Leben unter königlichen Dächern

9.3.2021, 16:09 Uhr
Das Schleusenwärterhaus am Alten Ludwigskanal bei Worzeldorf. 

© e-arc-tmp-20210302_114243-2.jpg, NNZ Das Schleusenwärterhaus am Alten Ludwigskanal bei Worzeldorf. 

Birgit Hoffmann bereitet Vogelfutter zu, in einem riesigen Topf von einem Meter Durchmesser. Aber es sind auch viele Vögel draußen im Garten, die es im Winter zu versorgen gilt. Die Küche teilt sich Frau Hoffmann mit Hund und Katze, im Garten baut sie Kräuter an, 35 verschiedene. „Ein Leben mit Mutter Natur“, sagt sie, sei es, vielleicht, auf diesen Gedanken kommt man, sah es vor hundert Jahren ähnlich aus in diesem hübschen kleinen Haus. Birgit Hoffmann denkt das manchmal auch, sie wird noch davon erzählen.


Es ist ein Haus, das der bayerische König bauen ließ, eines von ehemals 69 Schleusenwärterhäusern, sie standen entlang eines Jahrhundertbauwerks – das aber, Ironie dieser Geschichte, schon kurz nach seiner Vollendung aus der Zeit zu fallen begann. Der Ludwig-Donau-Main-Kanal, der in Kelheim an der Donau beginnt und in Bamberg über die Regnitz in den Main mündet, verband die Nordsee mit dem Schwarzen Meer, erstmals war die europäische Wasserscheide überwunden – 264 Meter Höhenunterschied über 172,4 Kilometer und 100 Schleusen, 80 Meter hinauf bis zum Scheitelpunkt, 184 hinab nach Bamberg.

Der König kam nicht nach Erlangen


Eine Meisterleistung der Ingenieurskunst, es war ein Grund zum Feiern, auch wenn König Ludwig I. zur allgemeinen Enttäuschung am 15. Juli 1846 nicht persönlich zur Einweihung nach Erlangen kam. Am Fuß des Burgbergs steht dort noch das Denkmal, die allegorischen Figuren von Donau und Main blicken aber auf keinen Kanal mehr, sondern, sehr verloren, auf eine Autobahn, die A 73. Für ihren Bau wurde der Kanal zugeschüttet, in Forchheim steht das Schleusenwärterhaus noch – an einer vielbefahrenen Kreuzung, der Blick geht auf ein Einkaufszentrum.


Ludwig würde sein Bayern nicht wiedererkennen, aber im Grunde hatte sich die Welt schon damals zu verändern begonnen, die Eisenbahn löste die Schifffahrt ab, der Kanal, von dem tausend Jahre zuvor schon Karl der Große geträumt hatte, war bald nicht mehr rentabel. Nach Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg wurde er im Jahr 1950 endgültig aufgelassen, zwischen der Nürnberger Gartenstadt und Bamberg finden sich heute nur noch ein paar wenige Reste wie, in einem trockenen Bett, die restaurierte Schleuse 94 bei Eggolsheim.

Versenkte Verdienstmedaille


Irgendwo unter dem Asphalt liegt die bayerische Verdienstmedaille, die der als „Storchenvater“ bekannt gewordene Erlanger Naturschützer Michael Zimmermann damals aus Protest gegen die Zerstörung im Kanal versenkte – immerhin nicht ganz vergebens, ein paar Jahre später, 1973, stellte der Freistaat die Wasserruine unter Denkmalschutz. Auf gut 60 von den kommunalen Wasserwirtschaftsämtern gepflegten Kilometern zwischen Nürnberg und Berching in der Oberpfalz kann man – ehe für den neuen Main-Donau-Kanal weitere Abschnitte des alten Richtung Kelheim weichen mussten – heute eine Idylle wiederentdecken. Und sich ein bisschen verlieben in diese zauberhafte Welt.


Tim Schenk ging das so, an der Schleuse 49 bei Schwarzenbruck. Eine „heimliche Liebe zu diesem traumhaften Anwesen“, sagt er, habe er schon immer gespürt – zum Schleusenwärterhaus, das aber noch vor ein paar Jahren ruinös aussah. Der Freistaat hatte die Häuser, erbaut nach Plänen der Königlichen Bauräte Heinrich von Pechmann und Leopold von Klenze, nach und nach verkauft, in Schwarzenbruck war „ein Geisterhaus, wild und verwahrlost“, wie Tim Schenk sagt, daraus geworden. Nach dem Krieg genutzt als Schankwirtschaft, später als Katzenpension, waren schließlich vorübergehend Obdachlose eingezogen, nach einer Zwangsversteigerung konnten es Tim Schenk und seine Freunde pachten.

Kultur sucht Heimat


„Laissez faire“ heißt ihr Verein, es ist mit über 1000 Mitgliedern einer der großen Kulturvereine der Region, aus dem Haus sollte eine Kultur- und Begegnungsstätte werden. Rund 20 Tonnen Müll galt es zu entsorgen, „Herzblut und Energie von so vielen Menschen“, sagt der 29 Jahre alte Vereinsvorsitzende Schenk, steckten in diesem 2018 beendeten Projekt, nur: Die Einweihungsfeier war auch schon das bisher letzte Fest. „Die Gemeinde will keine weiteren Aktivitäten von uns“, sagt Tim Schenk, aber die Idee lebt, sie gründeten dafür die Bunte Liste, Schenk wurde 2020 in den Gemeinderat von Schwarzenbruck gewählt. Wie das Leben ins Schleusenwärterhaus zurückkehrt, ist noch eine offene Frage.


Wie dieses Leben einst aussah? An Schleuse 64 fragt sich das Birgit Hoffmann auch gerne. Zehn Kinder, hat sie gehört, soll der letzte Schleusenwärter hier großgezogen haben. Es war ein einfaches Leben, für ein geringes Gehalt bedienten die Wärter bis zu drei Schleusen, im Garten konnten sie Obst und Gemüse anbauen und in kleinen Ställen Tiere halten.

Birgit Hoffmanns Traum


Ein Brunnen und ein Stückchen Wald gehörten zu den Grundstücken – und ein Teil der 40 000 Obstbäume entlang des Kanals, deren Ernterechte jedes Jahr zugunsten der Staatskasse versteigert wurden. Birgit Hoffmann liebt es, morgens, wenn noch Nebel über dem Wasser liegt, die Augen zu schließen und sich auf eine imaginäre Zeitreise zu begeben, in die Jahre, als die von Treidel-Pferden gezogenen Schiffe hier Station machten.

„Einen besonderen Traum“, sagt die Künstlerin, die das Atelier „Miteinander“ in Altdorf führt, habe sie sich erfüllt, als sie vor zehn Jahren das Schleusenwärterhaus vom Staatsforst pachtete und fünf Jahre lang eigenhändig renovierte – Dach, Mauern, Keller, 86 Quadratmeter, „Arbeit bis zum Umfallen“ sei es gewesen. Heute malt und töpfert sie hier, sie arbeitet mit Holz und Metall, „Trash-Art, Schrottkunst“, führt sie im Garten vor. Für die Klangtherapie hat Birgit Hoffmann den Raum unterm Dach eingerichtet, sie freut sich über jeden Besucher.


Es sind viele, im Briefkasten vor dem Haus findet sie täglich Grüße vor – von Spaziergängern, Radfahrern, im Winter von Schlittschuhläufern. Die Post sammelt sie in einem großen Karton, „so viele liebenswürdige Zeilen“. Am Haus vorbei führt ein Jakobsweg, einmal hat sie vier junge Männer auf dem Weg von Gütersloh nach Rom hier beherbergt, sie schliefen im Garten, blieben – weil es so schön war – gleich vier Tage und halfen bei der Haus- und Gartenarbeit. Der alte Kanal, überlegt Birgit Hoffmann, ist wieder das, was er einmal war (und was sie in Schwarzenbruck gerne wieder daraus gemacht hätten): ein Begegnungsort, „ein richtiges Kulturgut in jeder Hinsicht“.

Das Haus im "Tatort"


Die Schleusenwärterhäuser – aus Sand- oder Ziegelstein nach einem in Details variierbarem Grundmuster gebaut, mit ihren Rundbogenfenstern klassizistisch angehaucht – werden heute ganz unterschiedlich genutzt, von Fischereivereinen, in Hirschaid von einem Hunde-Klub. In Mühlhausen ist ein Cafe eingezogen, in Burgthann ein Biergarten, in Dietfurt ein kleines Museum.


Viele sind in Privatbesitz als Wohn- oder Wochenendhäuser, 35 gibt es noch, manche – bevor der Denkmalschutz galt – radikal umgebaut und kaum wiederzuerkennen. Birgit Hoffmanns Haus wird jetzt sogar berühmt, gerade drehte ein Fernsehteam hier – für den Franken-„Tatort“, aus der Schleuse wird ein etwas gespenstischer Ort, aber verraten darf sie natürlich nichts darüber.

Eine Kuh im Garten


Wer über den kleinen Hafen von Worzeldorf zurückkehrt in die Nürnberger Gartenstadt, kommt an der Schleuse 72 vorbei, es ist ein besonders hübsches Häuschen, zur Adventszeit steht immer eine Krippe im Fenster. Hier lebt, seit Jahrzehnten, Ludwig Bürgsteiner, er kann vom alten Kanal erzählen, er ist hier aufgewachsen – „mit den Kähnen, den Treidelpferden, und mit den Tieren“, wie er sagt, er hat als Kind noch mitgeholfen, die Schleuse zu bedienen. Sein Vater Michael Bürgsteiner war der letzte Schleusenwärter, ein Leben „wie ein Bauernhof“, erzählt der freundliche alte Mann, sei es gewesen, „mit Ziegen, Hasen, Hühnern, eine Kuh hatten wir im Garten“.


Ludwig Bürgsteiner ist 89 Jahre alt. Er wünscht dem Besucher noch viel Freude beim Spaziergang, selbst hat er noch ein wenig zu tun. Er will seine hübsche schwarze Katze füttern.

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