Mord an Sophia Lösche: Polizei räumt erstmals Fehler ein

24.6.2020, 07:27 Uhr
Das Landgericht Bayreuth hatte einen marokkanischen Fernfahrer schuldig gesprochen, die Studentin im Juni 2018 umgebracht zu haben. Er wurde zu einer lebenslangen Haftstrafe wegen Mordes und gefährlicher Körperverletzung verurteilt.

© Daniel Karmann/dpa Das Landgericht Bayreuth hatte einen marokkanischen Fernfahrer schuldig gesprochen, die Studentin im Juni 2018 umgebracht zu haben. Er wurde zu einer lebenslangen Haftstrafe wegen Mordes und gefährlicher Körperverletzung verurteilt.

Es begann mit einem Geständnis des angeklagten Fernfahrers Boujemaa L. - und endet für den 42-Jährigen mit einer lebenslangen Freiheitsstrafe. Juristisch ist der Fall der getöteten Tramperin Sophia Lösche, die 2018 von dem Mann getötet wurde, abgeschlossen. Die Aufarbeitung dessen aber, was in den Monaten und Jahren zuvor passierte, läuft weiter - auch bei der Polizei. Die Angehörigen des Opfers, das mit nur 28 Jahren sterben musste, werfen der Polizei Untätigkeit vor. Zu spät habe man die Möglichkeit eines Gewaltverbrechens in Betracht gezogen, Ermittlungen verschleppt, Hinweise ignoriert und damit erst möglich gemacht, dass der Fernfahrer mit Lösche fast 2000 Kilometer quer durch Europa fahren konnte. Die Leiche der jungen Frau wurde wohl erst Tage nach dem Mord in einem spanischen Straßengraben entdeckt. 


Keine Revision: Mörder von Sophia akzeptiert Haftstrafe


Jetzt geht die Polizei erstmals detailliert auf die Vorwürfe der Familie ein. Im ZDF-Magazin Frontal21 räumen Vertreter aus Sachsen und Bayern Versäumnisse im Fall Lösche ein. Zwei Jahre lang arbeitete eine polizeiinterne Expertengruppe an der Aufarbeitung der Vorfälle, länderübergreifend. Der Fall Lösche zeige "in welcher Ausnahmesituation Angehörige in einer solchen Phase sind", sagt Holger Baumbach gegenüber Frontal21. Er ist Mitglied der Kommission. "Darüber hinaus hatten wir hier ein außergewöhnliches Engagement, von dem es uns nicht ganz gelungen ist, den Erkenntnisstand, den die Angehörigen gewonnen haben, 1:1 in die polizeiliche Lageentwicklung einzuführen." 

"Die Wut stieg in mir immer weiter empor"

Konkret spielt Baumbach auf die Ermittlungsoffensive der Familie unmittelbar nach dem Verschwinden von Lösche an. Sie ging früh von einem Verbrechen aus, machte die Spedition des Fernfahrers ausfindig, recherchierte im Internet, plakatierte Suchanzeigen. Hinweise, die - so die Angehörigen - von der Polizei nicht ernst genommen wurden. "Die Wut stieg in mir immer weiter empor, wie Wut auf diese Borniertheit", sagt Sophias Vater gegenüber Frontal21. 31 Stunden vergingen, ehe die Polizei die Überwachungsvideos der Raststätte Schkeuditz auswertete. Dort verliert sich am 14. Juni 2018 die Spur der 28-Jährigen. 

Die Polizei in Leipzig, wo Lösche lebte, und die Beamten an ihrem Zielort Amberg in der Oberpfalz schoben die Zuständigkeit tagelang hin und her. Ein "Gerangel um Kompetenzen" sei das gewesen, sagen Angehörige. "Die Leipziger aus unserem Team mussten die Polizei beknien, endlich das Videomaterial der Raststätte zu sichten, an der meine Schwester verschwand", sagte Andreas Lösche, der Bruder der Getöten, damals in den Nürnberger Nachrichten. "Die Polizei hat die Lage grundlegend falsch eingeschätzt", erklärt der renommierte Kriminologe Thomas Feltes. 

Fand Gespräch mit Spedition jemals statt?

Die sächsische Polizei bewertet die Vorfälle noch immer so, dass keine Gefahr für Leib und Leben der jungen Frau bestand. "Sie war erwachsen, gesund, nicht chronisch krank", sagt ein Vertreter aus der Kommission die die Vorfälle aufarbeitet. "Und sie war mit dem, was sie tat, durchaus vertraut. Das heißt, sie ist nicht zum erstem Mal getrampt." Damit fehlten entscheidende Punkte um von einem Vermisstenfall auszugehen, so die Behörden. 

Doch was tat die Polizei, um die 28-Jährige zu finden? Ein Anruf bei der Spedition des Mörders Boujemaa L. habe nie stattgefunden, so der Vorwurf der Familie. In den Ermittlungsakten taucht ein solches Telefongespräch aber auf, es wurde allerdings erst nachträglich hinzugefügt. "Dass die Protokolle gefälscht wurden, kann ich eindeutig belegen", sagt der Bruder Andreas Lösche gegenüber unserer Redaktion.

"Die Eingeständnisse der Polizei sind erstaunlich"

Die Polizei widerspricht. Es könne "durchaus sein, dass einzelne Schritte nicht sofort in einen umfassenden Kalender übertragen werden", so Baumbach von der internen Polizeiexpertengruppe gegenüber Frontal21. Die Dokumentation gewissenhafter zu pflegen, sagt er, sei eine der Lehren aus dem Fall. Die Polizei kündigt an, künftig sensibler mit Hinweisen von Angehörigen umgehen zu wollen. Geplant sei zudem ein detallierter Leitfaden für Ermittler und mehr Schulung. 

"Die Eingeständnisse der Polizei sind erstaunlich", sagt Andreas Lösche auf Nachfrage der Nürnberger Nachrichten. In einem persönlichen Gespräch in Nürnberg sei "eine ganze Reihe von Fehlern" von Seiten der Polizei eingeräumt worden.

"Das hätte ich diesem Apparat nicht zugetraut", sagt Lösche. Er mahnt aber auch zur Geduld, denn für ihn bleibe es abzuwarten, ob die Veränderungen, die die Kommission vorschlägt auch konsequent umgesetzt werden. Auch zwei Jahre nach dem Mord ringt die Familie um Aufarbeitung. Das, was ihnen geschah, soll sich nicht wiederholen, sagen sie.

Der Fall Sophia - eine Chronologie der Ereignisse:

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