Kommentar: Billige Arbeit hat einen hohen Preis

27.7.2013, 09:52 Uhr
Wie verändert sich die Gesellschaft durch die Flexibilisierung des Arbeitsmarktes?

© Michael Matejka Wie verändert sich die Gesellschaft durch die Flexibilisierung des Arbeitsmarktes?

Je mehr Menschen ihr Erwerbsleben mit Niedriglohnjobs bestreiten, desto mehr arme Alte wird es in wenigen Jahren in der Bundesrepublik geben. Wer behauptet, dieses Problem betreffe vor allem gering qualifizierte Beschäftigte, der stellt eine Milchmädchenrechnung auf. Denn der Volkswirtschaft gehen durch schlecht bezahlte und kurzfristige Beschäftigungsverhältnisse nicht nur schon heute Milliarden an Steuergeldern verloren. Wer es zudem in der Gegenwart fördert oder auch nur in Kauf nimmt, dass arbeitende Menschen sich von ihrem Lohn keine Zukunft aufbauen können, der duldet, dass auch die Mittelschicht von morgen dafür teuer bezahlt.

Doch wie wird die Mittelschicht von morgen aussehen? Manche Wissenschaftler setzen ihre Hoffnung auf den demographischen Wandel: Je weniger Junge es gebe, desto gefragter seien sie am Arbeitsmarkt und desto besser müssten sie verdienen. Zumindest bisher ist von dieser Entwicklung wenig zu sehen. Vielmehr scheint es, dass sich die bekannte Redewendung „Lehrjahre sind keine Herrenjahre“ verwandelt hat, und zwar in etwa so: „Wegen der schlechten wirtschaftlichen Lage können wir Dich nach Deiner Lehre nicht übernehmen. Stattdessen können wir Dir ein Praktikum oder eine weitere Lehre anbieten.“

Junge Berufseinsteiger, die diese Botschaft zur Genüge kennen, wissen, wie schwer es ist, sich unter diesen Umständen den eigenen Platz in der Mitte der Gesellschaft zu erkämpfen. Geschweige denn Selbstbewusstsein und das Wissen zu entwickeln, dass Mühe sich lohnt. Die ohnehin schon knappen Möglichkeiten, in eine stabile Mittelschicht aufzusteigen, schrumpfen - genau wie die Mittelschicht selbst.

Zudem leisten wir es uns nach wie vor, das Wissen der Älteren auf dem Dachboden verstauben zu lassen. Stattdessen werden 58-jährige Computerfachleute in Umschulungen geschickt, in denen aus selbstbewussten Experten flexible Hausmeister gemacht werden sollen. Wer sensibel ist, der zerbricht daran. Da nutzt es auch nichts, wenn man das Ganze nicht „Hausmeister“ sondern „Facilitiy Manager“ nennt.

Je mehr Menschen jeden Monat besorgt die Tage bis zum nächsten Ersten errechnen, desto rasanter bewegen wir uns auf das zu, wogegen sich zunehmend selbstbewusste Mittelschichten in Schwellenländern wie Brasilien gerade auflehnen: Dagegen, ein Volk von Haushaltshilfen, Handlangern, Mini- und Midijobbern, Ich-AGs und Schwerstarbeitern zu sein, das mit viel Kraft und Improvisation ums Überleben kämpft. Und das, während sich eine inkompetente und ignorante Elite ihre Pfründe sichert. Fortschritt nennt man gemeinhin etwas anderes.

Überhaupt, die Elite: Die jüngeren Vertreter dieser Gruppe haben es verstanden, ihr Selbstverständnis zu modernisieren. Die Arroganz haben sie bewahrt, das Ehrgefühl oder Verantwortungsbewusstsein, das zumindest unter manchen ihrer Vorgänger zur Pflicht gehörte, haben viele längst über Bord geworfen. Wie kann man sich sonst einen Bundespräsidenten Wulff erklären, der erst Monate nach Amtsantritt lernen will, ein „guter Präsident“ zu sein. Oder Politiker und Manager, die sich weder Verantwortung noch Fehlern stellen?

Ein solches Verhalten derer, die gerade in schwierigen Zeiten Vorbilder sein müssten, trägt dazu bei, dass nicht nur die Reallöhne weiter auseinanderdriften, sondern auch die Bevölkerungsgruppen an sich. Wir müssen uns dringend überlegen, ob wir tatsächlich auf eine Kultur setzen wollen, in der einem wachsendem Teil der Bevölkerung der Stempel "wertlos" aufgedrückt wird.

Denn soviel ist klar: Ein Volk aus gebeugten Menschen ist kein stabiles Fundament für einen modernen, zukunftsfähigen und starken Staat. 

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