Kämpfer für die Gerechtigkeit: Roman Polanskis "Intrige"

7.2.2020, 12:59 Uhr
Sie sind keine Freunde, trotzdem setzt sich Marie-Georges Picquart (Jean Dujardin) für Alfred Dreyfus (Louis Garrel) ein.

© epd Sie sind keine Freunde, trotzdem setzt sich Marie-Georges Picquart (Jean Dujardin) für Alfred Dreyfus (Louis Garrel) ein.

Nein, sagt Picquart seinem Gegenüber Dreyfus offen ins Gesicht, er möge keine Juden. Doch was der Major Marie-Georges Picquart noch weniger mag, sind Ungerechtigkeit, manipulierte Dokumente, die Unterschlagung von Beweisen.
Roman Polanski und Co-Autor Robert Harris stellen Picquart (Jean Dujardin) ins Zentrum von „Intrige“ und rekonstruieren aus seiner Warte die Affäre Dreyfus, die Ende des 19. Jahrhunderts die dritte französische Republik erschütterte. Am Anfang sieht man Dreyfus (Louis Garrel) im Moment seiner größten Erniedrigung: Vor Hunderten stramm stehender Soldaten auf dem weiten kalten Exerzierplatz werden dem wegen Hochverrats verurteilten jüdischen Artillerie-Offizier die Rangabzeichen, goldenen Knöpfe und roten Streifen von der Uniform gerissen. Zuletzt wird sein Säbel zerbrochen. „Man degradiert einen Unschuldigen!“, ruft Dreyfus, der nur mit größter Mühe die Fassung bewahrt.

Mauer der Ignoranz

Auch Picquart beobachtet die brutale Szene, noch ist er davon überzeugt, dass Dreyfus tatsächlich als Spion für das Deutsche Reich gearbeitet hat. Als er kurz darauf zum Chef des militärischen Auslandsnachrichtendienstes befördert wird, stößt er jedoch auf immer mehr Ungereimtheiten. Die Deutschen erhalten weiter geheime Informationen von französischer Seite, das zentrale Schriftstück, auf dem Dreyfus’ Verurteilung basiert, ist offenbar gefälscht.
Schon bald findet Picquart heraus, wer der wahre Verräter ist. Doch in der im Muff und Untertanengeist erstarrten Behörde und bei der Militärführung, die der Film als korrupten, verrotteten Apparat zeigt, stößt er auf eine Mauer der Ablehnung. Picquart wird klar, dass niemand Interesse an der Wahrheit hat und Dreyfus als Jude ein willkommenes Opfer ist.
Akribisch an den historischen Fakten entlang rekonstruieren Polanski und Harris die Dreyfus-Affäre als packenden Thriller. Der Fall spülte den latenten Antisemitismus der französischen Gesellschaft an die Oberfläche. Als in der Zeitung „L’Aurore“ Emile Zolas berühmter offener Brief erscheint, in dem der Schriftsteller die Generalität des Justiz-Verbrechens anklagt, kommt es zu pogromartigen Ausschreitungen. Die Zeitungsausgaben und Zolas Bücher werden verbrannt, „Tod den Juden“ schmiert der Mob auf die Glasscheiben der Geschäfte.
Zola wird wegen Verleumdung verurteilt, doch sein Brief und der hartnäckige Kampf des vorübergehend strafversetzten Picquart um die Wiederaufnahme des Verfahrens haben eine Dynamik in Gang gesetzt, die die Regierung zum Handeln zwingt. Nach fünf Jahren kehrt Dreyfus, dessen Martyrium auf der Teufelsinsel der Film in wenigen Bildern andeutet, nach Frankreich zurück. Vollständig rehabilitiert wird er erst 1906.
Bei aller Dramatik der Ereignisse setzt Polanski in seiner makellosen Inszenierung auf eine zurückhaltende Erzählweise, zeichnet Picquart (von Jean Dujardin absolut überzeugend gespielt) als einen Mann, der sein eigenes Gewissen und seinen Gerechtigkeitssinn über den militärischen Gehorsam stellt. „J’accuse“ (Ich klage an) heißt der Film im Original. Als er 2019 in den Wettbewerb nach Venedig eingeladen wurde, sahen viele in dem Titel ein Statement Polanskis in eigener Sache. Wegen Vergewaltigung einer Minderjährigen 1977 steht der 86-Jährige in den USA bis heute unter Anklage, im Zuge der #MeToo-Debatte wurden neue Missbrauchsvorwürfe laut. Polanski sieht sich zu Unrecht verfolgt. Doch wie immer man zu ihm als Mensch stehen mag, mit „Intrige“ beweist er erneut seine künstlerische Meisterschaft. (132 Min.)

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