Im alten Pfarrhaus kennt die Kreativität keine Grenzen

5.11.2011, 11:46 Uhr
Im alten Pfarrhaus kennt die Kreativität keine Grenzen

© Fritz-Wolfgang Etzold

Den Lohn für ihre Erlebnisse kann man sehen und spüren: Wenn der Blick durch die Stube wandert, über den Dielenboden aus altem Holz, über weiß gestrichene Kassettentüren mit den originalen Beschlägen und dann durch die Holz-Sprossenfenster — auf das historische Schulhaus des Dorfes.

Im kleinen Klapfenberg, zwischen Parsberg und Velburg im Landkreis Neumarkt gelegen, haben Heidemarie und Michael Rüttinger, beide gebür­tige Nürnberger, sich gleich zweier betagter Häuser angenommen: Seit 1986 gehört ihnen das ehemalige Pfarrhaus am Ort, das aus dem Jahr 1685 stammt; 2001 kauften sie das gegenüberliegende alte Schulhaus. Mit Bruchsteinen, die beim Burg­bau anfielen, wurde das Pfarrhaus auf den Lehmboden gesetzt: Die Arbeiter stellten im 17. Jahrhundert den Holz­ständer auf, verschalten die Balken und füllten mit Bruchsteinen und Kalkputz auf.

Daher bewegt sich das Haus beständig, wölbt sich hier leicht nach außen, gibt dort etwas nach, ein Türstock zieht die Holzbalkenaugen­braue links nach oben. Aber: Hier lässt sich’s leben. Unter der originalen Stuckdecke zu schla­fen, scheint einfach himmlisch, eine Holztüre aus der Barockzeit öffnet sich ins grüne Stuckzimmer, in dem früher drei Kinder schliefen und spiel­ten.

Werkeln für die große Familie

Weil sie auf der Suche nach einer Bleibe für ihre große Familie waren, kamen die Rüttingers auf das Haus in Klapfenberg. Und so werkelte das Paar los, Heidemarie Rüttinger hoch­schwanger mit dem vierten Kind, und Michael Rüttinger, der als Lehrer und als Spieleerfinder arbeitet. Sie legten Mauern trocken, schliffen und ölten Böden, dämmten das Dach, das einen wunderbaren zweistöckigen Boden beherbergt, möbelten die Fensterrah­men auf, verlegten einen Dielenboden mit unterschiedlich breiten Brettern aus altem Holz.

Viel Platz für Kinder

„Gebaut wurde nur mit Stein und Holz, das gibt eine gute Atmosphäre. Ein robustes Haus sollte es werden, für die ganze Familie“, sagt Michael Rüttinger. Platz war auch noch für das fünfte Kind im Haus, aber die Spiele-Erfin­der­-Werkstatt breitete sich immer wei­ter aus. Weit mussten die Rüttingers nicht blicken bei ihrer Suche: Gegen­über schlummerte das alte Schulhaus, rund 200 Jahre alt. Um es aus dem Schlaf zu erwecken, haben die Rüttin­gers viel getan. Heidemarie hat über drei Jahre hinweg zum Beispiel zuge­mauerte Fenster freigelegt. „Ich habe beim Wand-Abklopfen gemerkt: Da ist ja ein Rundbogen, da war doch sicher mal ein Fenster“, erinnert sie sich.

Die Kinder halfen, die Tapeten abzulösen, sie selbst hat verputzt, gestrichen, kunstvolle Bordüren in den Räumen gemalt: Ein lindgrünes Muster ziert das Konzertzimmer mit einem Jugendstil-Kachelofen. In das stilvolle Ambiente lädt die Familie zu Sonntagsmatineen ab und zu Freunde ein, Klassik oder Jazz von hochkaräti­gen Musikern ist dann zu hören.

Momentan steht eine Staffelei mit einem großformatigen Bild von Heide­marie Rüttinger am Fenster. Im zweiten Schulzimmer kreiert das Ehepaar Spiele. Michael Rüttin­ger ist ein bekannter Spiele-Autor, seine Frau illustriert aufwendig Spiel­boxen, -flächen und -steine.

Als Sängerin Karriere gemacht

Auch für ein Musikstudio unterm Dach ist im neuen alten Haus Platz. Als „Marie Deutschland“ machte Hei­demarie Rüttinger mit Band Furore, trat in den Sendungen „Formel Eins“ und „Bananas“ im Fernsehen auf. Jetzt haben sich zwei der Söhne mit einem Schwiegersohn und einem Freund zur Band „Probierstein“ zusammengetan und machen hier Musik. „Ich hatte schon so meine Krisen, habe mich gefragt, wofür ich das alles mache“, erzählt Heidemarie Rüttin­ger offen.

Schließlich habe sie auch eine Sehnsucht danach, frei und unge­bunden zu sein. Jetzt muss sie, wenn es regnet, Handtücher zwischen die zugigen Doppelfenster des Konzert­zimmers legen, weil es sonst feucht wird. Muss bei Rissen im Wohnhaus den Putz aufschlagen, spachteln und wieder drüberstreichen. Aber, sagt sie, „stell dir mal vor, das Haus hier mitten im Ort wäre abgeris­sen worden. Da würde doch was feh­len.“ Um die Häuser als kulturelle Zeugnisse zu erhalten, haben sich die Rüttingers reingehängt: „Dieses Haus ist einzigartig auf der ganzen Welt.“

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