Interview mit Umweltminister: "Wir können die Ökonomie jetzt umbauen"

16.5.2020, 05:55 Uhr
Interview mit Umweltminister:

© Foto: Silas Stein/dpa

Die Corona-Pandemie hat die Arbeitswelt nach Ansicht von Bayerns Umweltminister Thorsten Glauber (FW) gründlich verändert, und das durchaus zum Positiven. Für den Politiker sind die Zeiten vorbei, in denen Menschen für ein Meeting um die Welt geflogen sind. Und Homeoffice oder Videokonferenzen ermöglichten es, viele Pendlerfahrten einzusparen. Wir sprachen mit dem Minister über die Konsequenzen in schwierigen Corona-Zeiten.

Herr Glauber, Ministerpräsident Markus Söder will das Kabinett wieder mehr einbinden. Heißt das, dass wir in den vergangenen Wochen in einer Quasi-Diktatur gelebt haben, wie manche schon beklagen?


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Glauber: Natürlich nicht. In einer Krise wie dieser tritt der Ministerpräsident aber zwangsläufig nach außen deutlicher auf und spricht für die Staatsregierung. Trotzdem hat jeder von uns seine klaren Aufgaben. Wir haben im Zusammenspiel aller Minister mit dem Ministerpräsidenten diese Krise aus meiner Sicht bisher gut bewältigt.

Interview mit Umweltminister:

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Ihr Haus war eher als Verbraucherschutz- denn als Umweltministerium betroffen. Waren Sie ausreichend eingebunden?

Glauber: Ich glaube, dass wir gute Vorschläge ausgearbeitet haben, die jetzt auch umgesetzt werden. Wir hatten zwei zentrale Aufgaben zum Schutz der Bevölkerung. Wir prüfen, ob die Schutzausrüstung den Standards entspricht. Und wir mussten Wege finden, wie wir die Vorschriften in dieser Sondersituation optimal nutzen können. Ein Beispiel: Fast reiner Alkohol desinfiziert häufig genauso gut wie zulässige Desinfektionsmittel. Also haben wir Konzepte erarbeitet, die den Einsatz von Alkohol als Desinfektionsmittel ermöglichen.


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Eines der ganz großen Probleme war der Mangel an Schutzausrüstung. Welche Konsequenzen ziehen Sie daraus?

Glauber: Wir sollten uns für die nächste Pandemie bestmöglich aufstellen. Wir haben Depots für den Tierseuchenfall, nicht aber für eine Pandemie. Das muss sich ändern. Wir haben unsere Depots zur Verfügung gestellt. Ich dränge aber darauf, dass wir solche Bestände auch für Pandemien vorhalten. Die sollten zu mindestens einem Zehntel aus heimischer Herstellung stammen. Wir müssen die Abhängigkeit vom Weltmarkt reduzieren. Es darf nicht sein, dass wir wegen ein paar Cent Ersparnis aus dem Ausland importieren müssen und unsere Unternehmer aufgeben, weil sie keine Abnehmer finden. Das muss eine Kreislaufwirtschaft werden. Wir nehmen die Bestände aus dem Lager, die nahe am Ablaufdatum sind und bringen sie etwa in die Krankenhäuser oder Pflegeheime. Und füllen mit neuen Produkten wieder auf.


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Über welche Dimensionen reden wir hier?

Glauber: Das lässt sich im Moment noch nicht definitiv sagen. Das Tierseuchenlager, das wir aktuell nutzen, ist in jedem Fall viel zu klein, um auch den Bedarf für eine Pandemie noch abzudecken. Bei einer Pandemie wird es allein bei den Masken wohl Milliarden brauchen. Deswegen ist eine heimische Produktion ja so wichtig, die wir im Krisenfall sofort hochfahren könnten. Auch deshalb haben wir gerade eine eigene bayerische Prüfstelle eingerichtet, die Schutzmaterial schnell und sicher bewerten kann. Sicherheit muss hier an erster Stelle stehen. Das ist auch eine der Lehren aus der Corona-Pandemie, dass hier sonst viel Zeit verloren gehen kann.

Warum war Bayern so schlecht vorbereitet? Die Fachleute warnen seit Jahren vor einer solchen Pandemie.

Glauber: Das ist eine gute Frage, die wir in Deutschland und den Ländern richtig beantworten müssen. 2013 hat das Robert-Koch-Institut ein entsprechendes Strategiepapier vorgelegt. Wichtig ist, dass wir, das heutige bayerische Kabinett, nun daraus die richtigen Konsequenzen ziehen.

Und das passiert?

Glauber: Selbstverständlich. Wir haben die Themen eingespeist und arbeiten daran.

Auswirkungen Corona-Lockdown auf Umwelt

Sie sind auch Umweltminister. Vor Corona war der Natur- und Klimaschutz ganz oben auf der Prioritätenliste. Fridays for future hat die Agenda bestimmt, die Grünen waren im Allzeit-Hoch. Alles weg. Befürchten Sie, dass dieser Teil Ihrer Arbeit, dass die Umwelt in den kommenden Monaten keinen Stellenwert mehr hat, weil die Wirtschaft und der Erhalt der Arbeitsplätze weit wichtiger sein werden?

Glauber: Ich drehe das mal um. Wir müssen aus der Pandemie die richtigen Lehren ziehen. Der Lockdown hat enorme wirtschaftliche Auswirkungen, keine Frage. Er hat aber auch signifikante Auswirkungen auf Verkehr, Produktion oder Flüge. Das schlägt sich deutlich in den Emissionsdaten nieder und wirkt sich auf Natur und Umwelt aus.

Für mich ist zentral: Wenn wir die Wirtschaft wieder hochfahren, müssen wir Ökonomie und Ökologie zusammen denken. Wir müssen mit den Mitteln, die wir jetzt einsetzen, dafür sorgen, dass der Nachhaltigkeitsaspekt in den Vordergrund tritt. Ich bin absolut für einen Green Deal. Wir brauchen eine soziale und nachhaltige Marktwirtschaft. Und das können wir über die Förderung steuern. Wir haben jetzt die Chance, unsere Ökonomie umzubauen.

Ihr Wirtschaftsminister und Parteifreund Hubert Aiwanger fordert vehement eine Abwrackprämie für die Automobilindustrie, für alle Antriebsarten, also auch für Benziner und Diesel. Das dürfte kaum Ihren Vorstellungen entsprechen.

Glauber: Wir wären gut beraten, wenn wir von einer reinen Automobildebatte wegkommen. Wir brauchen einen ganzheitlichen Blick auf die Wirtschaft. Wir haben in Bayern viel mehr Branchen als die Autoindustrie, so wichtig sie auch ist. Wir müssen überlegen, wie wir das Geld der Steuerzahler über alle Branchen hinweg klug in Nachhaltigkeit und damit in die Zukunft investieren können. Wir müssen auf nachhaltige, digitale Infrastrukturen setzen, auf künstliche Intelligenz, auf nachwachsende Rohstoffe. Die Gesellschaft verlangt zu recht, dass wir nicht nur auf das Althergebrachte setzen und einfach so weitermachen wie bisher.

Ressourcenschonende Fortbewegung

Die bayerische SPD fordert eine Prämie für E-Bikes. Ist das eher in Ihrem Sinn?

Glauber: Ich will das grundsätzlicher diskutieren, nicht nur auf eine bestimmte Form der Mobilität bezogen. Die Fortbewegung muss insgesamt nachhaltiger werden, ressourcenschonend. Ob das über ein E-Bike geschieht, über Elektroautos, über Wasserstoff oder Ökogas, ist zweitrangig. Entscheidend ist, dass wir das umweltverträglich gestalten und jetzt die Weichen entsprechend stellen.

Das lässt sich über die Prämie steuern. Also ohne Diesel und Verbrenner?

Glauber: Ich denke nicht, dass wir mit Benzin und Diesel die Mobilität der Zukunft erreichen werden. Die liegt in den neuen Technologien und umweltfreundlichen Kraftstoffen.


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Die fossilen Brennstoffe gelten als Hauptverursacher der schlechten Luft in den Städten. Vor Corona drohte etwa in München ein Fahrverbot für Teile der Stadt. Das ist noch nicht vom Tisch.

Glauber: Wir sind, das zeigen unsere Messungen, in den meisten Städten auf einem guten Weg, etwa in Nürnberg, Würzburg oder Regensburg. In München bleibt der Mittlere Ring das Problemkind. Aber auch dort wird die Luftqualität kontinuierlich besser. Die Stadt hat uns über hundert Maßnahmen zugesagt, die die Schadstoffbelastung weiter senken sollen. Die müssen nun auch konsequent umgesetzt werden.

Sehen Sie langfristig einen positiven Effekt der Corona-Pandemie auf den Verkehr?

Glauber: Der Lockdown hat zu einem deutlichen Rückgang des Straßenverkehrs geführt. Aber auch die Fahrgastzahlen etwa bei der Bahn sind drastisch eingebrochen, und sie steigen aktuell nicht im erwartbaren Maß wieder an. Es gibt viele Menschen, die haben Angst, dass sie sich im Zug bei Mitreisenden anstecken könnten, und fahren lieber mit dem Auto. Ich kann ihnen das nicht verdenken, auch wenn es vorerst keine positive Entwicklung ist. Wir haben vor Corona ein 400-Millionen-Paket für den ÖPNV beschlossen. Das werden wir auch nach Corona kontinuierlich weiter umsetzen. Anders könnten wir unsere Klimaziele nicht erreichen. Auch nicht nach der Pandemie.


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Nach der Pandemie wird Bayern auf einem gigantischen Schuldenberg sitzen, der bis zu 80 Milliarden Euro hoch sein könnte. Wird im Sparzwang der Klimaschutz zur Nebensache?

Glauber: Ich glaube sogar, das Gegenteil wird eintreten. Wir haben ja gerade erst ein Klimaschutzpaket beschlossen mit über einer Milliarde Euro. Ministerpräsident Söder hat eine Hightech-Offensive angekündigt, die in weiten Bereichen auf den Umwelt- und Klimaschutz zielt. Wir werden sie sogar eher vorziehen als nach hinten schieben. Damit wir die Wirtschaft in die richtige Richtung steuern, hin zu mehr Nachhaltigkeit und Umweltschutz.

Glauben Sie tatsächlich, dass die Regierung dem Druck der Wirtschaft standhalten kann? Sie wird doch jedes Mittel nutzen und gegen neue Auflagen ankämpfen.

Glauber: Nach meiner Überzeugung wird sie gar nicht anders können, als umzusteuern. Wir sind ein Hochlohnland. Wenn wir unsere Gehälter weiter so verdienen wollen, können wir nicht stur auf die alte Ökonomie setzen.


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Unser Land und unsere Wirtschaft müssen sich fit machen für die Zukunft. Wir müssen uns gemeinsam in Richtung Zukunftsthemen bewegen. Und ich habe den Eindruck, dass die Wirtschaft da auch mitzieht.

Auswirkungen der Corona-Pandemie

Wie wird die Corona-Pandemie die Arbeitswelt verändern?

Glauber: Aus Sicht des Umweltministers positiv. Zwei Dinge haben wir doch gelernt: Das Homeoffice ist möglich, was viele Pendlerfahrten einsparen kann; und Videokonferenzen sind es ebenfalls. Die Zeiten dürften vorbei sein, in denen Leute für ein Meeting um die Welt geflogen sind. Und das ist gut so. Für den, der nicht fliegen muss. Und für die Umwelt erst recht.

Auf wen setzen Sie mehr bei diesem Prozess – auf den Ministerpräsidenten oder auf den zuständigen Wirtschaftsminister?

Glauber: Natürlich auf beide. Viele Reisende haben Angst, sich im Zug anzustecken.

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