe lässt, sie aber nicht zueinander passen. Man braucht eine gute Mischung. Aber man braucht auch Glück und Gesundheit.

 

Was haben Sie zum Beispiel gestrichen?

Das Training ist jetzt kürzer, aber dafür schneller. Wir trainieren immer noch drei Mal die Woche, aber nur noch 45 bis 50 Minuten. Dafür aber schnell und mit mehr Spielsituationen.

 

Was erwarten Sie von Ihren Spielern?

Ich will keine Typen, die gewinnen wollen. Das wollen alle. Ich will Typen, die es hassen, zu verlieren – jeden Zweikampf, jeden Bully. Charakter hat man, wenn man arbeitet, wenn keiner hinschaut.

 

Wie groß sind die Chancen auf den Klassenverbleib?

Wir sind überbereit (Nemirovsky sagt das Wort auf Deutsch) für die Herausforderungen, die da auf uns warten. Aber alles kann passieren. Wenn wir am Limit spielen, haben wir eine Chance. Aber ich schaue nicht auf die Gegner. Ich schaue auf uns. Wenn wir richtig spielen, werden gute Dinge passieren.

 

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