Müll-Problem in Nürnberg: Mehr als nur Zigarettenstummel

19.11.2018, 06:00 Uhr
Rund 30 Umweltaktivisten haben am Samstag in der Nürnberger Altstadt achtlos weggeworfene Zigarettenstummel gesammelt.

Rund 30 Umweltaktivisten haben am Samstag in der Nürnberger Altstadt achtlos weggeworfene Zigarettenstummel gesammelt.

Ihre Gesichter sieht man nicht so fort, nur ihren Haarschopf oder ihre Mützen. Während die Menschen in der Fußgängerzone vorbeigehen, sind sie in der Hocke oder knien auf dem Boden. Wer mit ihnen auf Augenhöhe sprechen will, muss runter — und sieht, was die Aktivisten da eigentlich machen. Mit Fingern pulen sie Zigarettenstummel aus Baumscheibengitter. Sie popeln weggeworfene Kippen auch aus den Fugen zwischen Pflastersteinen und sammeln sie in Plastikeimern. "Sind die Fugen mit Zement verfüllt, tun wir uns leichter", sagt Alex Cio, einer der Helfer. Einen Teil der Ausrüstung, Handschuhe und Warnwesten, spendierte der Servicebetrieb öffentlicher Raum (Sör). Hier sammeln die Umweltaktivisten von Bluepingu e.V. und "Upzigle". Mehr als 30 Helfer durchpflügen in der Fußgängerzone mit Fingern Ritzen und Spalten, in denen sich die achtlos weggeschmissenen Stummel verfangen und für städtische Kehrmaschinen nicht zu fassen sind. Nicht zu fassen ist aber auch, welche Mengen an Kippen die Hände zutage fördern.

Eimerweise. Einige Passanten machen einen Bogen um die knienden Grüppchen mit ihren Warnwesten oder geben Tipps wie diesen: "Mit der Pinzette geht’s besser." Andere bewundern sie. Holger Meesmann etwa, der selbst Raucher ist. Aber: "Ich finde es schlimm, wenn Leute ihre Kippen einfach wegschmeißen. Die Rückstände verflüchtigen sich doch nicht." Solche Passanten sehen die Aktivisten gerne. Noch besser fänden sie es, wenn die Leute gleich selbst einen Eimer in die Hand nähmen, um mitzuhelfen. Aber die Zeit... Helene R., die ihren vollen Namen nicht nennen will, hat von der Aktion in den Nürnberger Nachrichten gelesen und sich entschlossen, mitzumachen. "Ich hab’ schon im Rathaus an gerufen und auf das Kippen-Problem aufmerksam gemacht. So kann das ja nicht weitergehen", sagt sie. Valentina Vipa, eine Baumscheibe weiter, pflichtet ihr bei: "Jeder Raucher sollte sich an so einer Aktion mal beteiligen. Ich meine, zu Hause wirft man die Kippen doch auch nicht einfach auf den Boden. Warum dann aber draußen?"

"Es wurden immer mehr"

Insgesamt sind im vergangenen Jahr in der Stadt knapp 300.000 Tonnen Müll angefallen. Das geht aus dem Abfallbericht hervor. Davon sind 165.535 Tonnen Abfälle, die verwertet werden. Dazu zählen Glas (12.480 t); Biomüll (19.092 t); Metalle (6037 t); Gartenabfälle (23.287 t); Textilien (2570 t); Papier, Pappe, Kartonagen (34.853 t); Verpackungen (10.714 t); Elektrogeräte (3416 t) und sonstige Wertstoffe wie Altholz oder Reifen (53.086 t). Ein großer Teil des Gesamtaufkommens ist der Restmüll mit 102.544 Tonnen. Im Schnitt wirft jeder Bürger 193 Kilogramm Restmüll pro Jahr weg. Zigarettenstummel gelten auch als Restmüll. Schwerpunkt der Kippen-Verschmutzung in der Stadt ist zum Beispiel der Zugang zum Hauptbahnhof-Verteilergeschoss in der Königstraße. Hier hat Sör zwei Großpapierkörbe mit Bodenaschern eingebaut, um die Verschmutzung so klein wie möglich zu halten. Sör verteilt bei Bürgerversammlungen außerdem kostenlose Taschenaschenbecher.

(Sollten Sie die Grafik nicht sehen, dann klicken Sie bitte hier)

Sicher aber ist: Wer beim Kippen-Schnippen erwischt wird, muss mit einem Bußgeld in Höhe von 35 Euro rechnen. Für Hiram Ergetu-Weiss sind das Schritte in die richtige Richtung. Der große Wurf scheint das aber nicht zu sein, wenn man jetzt in den Eimer des Initiators der Sammelaktion guckt. Sein jüngerer Sohn hatte ihn auf die Idee gebracht, als der Filius im Sandkasten eines Stadtpark-Spielplatzes immer wieder Kippen heraussiebte. "Es wurden immer mehr", sagt der Englisch-Lehrer. Der Papa nahm Plastikeimer von zu Hause mit, suchte und sammelte mit seinem älteren Sohn Zigarettenstummel. Die Ausbeute: viele mit Stummeln befüllte Eimer, die Ergetu-Weiss in seinem Keller lagert. Er will jetzt Firmen gewinnen, die den Abfall recyclen.

Giftstoffe gelangen in Böden und Gewässer

Länder wie Mexiko, Chile und Indien haben bereits effiziente Recycling-Programme im Kampf gegen den Kippenmüll, sagt er. Aus dem gewonnenen und gereinigten Kunststoff der Zigarettenfilter kann etwas Neues entstehen, etwa Plastikmöbel. Laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) werden pro Jahr rund 5,6 Billionen Zigaretten weltweit geraucht. Davon werden schätzungsweise 4,5 Billionen achtlos weggeworfen. Doch die wenigsten wissen, dass die Kippen hochtoxisch sind. Schon ein Stummel reicht aus, um 50 Liter Wasser zu verschmutzen. Der Regen wäscht die Giftstoffe heraus, diese gelangen so in Böden, Gewässer und ins Grundwasser.

Problematisch sind vor allem Schwermetalle wie Blei, Kupfer, Chrom, Kadmium und Arsen. Auch das in den Filtern enthaltene Plastik, der gefilterte Teer und weitere giftige Inhaltsstoffe wie aromatische Kohlenwasserstoffe führen dazu, dass die Zigarettenreste nur schwer abgebaut werden können. Nach etwa zwei Stunden Knien und Sammeln treffen sich die Umweltaktivisten vor der Lorenzkirche, um ihre "Erträge" auf einen Haufen zu schütten. Selbst sie haben nicht mit so vielen Kippen gerechnet. Auch viele Passanten bleiben stehen und blicken staunend auf den Hügel. Und das dürfte nur ein winziger Bruchteil von dem sein, was in der Innenstadt noch an Glimmstängeln auf dem Boden in Spalten, Ritzen, Lüftungsschächten und Gitterrosten liegt.

Was meinen Sie: Sollten die Behörden bei weggeworfenen Stummeln konsequenter durchgreifen?

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