Hype um "Tiger King": Das sagt eine Expertin

27.4.2020, 09:59 Uhr
Joe Exotic, Protagonist der Doku-Serie "Tiger King", geht mit seinen Tieren auf Kuschelkurs.

© -, AFP Joe Exotic, Protagonist der Doku-Serie "Tiger King", geht mit seinen Tieren auf Kuschelkurs.

"Der Unterschied zwischen meinen und Ihren Haustieren ist, meine haben 7 Zentimeter lange Zähne und wiegen 200 Kilo", begrüßt Joe Exotic, der selbsternannte Tiger King, die Besucher seines Privatzoos im US-Bundesstaat Oklahoma. Er ist der Protagonist der Netflix-Dokumentation "Tiger King", zu deutsch "Großkatzen und ihre Raubtiere", die derzeit in aller Munde ist und Joe Exotics wahnsinnige Karriere als fanatischer Raubkatzenhalter begleitet.

Zu der Zeit, als der Serienhit gedreht wurde, lebten auf dem Gelände von Joe Exotics "Greater Wynnewood Exotic Animal Park" zeitweise bis zu 187 Tiger, Löwen und andere Raubkatzen – unter fragwürdigen Bedingungen. Das löste Diskussionen unter Tierschützern aus: Die Haltung echter Tiger hat mit der unserer Stubentiger nämlich wenig gemeinsam. Die großen Katzen brauchen viel Auslauf und fachkundige Pflege, diese Anforderungen erfüllt Joe Exotic nicht, wie sich im Laufe der Serie zeigt.

Vom Zirkus nach Ansbach

Astrid Haase kennt sich im Gegensatz zum Raubtier-Exzentriker Exotic mit der artgerechten Haltung von Tigern aus: Sie ist Tierpflegerin im Exoten- und Raubtierasyl Ansbach. Die Einrichtung ist eine Auffangstation für Raubtiere, Primaten und Exoten, die in Not geraten sind. Dort leben derzeit auch vier Tiger, die aus einem Zirkus gerettet worden sind und in Ansbach ein neues Zuhause gefunden haben. Jedes der Tiere hat ein eigenes Gehege – ganz im Gegensatz zu den Tigern in Joe Exotics Zoo, die teilweise zu zehnt in einem Bereich gehalten werden.


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Diese herdenartige Haltung sieht Astrid Haase kritisch, vor allem bei männlichen Tieren: "In der Natur ist es so, dass ein männlicher Tiger allein ein großes Revier besitzt. Gegen andere Männchen werden dieses Revier, die Weibchen und auch die Beutetiere vehement verteidigt – bis aufs Blut", erklärt die Expertin, die ihre Ausbildung im Nürnberger Tiergarten gemacht hat. Bei solchen Revierkämpfen müsse der schwächere Tiger um sein Leben fürchten, vor allem in einem begrenzten Gehege. Apropos Gehege: Die müssen in Deutschland für ein einzelnes Tier übrigens mindestens 200 Quadratmeter groß sein – eine Fläche, von der Joe Exotics Tiger nur träumen können.

Mit Tigerbaby auf Partnersuche

Große Augen, tapsige Pfoten und ein flauschiges Fell – besonders der Tiger-Nachwuchs ist ein Publikumsmagnet in Exotics' Zoo. Joe Exotic verwandelt die Begeisterung der Besucher in ein Geschäftsmodell: Zahlungswillige Gäste bekommen ein Tigerwelpen auf den Arm und können Fotos mit ihm machen. Diese sogenannten "Tiger Selfies" laden die Besucher dann häufig in die sozialen Netzwerke und sogar ihre Online-Dating-Profile, wo sie potenzielle Partner beeindrucken sollen.

Die kleinen Tiger sind bei den Fototerminen zwischen vier und 16 Wochen alt. In diesem Alter sind sie zwar nicht gefährlich für den Menschen, sollten aber eigentlich noch von ihrer Mutter gesäugt werden. Um sie zu zähmen, werden sie allerdings direkt nach der Geburt von ihr getrennt und mit der Flasche aufgezogen. Diese Praktik war auch in Deutschland bis vor einigen Jahren gängig, weiß Astrid Haase. "Später wurden die Tiere dann aber nur noch per Hand aufgezogen, wenn es notwendig war und die Tigermutter das Kind verstoßen hat. Selbst das wird in den meisten Zoos aber nicht mehr gemacht, weil es zu Problemen führt – das größte davon ist die Fehlprägung."

Normalerweise lernen die Jungtiere von ihrer Mutter das arttypische Verhalten. Werden sie von Menschen großgezogen, fehlen ihnen diese natürlichen Verhaltensweisen. Solche Tiere seien nicht mehr mit Artgenossen verträglich und teilweise nicht einmal zur Fortpflanzung fähig, da sie potenzielle Geschlechtspartner gar nicht als solche erkennen. Die Verhaltensstörungen können auch bei anderen Raubtieren auftreten, die von Menschen großgezogen werden. Nürnbergs berühmtes Flaschenkind Flocke scheint davon aber nicht betroffen zu sein: Die Eisbärin kann ihre Jungen selbst versorgen, obwohl sie von Menschen großgezogen wurde - "ein Glücksfall", so Haase.

300 Kilogramm tödliche Gefahr

Selbst wenn Raubkatzen von der Geburt an an Menschen gewöhnt sind, bedeutet das aber nicht, dass sie später zahm oder ungefährlich sind. Besonders männliche Tiger seien gefährlich, da sie von Natur aus aggressiver seien als ihre weiblichen Artgenossen, erklärt Astrid Haase. In freier Wildbahn gilt schließlich: Das stärkere Männchen, der Tiger, der sich gegen seinen Rivalen durchsetzen kann, überlebt. Doch auch im Umgang mit den tendenziell ruhigeren Weibchen gibt es ein schwerwiegendes Problem - im wahrsten Sinn des Wortes. "Selbst wenn die Tiere uns Menschen auch im ausgewachsenen Alter als Freund akzeptieren, haben sie ein solches Gewicht und so viel Kraft, dass sie in jeder Situation eine tödliche Gefahr darstellen können."

Ein erwachsener Tiger kann bis zu 300 Kilogramm auf die Waage bringen. Was er als Spiel betrachtet, kann seinen menschlichen Spielgefährten das Leben kosten. Diese Kraft bekommt auch Joe Exotic zu spüren, als ihn eines seiner Tiere eines Tages in den Fuß beißt und durch das Gehege schleift. Er hat zwar Glück und kommt ohne größere Verletzungen davon, trotzdem erinnert die Szene die Zuschauer daran: So süß und kuschelig die Raubkatzen als Welpen sein mögen - es sind und bleiben wilde Tiere, die nicht wie ein Haustier behandelt werden dürfen.

Informationen zu den Tieren im Raubtier- und Exotenasyl Ansbach finden Sie hier.

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