Immer mehr Elektroschrott: Neue Kampagne soll helfen

12.11.2019, 05:57 Uhr
Leuchtende oder blinkende Turnschuhe sind seit einer Gesetzesänderung von Ende 2018 eindeutig als Elektrogeräte definiert und müssen auf dem Wertstoffhof oder bei einem großen Elektro-Händler abgegeben werden. Im Jahr 2008 hatte Adidas noch vor dem Bundesverwaltungsgericht erreicht, dass der Laufschuh "adidas_1" mit seiner elektronisch gesteuerten Fersendämpfung nicht als Elektrogerät zählt.

© Foto: Hauke-Christian Dittrich/dpa Leuchtende oder blinkende Turnschuhe sind seit einer Gesetzesänderung von Ende 2018 eindeutig als Elektrogeräte definiert und müssen auf dem Wertstoffhof oder bei einem großen Elektro-Händler abgegeben werden. Im Jahr 2008 hatte Adidas noch vor dem Bundesverwaltungsgericht erreicht, dass der Laufschuh "adidas_1" mit seiner elektronisch gesteuerten Fersendämpfung nicht als Elektrogerät zählt.

Begonnen hatte alles mit dem Laufschuh "adidas_1". Den hatte der Herzogenauracher Sportartikelhersteller im Jahr 2004 auf den Markt geworfen und mit einer elektronisch gesteuerten Fersendämpfung versehen - unglücklicherweise nur ein Jahr, bevor das damals neu eingeführte Elektro- und Elektronikgerätegesetz (ElektroG) in Kraft trat.

Die Folge: Adidas musste vor Gericht ziehen, weil die Stiftung Elektro-Altgeräte Register (ear) den Schuh als Elektrogerät einstufte. Adidas wollte nicht, dass auf dem "ersten intelligenten Schuh der Welt" (O-Ton Adidas) eine durchgestrichene Mülltonne abgedruckt werden musste und dass die Kunden das 250 Euro teure Produkt am Ende seiner Laufbahn am Wertstoffhof abgeben mussten. Und der Sportartikelhersteller bekam recht: "Ein Schuh ist ein Bekleidungsstück, daran ändert auch der Einbau eines elektronischen Teils nichts", ließ das Bundesverwaltungsgericht in seinem Grundsatzurteil 2008 verlauten.

Adidas wollte damit Rechtssicherheit schaffen - doch letztlich vergeblich. Denn seit Ende 2018 gilt eine neue Fassung des ElektroG. Seither ist alles, was elektronische Komponenten enthält, ein Elektrogerät, wenn es nicht ausdrücklich im Gesetz davon ausgenommen ist. Zu den Ausnahmen gehören, um die Sicherheitsinteressen des Staates zu wahren, militärische Waffen. Aber auch Ausrüstungsgegenstände für Weltraummissionen, Glühlampen (wegen ihres geringen Recyclingwerts) und implantierbare medizinische Geräte zählen dazu.

Photovoltaik-Module kommen bald

Schuhe mit elektronisch gesteuerter Fersendämpfung oder die gerade bei Kindern weit verbreiteten blinkenden Turnschuhe dagegen nicht. "Solche Schuhe müssen jetzt beim Wertstoffhof oder im Handel abgegeben werden", betont Alexander Goldberg, Vorstand der Stiftung Elektro-Altgeräte Register (ear). Adidas wollte sich auf Anfrage nicht zu der Thematik äußern.

Bei der Stiftung ear, die im Juli mit ihren 34 Mitarbeitern von Fürth in größere Räume im Nürnberger Nordostpark umgezogen ist, müssen alle Elektrogeräte, die in Deutschland auf den Markt kommen, registriert werden, von Kühlschränken über Waschmaschinen, Handys und Bildschirmen bis hin zu Leuchtstoffröhren und Photovoltaik-Modulen (bei denen in einigen Jahren der große Rückgabe-Boom erwartet wird).

Die Stiftung koordiniert auch die Entsorgung. In der Praxis sieht das so aus, dass eine Kommune über das ear-Online-Portal meldet, wenn ein Sammelbehälter am Wertstoffhof voll ist. Die Stiftung beauftragt dann nach einem Algorithmus, der die Marktanteile der Hersteller berücksichtigt, einen der Hersteller von Elektrogeräten mit der Abholung des Behälters.

Dass seit Ende 2018 so viele Produkte als Elektrogeräte zählen, bringt auch Probleme mit sich. "Zu uns kommen jetzt auch elektronisch betriebene Couchsessel. Da bauen wir den Motor aus, der Rest kommt auf den Sperrmüll. Es passiert sogar, dass bei beleuchteten Schrankwänden nicht zuerst die Beleuchtung ausgebaut wird, sondern dass die Möbel komplett bei den Elektrogeräten landen", erzählt Monika Pfahler, Geschäftsführerin des Dinkelsbühler Unternehmens Pfahler, das sich mit mehr als 60 Mitarbeitern der Demontage von Elektroschrott widmet, vor allem von Kühlschränken, Fernsehern und PCs.

"Immer weniger Wertvolles"

"In Elektrogeräten sind immer weniger werthaltige Materialien. Das wird zum Problem für uns", meint Pfahler. Die Erlöse werden geringer, weil zum Beispiel Computer weniger Goldanteile haben als früher. Außerdem landen durch die jüngste Gesetzesänderung immer mehr Produkte mit wenig wertvollen Inhaltsstoffen bei den Elektro-Altgeräten.

Besonders viele hochwertige Materialien enthalten eigentlich Handys. Diese landen aber nur sehr selten im Wertstoffhof. 124 Millionen Altgeräte horten die Deutschen in Schubladen, Kellern und Kartons, hat der Digitalverband Bitkom ermittelt. "Die Menschen trennen sich sehr ungern von ihren Handys. Die Geräte waren sehr teuer, außerdem muss man vor der Entsorgung die Daten löschen", erklärt Goldberg.

Auch insgesamt ist die Sammelquote in Deutschland viel zu gering. Korrekt entsorgt wurden von den Geräten im Jahr 2017 insgesamt 45,08 Prozent - knapp über der damals geforderten Quote von 45 Prozent. Auch für die Jahre 2018 und 2019 wird eine Sammelquote um die 45 Prozent erwartet. Die seit dem Jahr 2019 eigentlich von der EU verlangte Sammelquote von 65 Prozent wird damit klar verfehlt werden.

Das liegt zum einen an den dubiosen fliegenden Händlern, die mit Zetteln in Briefkästen für die Frei-Haus-Abholung von Waschmaschinen oder Herden werben und diese dann unkontrolliert ins Ausland schaffen.

Ein noch größeres Problem sind allerdings die Online-Marketplaces, also Internetplattformen, auf denen viele Händler von außerhalb der EU jede Menge nicht in Deutschland registrierte Elektrogeräte anbieten. Hierzulande wird gerade darüber diskutiert, ob die Plattformbetreiber künftig genau prüfen müssen, was über ihre Seiten angeboten wird - und dann auch dafür verantwortlich gemacht werden.

Der wohl größte Schwachpunkt liegt aber momentan noch beim Verbraucher. "Gerade kleinere Elektrogeräte werden aus Bequemlichkeit oder Unwissenheit noch oft in der Mülltonne entsorgt", sagt Goldberg. Eine umfassende, vom Bundesumweltministerium unterstützte Verbraucherkampagne soll ab 14. November Abhilfe schaffen.

Große Verbraucherkampagne

In einem lockeren Musikvideo mit dem Titel "Drop it like E-Schrott" (frei nach dem Hit "Drop it like it’s hot" von Snoop Dogg und Pharrell) geben vier schrille Protagonisten in gerappter Form Tipps zur richtigen Entsorgung von Elektrogeräten. Die vier Protagonisten sollen ab Donnerstag als lebensgroße Aufsteller im Handel die Verbraucher auf unverkrampfte Art mit dem Thema konfrontieren, dazu gibt es Flyer, Plakate und vor allem jede Menge Posts und Aktionen in sozialen Netzwerken. Die Kampagne soll vier bis sechs Jahre lang laufen, pro Jahr soll etwa eine Million Euro investiert werden.

Noch gibt es viel Unwissen bei den Verbrauchern. Fernbedienungen landen im Plastik ("sind ja aus Kunststoff"), Akkuschrauber werden mitsamt Lithium-Ionen-Akkus weggeworfen, was immer häufiger zu heftigen Bränden auf Recyclinghöfen und bei Entsorgern führt.

"Es ist wichtig, dass Elektrogeräte korrekt entsorgt werden. So kann man die Rohstoffe wieder einsetzen. Das spart Kosten und vermindert Preissteigerungen. Es verhindert gefährliche Umweltverschmutzungen und führt dazu, dass man keine neuen Rohstoffe aus der Erde herausholen muss", erklärt Goldberg.

Adidas hat das elektronisch gedämpfte Fersensystem und das als modernster Laufschuh aller Zeiten angepriesene Modell übrigens inzwischen längst selbst auf den Müll geworfen. Es wird nicht mehr produziert. Restbestände sollten auf dem Wertstoffhof entsorgt werden.

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