Neun Standorte in der Auswahl

ICE-Werk in der Region: "Zwangsenteignung als Ultima Ratio"

10.6.2021, 19:11 Uhr

Dass es kein sonderlich angenehmer Abend für Karl Heinz Holzwarth und Carsten Burmeister werden würde, wurde beiden Bahn-Mitarbeitern spätestens bei Eintreffen an der Burgthanner Sporthalle klar: Vor der Halle, in der vergangenen Dienstagabend eine Gemeinderatssitzung stattfand, hatten sich Bürger positioniert und mit Transparenten und Schildern ihre klare Ablehnung des geplanten ICE-Werks für rund 400 Millionen Euro an den Standorten Ezelsdorf/Oberferrieden und Schwarzenbruck/Mimberg zum Ausdruck gebracht.

Ende April hatte die Bahn bekannt gegeben, dass sie für die neun Standorte Allersberg/Pyrbaum, Nürnberg-Altenfurt/Fischbach, das ehemalige Munitionslager (MUNA) Feucht sowie das Gebiet südlich der MUNA, Heilsbronn, Müncherlbach, Raitersaich, Schwarzenbruck/Mimberg sowie Ezelsdorf/Oberferrieden die erforderlichen Gutachten für das Raumordnungsverfahren erstellt, welches im November beginnen wird. Dabei prüft die Regierung von Mittelfranken, welche der im November noch verbliebenen Standorte mit den Grundsätzen der Raumordnung vereinbar sind.

„Das wäre absoluter Wahnsinn“

Insbesondere die beiden letztgenannten Standorte sorgten damals für Verwunderung in den betroffenen Gemeinden, waren sie zuvor doch niemals öffentlich als mögliche Alternativen genannt worden. „Es wäre absoluter Wahnsinn, das Ding da reinzubauen“, reagierte Schwarzenbrucks Bürgermeister Markus Holzammer, sein Kollege aus Burgthann, Heinz Meyer, wollte erst ein Gespräch mit den Verantwortlichen der Bahn abwarten, ehe er sich zu den Plänen äußern wollte.

Doch wie kam es eigentlich zur späten Berufung der beiden Standorte? „Wir haben mit unserem Planungsbüro überlegt, wie ein Werk aussehen kann, das nicht parallel zur Eisenbahnstrecke liegt und trotzdem die Kriterien erfüllt. So haben sich die Pläne für das Werk verändert. Die Komprimierung der Länge von 4,5 auf 3,2 Kilometer hat dazu geführt, dass wir noch einmal neu geschaut haben in der Region“, erklärte Projektleiter Carsten Burmeister das Nachrücken der beiden Standorte im südlichen Nürnberger Land.


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Dienstagabend stellte er zusammen mit Karl Heinz Holzwarth, Vorstandsmitglied für die Bereiche Verwaltung, Recht und Strategie, schließlich die Pläne dem Gemeinderat vor. Insgesamt hatte die Bahn im Vorfeld 69 Standorte in Mittelfranken untersucht, nach genauerer Betrachtung blieben die neun genannten übrig. Die Nähe zum Nürnberger Hauptbahnhof spielt für die Bahn eine zentrale Rolle, „denn hier beginnen und enden viele Fernverkehrslinien. Das Werk darf sich maximal 25 Kilometer vom Nürnberger Hauptbahnhof entfernt befinden und maximal eine 30-minütige Fahrzeit zum Hauptbahnhof aufweisen, sonst könnten wir keine Instandhaltung mehr durchführen, weil die Zeitfenster entsprechend kurz sind“, stellte Burmeister gleich zu Beginn klar.

Standorte erfüllen die Kriterien

„Um den am besten geeigneten Standort in der Region zu ermitteln, haben wir uns auf ein zweistufiges Verfahren geeinigt. Zu Beginn wurden zwölf Kriterien definiert, die erfüllt werden müssen, damit ein Standort überhaupt in Frage kommt. Ein ICE-Werk muss an einer bestehenden Gleistrasse, die elektrifiziert ist, liegen. Außerdem brauchen wir eine Fläche, die mit 35 Hektar ausreichend groß ist. Ein Kriterium war auch, dass wir keine signifikanten Siedlungen überplanen und überbauen.

Auch einen topografischen Unterschied größer als 30 Meter darf es nicht geben, weil unsere Züge nur sehr kleine Neigungen fahren können. Des Weiteren darf das Gebiet nicht in einem Naturschutzgebiet nach Bundesnaturschutzgesetz liegen und es darf auch nicht in Trinkwasserschutzgebieten der Schutzzonen eins bis zwei liegen, weil es dann kein Baurecht geben kann“, führte der Projektleiter der Bahn weiter aus.

Nachdem die 69 Standorte auf die Kriterien abgeklopft wurden, blieben nur noch neun übrig, darunter Schwarzenbruck/Mimberg sowie Ezelsdorf/Oberferrieden. Sie werden nun gleichwertig mit den übrigen sieben Standorten auf 33 weitere Kriterien untersucht, darunter die Qualität der Anbindung ans Straßennetz (Logistik), der Anteil der Fläche im öffentlichen Eigentum im Verhältnis zur Gesamtfläche, resultierende Verbote aus Biotopschutz und der Baumschutzsatzung sowie die Entfernung von lärmempfindlichen Gebieten. Hierzu lässt die Bahn schalltechnische Gutachten erstellen, die auch ins Raumordnungsverfahren einfließen werden.


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Bis Oktober werden die Standorte nun untersucht, anschließend will der Konzern für die geeigneten Gebiete die Bewerbungen für die Raumverträglichkeit bei der Regierung von Mittelfranken einreichen. Geht alles glatt, möchte die Bahn das neue ICE-Instandhaltungswerk im Jahr 2028 in Betrieb nehmen.

Verkehr, Lärm und Lichtverschmutzung

Neben der großflächigen Rodung von Waldflächen sorgen sich Anwohner und Gemeinderatsmitglieder gleichermaßen um entstehenden Zusatzverkehr, Lärm sowie Lichtverschmutzung. So fragte Dr. Eckhard Töpert (SPD), welche konkreten Belastungen vom Werk für die Anwohner ausgehen würden. „450 Mitarbeiter verteilt über drei Schichten sind sicherlich kein Genickbruch für eine Bundesstraße“, antwortete Burmeister, der im zusätzlichen Verkehr das geringste Problem sieht.

Schwieriger gestaltet sich die Lichtverschmutzung. Für das ICE-Werk in Köln-Nippes, für das Burmeister ebenfalls verantwortlich zeichnet, gestand der Projektleiter Fehler ein. Fehler, aus denen man am Standort in Mittelfranken lernen möchte: „Wir haben dort zwölf Meter hohe Masten verbaut, die in Bereichen, in denen sich keine Wälder befinden, in Wohnhäuser leuchten. Wir haben sie mit Blendkappen versehen, sodass das Licht nun nicht mehr in die Nachbarschaftsbebauung leuchtet. In Zukunft umgehen wir das Problem, in dem wir einfach kleinere Masten bis neun Meter nutzen.“


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Größte Sorge bereitete den Anwesenden jedoch der befürchtete Lärm, den nicht nur die Arbeiten im Werk, sondern auch die Hupentests der Züge verursachen würden. Die sogenannten Makrophontests sind gesetzlich vorgeschrieben, jeder ICE muss einmal binnen eines Tages getestet werden, andernfalls dürften die Züge nur mit 80 km/h fahren. „Wir werden im Werk hupen müssen. Aber wir werden definieren, wo wir hupen.

Diesen festgelegten Bereich werden wir mit Lärmschutzwänden einhausen und dafür sorgen, dass der Lärm (120 dB(A), Anmerkung der Redaktion) nicht mehr nach draußen dringt“, lautete Burmeisters angedachte Lösung des akustischen Problems.


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Robert Datzer (Grüne) wollte anschließend wissen, wo die Bahn die erforderlichen Ausgleichsflächen schaffen möchte. „Die in Frage kommenden Standorte sind in unterschiedliche Schutzgüter unterteilt, wir sind gerade dabei, die Flächen zu kartieren. Erst danach können wir den Kompensationsbedarf ableiten. Es ist ein ganz wichtiger Punkt, weil wir ohne Kompensation kein Baurecht erhalten werden. Deswegen ziehen wir das jetzt auch schon in die Raumordnung vor, in Form eines Konzepts. Genau auf Flurstück und Quadratmeter, das geht zum jetzigen Zeitpunkt nicht“, sagte Burmeister.

Zwangsenteignung als „Ultima Ratio“

„Und was, wenn es an den Grundstückserwerb geht und ein Eigentümer nicht verkaufen will“, fragte SPD-Fraktionsvorsitzender Wolfgang Lahm? Erst wenn sich im November konkrete Standorte herauskristallisieren, möchte die Bahn mit den Grundstückseignern in Verhandlungen eintreten, „immer mit dem Ziel, das in gegenseitigem Einverständnis hinzubekommen“, versichert Burmeister, stellt jedoch auch klar: „Ein ICE-Werk ist ein Bauwerk des gesellschaftlichen Interesses. Wir tun was für die Gesellschaft. Spätestens mit Vorlage des Planfeststellungsbeschlusses hätten wir als Ultima Ratio die Möglichkeit der Zwangsenteignung. Das ist aber nicht der Weg, den wir gehen möchten.“

Nach rund eineinhalb Stunden verabschiedeten sich die Bahn-Vertreter. Der Begriff Zwangsenteignung hallte noch länger nach, die Werkgegner im Saal fühlten sich bestätigt.

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