Kommentar: Melchior sollte im Münster bleiben

12.10.2020, 07:31 Uhr
An ihm scheiden sich die Geister: Diese Figur des Melchior (2. von rechts) soll aus dem Ulmer Münster entfernt werden.

© Sebastian Gollnow, dpa An ihm scheiden sich die Geister: Diese Figur des Melchior (2. von rechts) soll aus dem Ulmer Münster entfernt werden.

Es gibt schönere Darstellungen des Königs Melchior als jene aus der evangelischen Münstergemeinde Ulm. Plump steht er da, mit dicken Lippen - ja, da sind rassistische Klischees zu erkennen in dieser Holzschnitz-Arbeit aus dem Jahr 1920.


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Aber muss die Figur daher gleich verbannt werden aus der Krippe der Kirche? Dürfen Balthasar und Caspar, die beiden anderen der Heiligen Drei Könige, bleiben? Sie stehen in der biblischen Weihnachtsgeschichte ja für die drei damals bekannten Erdteile, für Europa, Asien und Afrika.

(Nächsten-)Liebe überwindet alle Grenzen

Und sie zeigen die überwältigende Wirkung dieser Geburt Jesu für die Menschheit - in der Interpretation der Bibel natürlich, also gemäß des darauf entstehenden christlichen Weltbilds: Alle Menschen egal welcher Herkunft und welchen Standes verneigen sich vor dem Baby in der Krippe - die Hirten auf dem Feld und eben die Mächtigen der Welt, alle angelockt vom Stern über Bethlehem. Da ist nichts Rassistisches herauszulesen, im Gegenteil: Es ist die Kernbotschaft des Christentums, dass die (Nächsten-)Liebe alle Grenzen überwindet.


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Dass die Kirche später stets dabei war, wenn Rassismus in krassen Ausprägungen praktiziert wurde, das ist die andere Seite der Medaille. Gegen Sklaverei gab es nur wenig Protest, bei der Kolonisation der Welt mischten Missionare mit, um Menschen zum einzig wahren Glauben zu bringen - oft auch mit Gewalt. Und es dauerte Jahrhunderte, bis die Kirchen wahrnahmen, wie fatal ihr alles andere als christlicher Antisemitismus war.

Verfehlungen benennen

Was tun, wenn Anspruch (christliche Nächstenliebe) und Wirklichkeit (Ausgrenzung) nicht zusammengepasst haben? Man muss sich dieser Geschichte stellen, Verfehlungen benennen und alles tun, um sie zu vermeiden. Diesen Weg beschreiten die Kirchen nun, mal mehr, mal weniger intensiv - aber endlich, immerhin.

Welchen Sinn soll es da haben, die Melchior-Figur aus der Kirche zu verbannen? Wäre es nicht besser, die Krippe so zu lassen und sie genauer zu beschreiben, mit einer Erläuterung, dass sich in dem Kunstwerk auch das damalige Menschenbild widerspiegelt?

Ausblenden und Verdrängen ist das eigentlich Gefährliche

Im Zuge der "Black Live Matters"-Bewegung häuften sich Denkmalstürze und Unbenennungen. Auch da stellt sich die Frage: Zu welchem Zweck? Geschichte wird nicht ungeschehen gemacht dadurch, dass man sie ausblendet oder verdrängt.

In Berlin wurde nun beschlossen, die Mohrenstraße mitten im Zentrum umzubenennen. Zunächst war geplant, sie "Glinka-Straße" zu nennen - bis entdeckt wurde, dass dieser russische Komponist ein handfester Nationalist und Antisemit war. Nun soll die Straße nach Anton Wilhelm Amo benannt werden, dem ersten in Deutschland tätigen Rechtsgelehrten und Philosophen afrikanischer Herkunft, der um 1700 in Ghana geboren wurde.

Was "Mohr" einst bedeutete

Ein Kompromiss, der tragfähig scheint, aber nicht berücksichtigt, dass "Mohr" lange keineswegs abwertend war, sondern an Mauren erinnert, die pharmazeutisches Wissen nach Europa brachten - deswegen gibt es so viele Mohren-Apotheken. Auch ein Stück Geschichte, das nicht leichtfertig gelöscht werden sollte.

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