Kulmbach: Corona-Schutzvisiere aus dem Kinderzimmer

12.5.2020, 09:39 Uhr
Der Schüler des Markgraf-Georg-Friedrich-Gymnasiums, Bastian Steinlein, trägt ein von ihm mittels 3D-Drucker angefertigtes Faceshield.

© Nicolas Armer, dpa Der Schüler des Markgraf-Georg-Friedrich-Gymnasiums, Bastian Steinlein, trägt ein von ihm mittels 3D-Drucker angefertigtes Faceshield.

Noch schlaftrunken schaltet Josias Neumüller jeden Morgen den Drucker in seinem Kinderzimmer an. Wenn er zu rattern anfängt, riecht es leicht süßlich. Der Druckkopf fährt dann eine Hufeisenform ab, aus einer Düse kommt ein dünner Faden. Etwas mehr als eine Stunde dauert es, dann ist der 3-D-Drucker fertig: Ein Kunststoff-Rahmen für den Kopf, in den eine durchsichtige Folie eingeklemmt wird.

Die Schutzvisiere fürs Gesicht sollen vor einer Infektion mit dem Coronavirus schützen. Krankenhäuser, Altenheime oder Pflegedienste brauchen sie. Vom Aufstehen bis zum Schlafengehen: Der 17-Jährige will so viele Visiere drucken wie irgendwie möglich. „Zwölf Stunden plus pro Tag, das trifft's eigentlich ziemlich gut“, meint der Schüler. Er habe längst den Überblick verloren, wie viele er schon gedruckt habe. „Ich denke aber mal irgendwo zwischen 80 und 120.“

Das Drucken hat Josias Neumüller in der Schule gelernt. Am Markgraf-Georg-Friedrich-Gymnasium in Kulmbach wird seit sechs Jahren 3-D-Druck unterrichtet – als Wahlfach oder im Rahmen der Begabtenförderung. Eigentlich drucken die Schüler gerade eine Fräse, erzählt Pysiklehrer Wolfgang Lormes. Doch dann kam die Corona-Krise und Ärzte, Pfleger und Kliniken begannen verzweifelt nach Schutzmaßnahmen vor einer Ansteckung zu suchen. Seitdem sind der Lehrer und sechs Jugendliche im Dauereinsatz. Oder besser gesagt ihre 13 3-D-Drucker, die sie bei sich zu Hause aufgebaut haben.

Manche Schüler hätten sich sogar selbst einen Drucker gekauft, sagt Lormes. Auch bei ihm daheim rattern fünf Stück. „Nach dem Aufstehen mache ich morgens erst die Kaffeemaschine und dann die Drucker an. Dann geht das halt wie beim Brezelnbacken.“ Bis es soweit war, experimentierten die Schüler stundenlang. Anfangs hätten sie sich einfach eine Anleitung aus dem Internet geholt, sagt der Physiklehrer. Aber mit den ersten Prototypen hätte das Klinikum Kulmbach erst einmal wenig anfangen können: Das Visier müsse für den medizinischen Einsatz oben geschlossen sein, es brauche mehr Stabilität und genug Abstand für Brillenträger, so die Rückmeldung.

Videokonferenzen jeden Abend

„Wir haben uns viel darüber ausgetauscht, rumgetüftelt und neu konstruiert und überdacht“, erzählt Schüler Bastian Steinlein. In Videokonferenzen jeden Abend. Wie schnell soll der Drucker fahren? Bei welcher Temperatur? Bis auf einen halben Zehntelmillimeter müssen die Einstellungen passen. „Einfach machen und drucken – so leicht ist es halt doch nicht“, betont der 16-Jährige, der drei Drucker in Betrieb hat. Doch die Mühe lohnt sich: Mehr als tausend Visiere haben die Schüler schon kostenlos an Zahnärzte, Logopäden und das Klinikum Kulmbach geliefert. „Bis nach Halle geht das Zeug, von Wolznach bis nach Halle“, sagt Wolfgang Lormes nicht ohne Stolz.

Nicht nur in Kulmbach laufen 3-D-Drucker auf Hochtouren: Das Gymnasium Neubiberg beispielsweise produziert Gesichtsschilder für Mediziner, Pfleger und andere systemrelevante Berufstätige. Auch die Hochschulen in Deggendorf, Nürnberg, Ingolstadt, Regensburg, Coburg, Hof und Landshut stellen ähnliche Gesichtsschilder mit dem Drucker her. Einen Überblick über die Produktion haben nach eigenen Angaben weder das Kultus- noch das Wissenschaftsministerium.

Warum werden die Bildungseinrichtungen nicht dazu aufgerufen, Gesichtsschilder zu drucken? Das Wissenschaftsministerium beruft sich auf die Freiheit der Wissenschaft. Es gebe nicht genug Schulen, die technisch dafür ausgerüstet seien, heißt es aus dem Kultusministerium. Das Landratsamt Bamberg hat trotzdem alle Schulen angeschrieben - drei hätten sich gemeldet, teilte ein Sprecher mit. Die Koordination übernehme das Amt. Etwa 900 Masken habe man schon für Krankenhäuser, Altenheime, Pflegedienste und Arztpraxen gedruckt. „Vielleicht schützt es nur eine einzige Person, infiziert zu werden“, sagt Bastian Steinlein. „Aber die eine Person ist es halt trotzdem.“

Man könne ohnehin nur so wenig tun, meint auch Josias Neumüller. Er wolle nicht nur herumsitzen, Abstand halten und Händewaschen. „Es fühlt sich immer alles so passiv an“, findet der 17-Jährige. Da sei es „eine coole Sache, helfen zu können – mit einer Sache, die einem selber Spaß macht.“


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